| # taz.de -- Konflikt in Zentralafrika: Ein versehrtes Dorf | |
| > Fast alle Muslime sind aus Zentralafrika vertrieben. Die Bewohner des | |
| > Örtchens Gbakara hoffen, dass sie nie mehr wiederkommen. | |
| Bild: Vertriebene Muslime aus der Hauptstadt Bangui werden in Lastern in die n�… | |
| GBAKARA taz | Als sich das Geräusch eines Autos nähert, verstummen die | |
| Gespräche. Misstrauisch und schweigend schauen die Leute auf dem Wagen. Die | |
| Kinder stehen kurz still, geben dann aber ihrer Neugier nach und rennen zu | |
| der unbefestigten Straße, die Gbakara in zwei Hälften teilt. „Die Furcht | |
| vor Autos ist noch immer da. Die Kämpfer von Séléka kamen immer in kleinen | |
| Lieferwagen“, erklärt Marie Mboisona. | |
| Sie ist die Frau des Dorfchefs Félicien, eines mageren Mannes, der noch | |
| heute mit den grausamen Strapazen des vergangenen Jahres kämpft. Gbakara, | |
| rund 300 Kilometer nördlich der zentralafrikanischen Hauptstadt Bangui, | |
| wurde bis vor Kurzem immer wieder von Séléka angegriffen, einem Bündnis | |
| überwiegend muslimischer Milizen aus dem marginalisierten Nordosten des | |
| Landes. | |
| Zehn Monate lang, von März 2013 bis Januar 2014, regierte Séléka die | |
| Zentralafrikanischen Republik. Für die meisten Menschen in Gbakara waren | |
| das zehn Monate Terror. „Die Kämpfer nahmen unsere Nahrungsvorräte mit, die | |
| Hühner und sogar die Küken“, sagt Marie Mboisona. „Sie steckten unsere | |
| Häuser in Brand und ermordeten Dorfbewohner.“ | |
| ## Rund drei Viertel des Dorfes sind zerstört | |
| Sie sitzt auf einem der wenigen Stühle, die in dem Dorf übrig geblieben | |
| sind. Er ist gebastelt aus Teilen anderer Stühle, zusammengehalten mit | |
| einem ausgefranstem Seil und rostigen Nägeln. „Manchmal versprachen die | |
| Kämpfer der Séléka, uns in Ruhe zu lassen, wenn wir sie bezahlten. Aber sie | |
| wollten zu viel.“ Umgerechnet 75 Euro forderten die Milizionäre. | |
| Die Anwohner, überwiegend Bauern mit kleinen Feldern, die kaum zum eigenen | |
| Lebensunterhalt reichen, konnten sich das nicht leisten. Also gingen wieder | |
| Häuser in Flammen auf. Rund drei Viertel des Dorfes wurden zerstört. | |
| Auch rund ein Dutzend muslimischer Familien lebten in Gbakara, vor allem | |
| Händler und Viehzüchter. Die hatten keine Angriffe zu befürchten. „Die | |
| Muslime wurden arrogant und führten sich auf, als ob sie die Chefs hier | |
| wären. Sie erzählten Séléka sogar, wo wir uns im Wald versteckten“, sagt | |
| Marie Mboisona. | |
| ## Stille auf der Handelsroute | |
| Etwa 25 Kilometer entfernt von Gbakara entlang der Straße nach Bouca liegt | |
| das Städtchen Bossangoa. Vor dem Beginn des Konflikts gab es hier relativ | |
| viel Handelsverkehr. Jetzt herrscht Stille. Nur manchmal kommt ein Moped | |
| vorbei. Die Dörfer entlang der Strecke sehen alle gleich aus: Häuser aus | |
| gebrannten Ziegeln mit Schilfdächern. Direkt dahinter beginnt der Busch, | |
| Bäume und Sträucher, dazwischen ab und zu gerodete Freiräume für Felder. | |
| „Die dichte Vegetation hat uns gerettet“, sagt Marie Mboisona. „Séléka | |
| wagte sich nicht in den Busch hinein. Wir versteckten uns dort, sobald wir | |
| die Autos hörten. Manchmal lebten wir dort Tage, oder auch Wochen.“ Die | |
