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# taz.de -- Erinnerung an Camille Lepage: Sie hatte eine Mission
> Die Fotojournalistin Camille Lepage wurde in Zentralafrika tot
> aufgefunden. Eine mutige Frau, die einen Völkermord dokumentierte.
Bild: Camille Lepage mit ihrer Kamera, im Oktober 2013 in Bangui.
Als der Radiomoderator sagte, „eine französische Journalistin wurde in der
Zentralafrikanischen Republik tot aufgefunden“, wusste ich es sofort: Es
war Camille Lepage. Mein Herz stockte. Ich prüfte die Nachricht im
Internet, ging auf ihre [1][Facebook-Seite]. Ich hatte recht. Kollegen
posteten dort bereits: „Rest in Peace“.
Ich weinte. Tränen tropften auf meine Computertastatur. Ihre Facebook-Wall
war bislang ein von ihr sorgfältig geführtes Tagebuch eines brutalen
Krieges, der da im Herzen des afrikanischen Kontinents unbemerkt vor sich
ging. Jetzt wurde sie zum virtuellen Grabstein einer der mutigsten
Fotografinnen, die ich kannte.
Ihr letzter Facebook-Eintrag war vom 6. Mai. Sie schrieb aus einer
Kleinstadt im Westen des Bürgerkriegslandes – mitten aus dem Niemandsland,
wo sich bislang keine Nichtregierungsorganisation und nicht einmal die
afrikanischen oder französischen Eingreiftruppen hinwagten. Camille war
allein unterwegs, mit dem Motorrad. Sie schrieb, dass die muslimischen
Séléka-Rebellen sich in den Büschen versteckten und Massaker begingen.
Sie berichtete von einem Dorf, in welchem über 150 Menschen getötet worden
waren. Gräueltaten, von welchen nicht einmal die UNO Kenntnis hatte.
Camille war die einzige Zeugin, was dort im Busch tatsächlich vor sich
ging. Wenig später war sie tot.
Man hatte ihre Leiche am Dienstag auf einem Lastwagen entdeckt. Zufällig.
Ihre weiße Haut stach hervor. Sie lag da zwischen weiteren fünf Leichen.
Darauf saßen eine Handvoll Kämpfer der christlichen Anti-Balaka-Milizen,
die sich seit Dezember mit dem muslimischen Séléka-Rebellen einen blutigen
Krieg liefern. Französische Soldaten hatten den Lastwagen gestoppt. Nur
wenige Kilometer von dem Ort entfernt, aus welchem Camille das Massaker
gemeldet hatte, rund 70 Kilometer nordwestlich von Bangui.
## Sie war überall im Land bekannt
Es ist bislang nicht klar, wie sie getötet wurde. Es hatte Kämpfe gegeben
in dieser Gegend. Sie war mit den Anti-Balaka-Milizionären „embedded“
unterwegs gewesen. War sie im Kugelhagel ausversehen getroffen worden oder
hatte man sie gezielt ermordet? Es klingt makaber, dass ich mich in diesem
Moment dafür interessiere, wie sie starb. Doch in einem Bürgerkrieg wie
diesem, in welchem so viel bestialische Gewalt ausgeübt wird, macht dies
einen Unterschied.
Camille hatte selbst so viele Fotos geschossen von Leichen mit
verstümmelten Gliedmaßen, von jungen Männern, die mit abgetrennten Köpfen
Fußball spielen, von Kannibalen, die in ein abgetrenntes Bein hineinbeißen
wie in eine Schweinshaxe. So zu sterben wünscht man keinem, vor allem nicht
der zierlichen Camille.
Sie war so jung. Gerade einmal 26 Jahre. Sie war hübsch, mit großen Augen,
nicht zu bändigenden langen Locken und einem Lachen, das selbst in diesem
Elend und Kriegsgebiet noch ansteckend war. Mit ihrer Lebensfreude und
ihrer Kamera konnte sie ganze Kinderscharen im Flüchtlingslager zum Kichern
und Glucksen bringen. Camille war überall im Land bekannt und auch sie
kannte fast jeden.
