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# taz.de -- Zentralafrikanische Republik: Granaten zerfetzen Trauernde
> Ein neues Massaker in Bangui verschärft die Spannungen in der
> Bevölkerung. Deutschland will sich jetzt doch verstärkt an einer
> EU-Intervention beteiligen.
Bild: Muslimische Trauernde um Massakeropfer in „Kilometer Fünf“ in Bangui…
BERLIN taz | Bei einem Granatenangriff in der zentralafrikanischen
Hauptstadt Bangui sind in der Nacht zum Freitag nach Regierungsangaben über
20 Menschen getötet worden. Eine „polizeibekannte Gruppe von Extremisten“
griff Trauernde bei ihrer Nachtwache an, sagte Sicherheitsminister Denis
Sangao Kizimalé am Freitag im Staatsrundfunk. Unter den Opfern seien eine
schwangere Frau und mehrere Kinder.
Private Radiosender in Bangui hatten zuvor von neun bis elf Toten
berichtet. Den Angaben zufolge handelte es sich bei den Angreifern
möglicherweise um versprengte Kämpfer der muslimischen Rebellenallianz
Séléka. Die Trauernden waren Christen. In den vergangenen Monaten haben
christliche Kämpfer der antimulimischen Miliz „Anti-Balaka“ Hunderte
Muslime in Bangui getötet und Zehntausende in die Flucht getrieben.
„Wir waren am Trauerort, als Männer in Uniform Granaten warfen“, berichtete
ein Augenzeuge gegenüber dem Radiosender Ndeke Luka. Sechs Menschen seien
sofort gestorben, fünf weitere später.
Gegenüber dem lokalen „Journalistennetzwerk Menschenrechte“ (RJDH) sagte
ein anderer ungenannter Augenzeuge, die Männer hätten Arabisch gesprochen.
Der Überlebende Nestor Guela, der an der Nachtwache der Trauernden im
Viertel Fatima des 3. Stadtbezirks von Bangui teilgenommen hatte, erklärte:
„Gegen 23 Uhr hörten wir zwei laute Explosionen, gefolgt von Gewehrfeuer.
Als ich wegrennen wollte, merkte ich, dass ich am Bein getroffen worden
war. Alles war voller Rauch, Männer und Frauen weinten und Menschen lagen
tot auf dem Boden.“
Der Muslimensprecher des nahegelegenen Stadtviertels „Kilometer Fünf“, wo
erst wenige Tage zuvor mehrere Menschen von antimuslimischen Milizen
getötet worden waren, wies jede Verantwortung seiner Glaubensgemeinschaft
zurück. Der katholische Priester Freddy Stéphane Mboula von der Gemeinde
der Trauernden warf der Regierung der Zentralafrikanischen Republik vor,
die Menschen nicht zu schützen: „Es gibt keine Autorität in diesem Bezirk.�…
## Eingreiftruppen gegen Anti-Balaka
In weiten Teilen von Bangui sind seit Dezember alle Muslime getötet oder
vertrieben worden, radikale Jugendmilizen namens „Anti-Balaka“ üben
faktisch die Kontrolle aus. Seit dem vergangenen Wochenende sind bei neuen
Angriffen auf Muslime in Bangui über 20 Menschen ms Leben gekommen. Es kam
auch zu Kämpfen zwischen Anti-Balaka-Truppen und dem burundischen
Kontingent der afrikanischen Eingreiftruppe „Misca“, das im Viertel
„Kilometer Fünf“ stationiert ist und Muslime gegen Angreifer schützt.
Am Mittwoch erklärte die Misca im Anschluss an ein entsprechendes
Kommuniqué der Afrikanischen Union (AU), die Anti-Balaka würden ab jetzt
als „Terroristen“ angesehen und „entsprechend behandelt“ werden. Nach d…
Granatenanschlag der Nacht zum Freitag errichteten Anwohner Straßensperren
gegen die Burunder, die von diesen am Freitag unblutig geräumt wurden.
Am Donnerstag hatten sich zum ersten Mal Anti-Balaka-Einheiten kasernieren
lassen. 30 Anti-Balaka-Kämpfer, die früher zur Regierungsarmee des vor
einem Jahr gestürzten Präsidenten Francois Bozizé gehörten, wurden von
französischen Eigreiftruppen aus dem Stadtviertel Bimbo in das wichtigste
Militärgelände der Hauptstadt, die Kassai-Kaserne, gebracht. „Es sind
Karrieresoldaten“, erklärte der stellvertretende Generalstabschef des
Landes, Alfred Service.
## Staat liegt „im tiefen Koma“
Dass die Regierung von Übergangspräsidentin Catherine Samba-Panza in den
zwei Monaten seit ihrer Amtsübernahme im Januar so wenig getan hat, um
bewaffnete Gruppen von den Straßen zu holen und eine neue Armee aufzubauen,
stößt auf zunehmende Kritik in der Zentralafrikanischen Republik und auch
in der internationalen Gemeinschaft.