| Dorfbewohner aßen in dieser Zeit Früchte und schliefen unter dem | |
| Sternenhimmel. | |
| Im Januar wurde Séléka von den vorwiegend christlichen Anti-Balaka-Milizen | |
| vertrieben und zog sich aus dem Westen und Süden Zentralafrikas zurück in | |
| den Nordosten. Jetzt versucht die Bevölkerung von Gbaraka, den Alltag | |
| wiederaufzunehmen. Ziegel trocknen in der Sonne, kleine Bäume werden mit | |
| Macheten zerhackt. Es mangelt jedoch an Schilf. „Wir brauchen dringend | |
| etwas für die Dächer, weil die Regenzeit bald anfängt“, sagt Marie Mboisona | |
| beim Spaziergang durch das Dorf. „Das meiste Schilf ging in Flammen auf, | |
| zusammen mit unseren Ernten.“ | |
| ## Fruchtbare Böden liegen brach | |
| Nun bauen viele Anwohner ihre Häuser wieder auf. Auf den Feldern aber | |
| können sie nicht arbeiten. Saatgut und Werkzeuge sind gestohlen oder | |
| verbrannt. Die Region ist sehr fruchtbar, mit guter Erde, einer Regenzeit, | |
| die ein halbes Jahr dauert und außerdem einem Netz von Flüssen. Doch es | |
| sieht danach aus, dass die Anwohner dieses Jahr Nahrungsmittelhilfe | |
| brauchen werden, zumindest in den kommenden Monaten – so wie über die | |
| Hälfte der Bevölkerung der Zentralafrikanischen Republik. | |
| Der Rundgang durch das Dorf führt an zwei Kirchenruinen vorbei. In der Ecke | |
| von einer davon liegt ein Schild mit der Aufschrift: „Église Baptiste“ – | |
| Baptistische Kirche. Im Schatten der hohen Bäume stehen provisorische | |
| Kirchenbänke aus Baumstämmen für Gottesdienste im Freien. Die Felge eines | |
| Wagenrads und eine Eisenstange dienen als Kirchenglocke. | |
| Wie überall in Zentralafrika lebten Christen und Muslime bislang in Gbakara | |
| friedlich zusammen. Es gab in dem Dorf auch eine Moschee. Nun ist sie | |
| zerstört, genau wie die Kirchen. Das war die Rache der Anti-Balaka. Die | |
| Milizionäre haben die Muslimen von Gbakara vertrieben oder getötet. Den | |
| Begriff „Anti-Balaka“ gab es lange vor Séléka. Damit wurden lokale | |
| Bürgerwehren bezeichnet, die sich in ländlichen Gebieten formierten, weil | |
| es im schlecht funktionierenden zentralafrikanischen Staat an Polizeischutz | |
| fehlte. | |
| ## Aus der Selbsthilfe wurde ein Kampf gegen die Muslime | |
| Die Mitglieder dieses Milizen-Bündnisses sehen sich vor allem als | |
| „ursprüngliche“ Bewohner ihrer Gegend. Als Séléka kam, wurde aus der | |
| Selbsthilfe der Bürgerwehren ein Kampf gegen die Muslime. Denn diese | |
| stammen ursprünglich oft aus Nachbarländern wie Tschad und Sudan. Aus dem | |
| Westen und Süden der Zentralafrikanischen Republik sind inzwischen fast | |
| alle Muslime vertrieben. Besonders gründlich waren die ethnischen | |
| Säuberungen in der Region um Bossangoa, in der Gbakara liegt. | |
| Am Rande des Dorfes sitzt eine Gruppe junger Männern im Schatten eines | |
| Baumes. Die Hände liegen locker auf Messern, die an ihren Gürtel hängen. | |
| Auf dem Boden liegen scharfe Macheten. Einer der Männer trägt ein buntes, | |
| großes Taschentuch um den Hals und eine Sonnenbrille mit nur einem Glas. | |
| Ein anderer hat sich, trotz der Hitze, die Kapuze seines Sweatshirts über | |
| den Kopf gezogen. „Gib mir dein Handy. | |