Camille arbeitete seit Dezember als freie Fotografin in Zentralafrika. Die
kleine Französin war gerade mit ihrem Journalismus-Studium fertig. Sie
hatte sich auf die Fahnen geschrieben, diesen grausamen Konflikt von A bis
Z zu dokumentieren. Sie hatte sich in Bangui fest einquartiert. Während wir
Kollegen nach ein oder zwei Wochen wieder abreisten und wieder unserem
normalen Leben nachgingen, blieb Camille. Ihre Kamera macht sie zur Zeugin
von gewaltigen Verbrechen, gar von einem Völkermord. Sie hatte eine
Mission.
## Klick für Klick zählte sie die Toten
Sie stand jeden Tag um fünf Uhr auf. Da graute gerade der Morgen, Dunst lag
noch über der Stadt. Ohne zu frühstücken, schnappte sie sich ihre beiden
schweren Kameras und schwang sich ins Auto. Jeden Morgen. Sie fotografierte
die frischen Leichen, die auf der Straße lagen, bevor das Rote Kreuz sie
einsammelte. Tag für Tag, Klick für Klick zählte sie die Toten – in einem
Konflikt, in welchem nicht einmal mehr die UNO Schätzungen anstellt, wie
viele Menschen bislang starben. Von allen Journalisten, Menschenrechtlern
und UN-Mitarbeitern war niemand so nah dran an der brutalen Wirklichkeit
dieses Krieges wie Camille.
Ich bewunderte sie dafür zutiefst. Und fragte mich gleichzeitig, wie sie
das aushielt, wie sie all dies verkraftete. Sie kam einmal zu mir, wollte
reden. Über ihre Angst. Daran merkte ich, wie tapfer sie war. Journalisten
und Fotografen reden normalerweise nicht über Gefühle. Jeder hat sie, jeder
weiß um die Angst des anderen. Wir alle kennen die Albträume, die
Erinnerungen, die auch Wochen später noch quälen. Doch nie spricht jemand
darüber. In dieser Branche ist das tabu. Camille war anders. Sie wollte
reden.
Sie sagte, sie wollte nicht abstumpfen. Sie wollte fühlen, was passiert.
„Ja, ich habe oft Angst“, hatte sie zugegeben. Unter all den alten Hasen
des Kriegsjournalismus, die da um sie herum saßen, war die junge frisch
gebackene Fotografin die mutigste von allen: Sie wollte nicht nur mit ihren
Augen, sondern auch mit ihrem Herzen diesen Konflikt dokumentieren. Das
machte ihre Bilder so einzigartig.
Jedes ihrer Fotos erzählt eine Geschichte von Angst, Wut, Hass und
Verzweiflung. Sie zeigte mir einmal einen Schnappschuss: Eine Handvoll
junger Anti-Balaka-Kämpfer machten sich über ein Mädchen her, die
frittierte Teigbällchen verkaufte. Sie hielten ihr die Machete an die
Kehle. Das Foto war gestochen scharf. „Ich habe ihnen die Teigbällchen
bezahlt, damit sie das Mädchen nicht töten“, hatte Camille gesagt. Ich
musste schlucken.
## Jeder sollte es wissen
Camille hatte eine Grenze überschritten, die für uns Journalisten in diesen
Kriegsgebieten überlebenswichtig ist. Sie war zu nah dran. So nah, dass
sich der Tod und das Grauen schier vor ihre Kamera abspielten. So nah, dass
sie leicht selbst zum Opfer werden konnte. Wer will schon beim Töten und
Massakrieren gefilmt werden?
Was Camille tat, war verdammt gefährlich. Wir sagten ihr das oft. Doch sie
träumte davon, diese Bilder in einer großen Ausstellung der Welt zu zeigen,
„damit niemand mehr sagen kann, er habe nicht gewusst, was da in
Zentralafrika passiert“, hatte sie gesagt. Erst vor wenigen Wochen war sie
nach New York gereist, um dort ihr Portfolio vorzustellen. Ihr Traum schien
wahr zu werden. Für einen kurzen Moment.
Jetzt ist sie tot. Und wir alle, die sie kannten und sie schätzten, müssen
uns fragen: Hätten wir sie nicht aufhalten können, ihr Leben so sehr für
ihre Mission aufs Spiel zu setzen? „Pass auf dich auf“, hatte ich zu ihr
zum Abschied gesagt. Das war bitter ernst gemeint. Aber eben nicht genug.
Ruhe in Frieden, Camille.
14 May 2014
## LINKS
[1] http://www.facebook.com/pages/Camille-Lepage-photographe-journaliste/148837…
## AUTOREN
Simone Schlindwein
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