| # taz.de -- Tote Fotojournalistin Camille Lepage: Woher der Mut? | |
| > Die Fotografin Camille Lepage starb in der Zentralafrikanischen Republik, | |
| > weil sie beim Bürgerkrieg dort nicht wegschauen wollte. | |
| Bild: Camille Lepage am 21. Februar 2014 in der Zentralafrikanischen Republik, … | |
| ANGERS taz | Am 15. April sieht Maryvonne Lepage ihre Tochter Camille zum | |
| letzten Mal. Sie holt sie am Flughafen in Paris ab. Ein paar Stunden Zeit | |
| bleiben, bis die Tochter weiter fliegt. Gemeinsam schlendern sie durch die | |
| Straßen, Camille braucht neue Jeans, T-Shirts, Turnschuhe. Sie kam aus New | |
| York und will nach Bangui, in die Hauptstadt der Zentralafrikanischen | |
| Republik. Um ihre Mutter in Paris zu treffen, hat sie einen späteren | |
| Anschlussflug gebucht. Maryvonne Lepage begleitet ihre Tochter zurück zum | |
| Flughafen und macht ein Foto von ihr, bevor sie zurückfährt nach Angers, | |
| mit dem Zug zwei Stunden Richtung Westen. Vier Wochen später ist die | |
| Tochter tot. | |
| Camille Lepage war eine Fotojournalistin aus Frankreich. Am 13. Mai wurde | |
| ihre Leiche auf einem Lastwagen im Westen der Zentralafrikanischen Republik | |
| gefunden, zwischen weiteren Toten. Dort hatte sie christliche | |
| Anti-Balaka-Rebellen auf Patrouille begleitet, als die Gruppe von | |
| muslimischen Ex-Séléka-Rebellen angegriffen wurde. Camille wurde 26 Jahre | |
| alt. | |
| Camille Lepage wagte sich in Gebiete, in die sich selbst französische und | |
| zentralafrikanische Militärs nicht trauen. Woher die Motivation, woher der | |
| Mut? Und wie lebt eine Mutter damit, dass die Tochter ihr Leben riskierte, | |
| um die Gräueltaten anderer zu dokumentieren? | |
| Lebenslustig sei Camille Lepage gewesen, sagen die Kollegen und | |
| Kolleginnen, neugierig, risikofreudig. Eine, die eine Grenze überschritten | |
| habe. Eine, die zu nah dran gewesen sei an Grauen und Tod. Maryvonne | |
| Lepage, die Mutter, 63, blonder Haarschopf, schwarze Brille, Nägel und | |
| Make-up perfekt, sieht das anders. | |
| „Wenn man so einen Beruf ausübt, dann lebt man mit der Gefahr. Sonst fährt | |
| man nicht hin“, sagt sie, während sie im Schaukelstuhl im Wohnzimmer sitzt | |
| und raucht. Ihr Haus stand schon im 16. Jahrhundert in Angers, inmitten der | |
| Altstadt, die zum Weltkulturerbe gehört. Sie hat eine Jacke an, einen Schal | |
| um – drinnen wird es nie richtig warm. Als im Dezember der Bürgerkrieg in | |
| Bangui ausbrach, sei ihre Tochter die einzige Fotojournalistin gewesen. „Da | |
| musste sie doch vor Ort bleiben.“ | |
| ## Das Engagement ihrer Tochter steht niemals in Frage | |
| Maryvonne Lepage wirkt entschieden, wenn sie spricht. Sie stellt das | |
| Engagement ihrer Tochter niemals in Frage. So wie sie es ihr versprochen | |
| hatte, als Camille das Okay von ihrer Familie wollte, bevor sie nach Juba, | |
| der Hauptstadt des Südsudan, zog. „Ich habe manches in meinem Leben bereut. | |
| Dinge, die ich nicht gemacht habe“, sagte Lepage damals zu ihrer Tochter. | |
| „Wenn du glaubst, das ist das Richtige, dann musst du es tun.“ | |
| Camilles Bruder Adrien war gegen die Pläne seiner Schwester. Die Mutter | |
| erzählt das widerwillig und betont, dass er aus Liebe zu Camille, aus Angst | |
| um sie dagegen gewesen sei. Sie verteidigt ihn, obwohl beide wussten, dass | |