| Du kommst nicht weg damit“, droht er. Das ist die lokale Anti-Balaka-Miliz. | |
| Sie alle haben Amulette um den Hals hängen, meist Lederbeutelchen mit einen | |
| Pulver, das sie gegen Patronen schützen soll. Sie versuchen, sich möglichst | |
| abschreckend zu benehmen. Aber wenn ein Päckchen Zigaretten auftaucht, | |
| bricht ein breites Lachen durch. Vergessen ist das Handy. Es gibt ja | |
| sowieso kein Netz in Gbakara. | |
| ## Jüngere Milizionäre hören auf ältere | |
| „Sie verhalten sich besser als ihre Kollegen, die in die Städte gingen“, | |
| sagt Dorfchef Mboisona. Vor allem die Anti-Balaka-Milizen in Bangui haben | |
| einen sehr schlechten Ruf. „Unsere Männer sind zu Hause geblieben, wo | |
| traditionelle Regeln gelten und Jüngere hören auf Ältere.“ Nicht nur im | |
| Gbakara gelten die Anti-Balaka als vergleichsweise diszipliniert, sondern | |
| in der ganzen Region rund um die Stadt Bossangoa. | |
| Ein Grund ist, dass sie dort von früheren hohen Offizieren des gestürzten | |
| Präsidenten François Bozizé geführt werden, der selbst aus dieser Gegend | |
| stammt. Bozizé wurde im März 2013 von Séléka vertrieben; nun soll er mal in | |
| Kamerun, mal in Frankreich leben und besorgt Waffen und Geld für die | |
| Milizen. Er war ein guter Präsident, sagen die Anti-Balaka von Gbakara. | |
| Marie Mboisona läuft zurück zu ihrem Haus, wo ihr Mann die Einwohner zur | |
| Versammlung zusammengerufen hat. Die Dörfler sitzen unter einem riesigen | |
| Mangobaum, der voll mit unreifen Früchten hängt. Félicien Mboisona teilt | |
| der Versammlung mit, dass es immer mehr Berichte über neue Angriffe von | |
| Séléka gibt. Die Attacken fänden nur ein Dutzend Kilometer nördlich von | |
| Gbakara statt. | |
| ## "Wir werden zurückschlagen" | |
| Geflohene muslimische Milizen haben sich offensichtlich neu formiert. „Sie | |
| haben Gewehre und Munition, während wir nur Messer und Macheten besitzen“, | |
| sagt Mboisona. Ein junger Mann in zerrissenem Hemd unterbricht den | |
| Dorfchef: „Aber wir sind wachsam. Wir werden zurückschlagen, wenn sie | |
| kommen!“ | |
| In die ausländischen Eingreiftruppen haben die Dorfbewohner wenig | |
| Vertrauen. Nur Soldaten aus Frankreich möchte Félicien Mboisona in der | |
| Gegend haben. Die ehemalige Kolonialmacht agiert noch immer als | |
| Strippenzieher in der zentralafrikanischen Politik. „Am Anfang der | |
| Befreiung von den Muslimen waren hier die Franzosen. Das waren gute | |
| Soldaten. Séléka hatte Angst vor denen. Aber die Franzosen sind weg und | |
| Séléka ist nicht vollständig besiegt.“ | |
| In Dörfern wie Gbakara sehen die Menschen keinen Unterschied zwischen | |
| Séléka und Muslimen. Umgekehrt sind für Muslime Anti-Balaka und Christen | |
| dasselbe. Das Land ist tief gespalten. Die Frage, ob Muslime je wieder in | |
| Gbakara leben werden, wird auf der Versammlung mit lautem Johlen | |
| beantwortet. Die Menschen schreien durcheinander. Obwohl Priester zur | |
| Versöhnung aufrufen, sind die Dorfbewohner nur an einem interessiert: | |
| Rache. „Nie wieder ein Muslim in Gbakara“, sagen sie. „Nie wieder Muslime | |
| im Land. Nie!“ | |
| 4 May 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Ilona Eveleens | |
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