„Die Anti-Balaka wurden weder kaserniert noch entwaffnet, und dies
widerspricht den Resolutionen der UNO und der AU“, sagte in einem Interview
am Donnerstag der französische Diplomat Didier Niewiadowski. „Das erlaubt
es ihnen, ihre Übergriffe straflos fortzusetzen. Wie kann es sein, dass
ihre Führer nicht verhaftet werden? Dass Verbrecher nicht vor Gericht
kommen?“ Der Staat befinde sich „in einem tiefen Koma“ und die
Übergangswirtschaft setze die Vetternwirtschaft ihrer Vorgänger fort.
Die Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“ (HRW) warnte, die
wenigen tausend verbleibenden der einst 150.000 Muslime von Bangui seien in
Lebensgefahr. Neu sei, dass Anti-Balaka zunehmend in Uniformen der früheren
regulären Streitkräfte aufträten. Die Muslime, die an verschiedenen Orten
Banguis praktisch eingekesselt seien, würden jetzt zunehmend selbst zu den
Waffen greifen, um sich zu schützen, da die internationalen Truppen dies
nicht genügend täten, erklärte HRW am Freitag.
Es sei dringend ein verstärktes internationales Eingreifen nötig, sagte am
Freitag auch die unabhängige UN-Menschenrechtsexpertin für die
Zentralafrikanische Republik, Marie Thérèse Keita-Bocoum, bei der
Vorstellung ihres ersten Berichts vor dem UN-Menschenrechtsrat in Genf. „Um
Chaos in der Zentralafrikanischen Republik und der Region zu vermeiden,
kann man sich nicht mehr mit kosmetischen Lösungen zufriedenstellen und
auch nicht damit, die Toten und die Opfer zu zählen.“
## Transportflieger aus Deutschland
Angesichts der Lage will sich Deutschland jetzt doch stärker an dem
geplanten EU-Truppeneinsatz in Bangui beteiligen als geplant. Neben einem
Sanitätsflugzeug und zehn Soldaten in den Hauptquartieren in Zentralafrika
und Griechenland sollen auch zwei gemietete Transportflugzeuge vom Typ
Antonow (AN-124) zur Verfügung gestellt werden, erklärten
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und Außenminister
Frank-Walter Steinmeier (SPD) am Freitag.
Mit dem Angebot will die Bundesregierung eine fünfte
Truppenstellerkonferenz zum Erfolg zu bringen, die am Freitagnachmittag in
Brüssel stattfinden sollte. Die ersten vier Konferenzen waren wegen
mangelnder Bereitschaft der EU-Mitglieder zur Entsendung von Truppen
gescheitert.
Für das Angebot nutzt die Bundesregierung ein Kontingent von sechs Antonow
AN 124-100 der Ruslan Salis GmbH mit Sitz in Leipzig, wie das
Verteidigungsministerium auf Nachfrage mitteilte. Zugriff auf die Maschinen
garantiert ein Vertrag einer NATO-Agentur mit Salis. Berlin bietet also
keine zusätzlichen Maschinen an, sondern die Bezahlung der Flugstunden,
falls im Rahmen der EU-Mission Schwerlasttransporte nach Bangui
erforderlich werden.
Ein Flug von Europa nach Afrika würde mit mehreren hunderttausend Euro zu
Buche schlagen, sagte ein Ministeriumssprecher gegenüber AFP. Wie viele
Flüge es geben werde, sei noch offen.
Bei der Salis GmbH handelt es sich um ein Konsortium der russischen
Volga-Dnepr Group und des ukrainischen Antonow Design Bureaus. Trotz der
Ukraine-Krise hält die Bundesregierung an der Firma fest. „Von Seiten des
zivilen Vertragspartners wurde Anfang März erklärt, dass die Ereignisse in
der Ukraine keine Auswirkungen auf die Leistungserbringung haben werden und
die Verpflichtungen unverändert erfüllt werden“, erklärte das
Verteidigungsministerium.
Die Salis-Maschinen wurden bislang vor allem für den Truppenabzug der
NATO-Partner aus Afghanistan genutzt. Für die Transporte nach Zentralafrika
müssen keine zusätzlichen Bundeswehrsoldaten am Boden stationiert werden.
Das Sanitätsflugzeug soll in Köln bereitgehalten werden. Zum Einsatz käme
es aber nur, wenn es Schwerletzte unter den internationalen
Stabilisierungskräften gäbe.
Ob die EU-Mission wie geplant zustande kommt, war am Freitag zunächst
offen. Frankreich hatte zuletzt Mitte März vor einem Scheitern gewarnt,
sollten sich nicht mehr Länder mit mehr Truppen beteiligen. Substanzielle
Kontingente hatten Länder wie Polen, Estland, Lettland, Portugal und
Rumänien angeboten. Nach Angaben aus Militärkreisen wurden aber wegen der
Krim-Krise ursprüngliche Zusagen wieder in Frage gestellt. (mit dpa, afp)
28 Mar 2014
## AUTOREN
Dominic Johnson
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