| es töricht gewesen wäre, seiner sieben Jahre jüngeren Schwester die Idee | |
| ausreden zu wollen, alleine in ein Land zu ziehen, das sich gerade neu | |
| gegründet hat. Um von dort über die Lebenssituation der Menschen in der | |
| umstrittenen Grenzregion der Nuba-Berge zu berichten – einem Konfliktherd, | |
| von dem die wenigsten in Europa bis heute je gehört haben. | |
| Camille, lange braune Haare, zierlich, zog mit 23 nach Juba, da war sie | |
| eben fertig mit ihrem Studium in Southampton in England, im Gepäck neben | |
| den Kameras Bücher und die Kletterschuhe. | |
| Ihre Mutter schlief fortan nur noch mit ihrem Handy neben dem Kopfkissen, | |
| Computer und Skype waren Tag und Nacht an, selbst bei der Arbeit – sie war | |
| Leiterin der Personalabteilung der Handelskammer in Angers – ließ sie ihre | |
| Gesprächspartner warten, wenn Camille anrief. | |
| Maryvonne Lepage beschreibt das Verhältnis zwischen sich und der Tochter | |
| als sehr speziell: „Ich liebe meinen Sohn Adrien – wir haben ein normales | |
| Verhältnis. Camille und ich aber, wir waren uns schon immer sehr, sehr, | |
| sehr nah.“ | |
| ## Gespräche per Skype über Nagellack und Haarfarben | |
| Sobald Camille Verbindung zum Internet hatte, rief sie ihre Mutter über | |
| Skype an. „Ich saß immer am Esszimmertisch, manchmal hat es sich angefühlt, | |
| als säße sie mir gegenüber.“ Maryvonne Lepage sprach mit ihrer Tochter üb… | |
| Alltägliches, über Nagellack, Haarfarben. Für solche Sachen hat sie sich | |
| interessiert, während sie ohne Strom und Wasser in einem kleinen Haus in | |
| Juba wohnte? „Na klar. Als ich mir eine neue Brille kaufte, war Camille die | |
| Erste, die ich gefragt habe, wie sie sie findet.“ | |
| Camille erzählte auch von alltäglichen Dingen, was sie aß, wie sie schlief. | |
| Aber niemals von all dem Grauen, das sie jeden Tag fotografierte. Kein Wort | |
| davon, dass sie täglich früh morgens ins Auto stieg, um zu dokumentieren, | |
| wie viele Leichen an den Straßen lagen. „Ich glaube, sie hat es sich selbst | |
| verboten, etwas darüber zu sagen – um mich zu schützen.“ | |
| Maryvonne Lepage war nie in Afrika, nicht im Südsudan, nicht in der | |
| Zentralafrikanischen Republik. Ihre Tochter hätte das nicht gewollt, sagt | |
| sie. „Das war ihr Leben. Es wäre ihr unangenehm gewesen, dass ich nicht | |
| gewusst hätte, wie ich mich richtig verhalte.“ Jetzt denkt sie manchmal | |
| darüber nach, dorthin zu fahren, wo Camille gestorben ist. „Aber da muss | |
| man stark sein, und im Moment will ich keine Dinge tun, die mir noch mehr | |
| wehtun.“ | |
| Im September 2013, als der zentralafrikanische Präsident François Bozizé | |
| aus dem Amt vertrieben wurde und sich muslimische und christliche | |
| Rebellengruppen immer verbissener bekämpften, zog Camille in die Hauptstadt | |
| Bangui. Zwei Monate später explodierte die Gewalt. Anfang Dezember landeten | |
| weitere französische Einsatzkräfte, die den Konflikt befrieden sollten. | |
| ## „Ich glaube, sie hatte Albträume“ | |
| Lange stand deshalb nicht fest, ob sie an Weihnachten 2013 nach Hause in | |
| die heile Welt von Angers kommen würde. Und vor allem: in welcher | |
| psychischen Verfassung? Camille kam nach Hause, war aber verschlossener als | |
| sonst, berichtet die Mutter. Sie habe sich sichtlich unwohl gefühlt in der | |
