# taz.de -- Den Haag ermittelt in Zentralafrika: Den Horror aufklären | |
> Der Internationale Strafgerichtshof startet Ermittlungen gegen Milizen | |
> der Zentralafrikanischen Republik. „Die Liste der Gräueltaten“ sei | |
> endlos. | |
Bild: Anti-Balaka-Milizen plündern den Markt des muslimischen Viertels PK13 in… | |
BERLIN taz | „Die verfügbaren Informationen bilden eine ausreichende | |
Grundlage für die Annahme, dass im Kontext der Situation der | |
Zentralafrikanischen Republik Kriegsverbrechen begangen worden sind.“ Mit | |
diesem dürren Satz fasst die Anklagebehörde des Internationalen | |
Strafgerichtshofs in Den Haag ihren Beschluss vom Mittwochabend zusammen, | |
ein Ermittlungsverfahren wegen der Massaker und Gräueltaten in | |
Zentralafrika zu eröffnen. „Die Liste der Gräueltaten ist endlos,“ sagte | |
Chefanklägerin Fatou Bensouda. | |
Im Einzelnen nennt Bensoudas Behörde folgende Verbrechen: Mord, | |
Verstümmelung, brutale Behandlung und Folter; Übergriffe gegen die | |
Menschenwürde; bewusstes Anführen von Angriffen gegen die Zivilbevölkerung | |
sowie gegen humanitäre Hilfsmissionen und Kulturgüter; Plünderung; | |
Vergewaltigung und andere Formen sexueller Gewalt; und schließlich | |
Rekrutierung von Kindern unter 15 Jahren. Diese Begriffe sollen den Horror | |
fassbar machen, der sich seit knapp zwei Jahren in der Zentralafrikanischen | |
Republik abspielt. | |
Erst ergriff im März 2013 die mehrheitlich muslimische Rebellenallianz | |
Séléka nach drei Monaten Vormarsch die Macht. Im Dezember 2013 landeten | |
französische Truppen in der Hauptstadt Bangui und erzwangen im Januar 2014 | |
den Rücktritt der Seleka-Regierung. Gleichzeitig durften die in Reaktion | |
auf die Seleka-Gewaltherrschaft gebildeten Anti-Balaka-Milizen ungestraft | |
die Muslime des Landes terrorisieren und vertreiben. Die Gewalt ist seit | |
einigen Monaten abgeflaut. Aber die verfeindeten Milizen bleiben intakt, | |
eine funktionierende Regierung gibt es bis heute nicht, niemand ist wegen | |
Verbrechen zur Rechenschaft gezogen worden. | |
Nachdem Seleka sich aus Bangui zurückzog, seien „muslimische Zivilisten in | |
Bangui und dem Westen des Landes Anti-Balaka-Angriffen ausgesetzt gewesen, | |
einschließlich Vergewaltigungen, Tötungen und der Verstümmelung von | |
Leichen“, so die Ankläger in ihrem Begründungsschreiben. Anti-Balaka-Führer | |
hätten von „Säuberungen“ gesprochen. In Bangui wurden 99 Prozent der | |
Muslime verjagt, im ganzen Land 80 Prozent. | |
Insgesamt aber erheben die Ankläger ihre schwersten Vorwürfe gegen die | |
Seleka-Truppen während deren Zeit an der Macht. Bereits ab Februar 2013, | |
als sie auf Bangui vorrückten, hätten die muslimischen Kämpfer einen | |
„verbreiteten und systematischen Angriff auf die Zivilbevölkerung“ verübt, | |
heißt es. Die Anti-Balaka, die ab September 2013 zurückschlugen, hätten | |
ebenfalls einen „verbreiteten und systematischen Angriff“ verübt, aber nur | |
„auf die muslimische Zivilbevölkerung“. | |
## „Orgaisatorische Kontinuität“ und „gemeinsame Politik“ | |
Wichtig in der Argumentation der Ankläger ist die Annahme, dass sowohl | |
Seleka als auch Anti-Balaka organisierte bewaffnete Gruppen sind – | |
Voraussetzung dafür, ihre Führer vor Gericht zu stellen. Seleka, heißt es, | |
zeige „organisatorische Kontinuität während der gesamten Entwicklung der | |
Bewegung von bewaffneter Oppositionsgruppe zu Staatsmacht und zurück zu | |
bewaffneter Oppositionsgruppe“ mit „verantwortlichem Kommando, | |
hierarchischer Struktur“ sowie territorialer Kontrolle. | |
Die Anti-Balaka seien zwar weniger straff organisiert, aber durchaus eine | |
Organisation „mit den Ressourcen, den Mitteln und Fähigkeiten“ zu Angriffen | |
sowie einer von allen Fraktionen geteilten „gemeinsamen Politik, bewusst | |
alle Muslime Zentralafrikas zum Ziel zu erklären“. | |
Den Vorwurf des „Völkermordes“ erheben die Ankläger nicht, anders als | |
zahlreiche Beobachter vor einem halben Jahr, als die Gewalt gegen Muslime | |
in Bangui ihren Höhepunkt erreicht hatte. Dies sei derzeit nicht | |
abschließend zu klären, heißt es. | |
Insgesamt spricht der Bericht von 1.488 Opfern der Seleka und 1.248 Opfern | |
der Anti-Balaka – gezählt ab Ende 2012. Das sind vorsichtige Zahlen. „Ärz… | |
ohne Grenzen“ zählte im Juli bei einer Erhebung unter Flüchtlingen 2.599 | |
Tote allein zwischen November 2013 und April 2014. Eine vor zwei Wochen | |
veröffentlichte Untersuchung der Nachrichtenagentur AP, die alle bekannten | |
Massakeropfer in 50 Gemeinden zusammenzählte, kam sogar auf 5.186 Tote seit | |
Dezember 2013. | |
Mit seinen Ermittlungen reagiert der Strafgerichtshof auf ein im Mai | |
eingegangenes Gesuch der amtierenden Übergangsregierung in Bangui, | |
Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der Zentralafrikanischen Republik | |
seit dem 1. August 2012 zu untersuchen. Bis jetzt wurde lediglich | |
vorhandenes Material geprüft. Nun wird die Anklagebehörde Ermittler | |
losschicken. Man erwarte, so Fatou Bensouda, die „volle Zusammenarbeit“ der | |
zentralafrikanischen Behörden. | |
26 Sep 2014 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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