| Idylle, mit all den Geschenken, dem Essen, dem Glück der Familie. „Ich | |
| glaube, sie hatte Albträume“, sagt Lepage. Ob Camille Angst hatte? „Das | |
| weiß ich nicht. Aber sie war ein bisschen wie ich. Und ich habe keine | |
| Angst.“ | |
| Nach Weihnachten reiste Camille zurück nach Bangui, dann der Zwischenstopp | |
| in Paris am 15. April, dann der 12. Mai. Sie saß auf einem Motorrad, als | |
| sie von einer Kugel der Ex-Séléka-Rebellen in den Kopf getroffen wurde. | |
| Am 13. Mai um 18.15 Uhr klingelte in Angers das Telefon. Maryvonne Lepage | |
| trank gerade Tee mit ihrer Nachbarin. Am anderen Ende ein Mitarbeiter des | |
| Krisenstabs des Außenministeriums. Sie ahnte, Camille ist tot, bevor er es | |
| sagte. | |
| Was der innere Antrieb von Camille war, diese Frage stellt sich Maryvonne | |
| Lepage nicht. Es liegt für sie auf der Hand, dass man etwas tun muss, wenn | |
| man das Bedürfnis verspürt. Und Camille Lepage hatte sich entschieden, dass | |
| zu wenig über den Konflikt der Milizen berichtet wurde, sie war vor Ort und | |
| hatte Zugang zu den Menschen. | |
| ## Das Engagement bewahrt sie vor dem Untergang | |
| Woher ihr Bedürfnis kam, spielt für ihre Mutter keine Rolle. Und doch ist | |
| ihre Wertschätzung, ihre Hochachtung für Camilles Tun so hoch, dass sie | |
| jetzt ihr eigenes Leben in deren Sinne weiterlebt. Sie ist gerade in Rente | |
| gegangen und hat einen Verein gegründet, der einen Preis für freie | |
| Fotojournalisten ausloben will. Bereits sechs Monate nach dem Tod ihrer | |
| Tochter hat sie eine Ausstellung ihrer Fotografien in Angers organisiert. | |
| Dieses Engagement bewahre sie vor dem Untergang, sagt sie. | |
| Vom Eingang des Grand Théâtre blicken die ernsten Augen von Camille über | |
| den davor liegenden Platz, auf dem ein Karussell steht, Glühwein und | |
| Kunsthandwerksstände. Es ist Dezember, Weihnachtsmarktzeit. | |
| Am Eingang der Ausstellung sind Erinnerungen von Camille zu sehen: | |
| aufgeschlagene Notizbücher, ein Buch von ihrem Lieblingsfotografen Robert | |
| Capa, sogar ihr Reisepass. Camille Françoise Lepage, Geburstdatum: 28. | |
| Januar 1988. Geburtsort: Angers. Drinnen hängen Fotos, die Camille im | |
| Südsudan und in der Zentralafrikanischen Republik gemacht hat. Und Bilder, | |
| die sie selbst zeigen, aufgenommen von einem befreundeten Journalisten, | |
| Jonathan Pednault. Camille auf dem Lastwagen, Camille im Schlamm, Camille | |
| mit Kindern. Immer mit denselben auffälligen Turnschuhen, schwarz-weiß mit | |
| Schnürsenkeln in Neonpink. Fast immer lacht sie, immer hängen zwei Kameras | |
| um ihren Hals. | |
| Wie sehr muss es eine Mutter schmerzen, ihr glückliches Kind zu betrachten, | |
| das jetzt nicht mehr lebt? „Ich habe die Bilder schon so oft gesehen, das | |
| ist okay“, sagt Lepage. Sie zieht wortlos ihr Handy hervor und schiebt die | |
| Apps zur Seite. Ein Bild von Camille erscheint, ein Schnappschuss, so nah | |
| aufgenommen, dass außer ihrem Gesicht nichts zu sehen ist. Keine Kleidung, | |
| keine Umgebung. „Das tut mir weh.“ Es ist das Bild vom Flughafen, | |
| aufgenommen am 15. April, als sie sie zum letzten Mal sah. | |
| 27 Dec 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Laura Backes | |
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