# taz.de -- Urteil des IStGH: Zwölf Jahre Haft für zentralafrikanischen Warlo… | |
> Wegen Kriegsverbrechen und Einsatz von Kindersoldaten muss Patrice Eduard | |
> Ngaïssona ins Gefängnis. Ebenfalls verurteilt wurde sein Kommandant. | |
Bild: Patrice-Edouard Ngaissona (M) vor dem Internationalen Strafgerichtshof (I… | |
Kampala taz | Es war ein „außergewöhnlich komplexer“ Fall, kommt der | |
oberste Richter der fünften Strafkammer des Internationalen | |
Strafgerichtshofes (IStGH) in den Haag zum Schluss. Dann verliest er das | |
Urteil. | |
Nach [1][über vier Jahren Verhandlungen], mehr als 170 Zeugenanhörungen und | |
der Sichtung von über 20.000 Beweismitteln, darunter Satellitenbilder und | |
Facebook-Chats, wurden am Donnerstag die beiden Angeklagten aus der | |
Zentralafrikanischen Republik schuldig gesprochen: unter anderem wegen | |
Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie dem Einsatz von | |
Kindersoldaten unter 15 Jahren. | |
Der ehemalige Jugend- und Sportminister sowie Chef des Fußballverbandes in | |
der Zentralafrikanischen Republik (ZAR), [2][Patrice Eduard Ngaïssona], | |
wurde zu 12 Jahren verurteilt, wobei er sechs Jahre bereits abgesessen hat. | |
Der einflussreiche Politiker war im März 2013 mit dem damaligen Präsidenten | |
Francois Bozizé ins Nachbarland Kamerun geflohen, als die Rebellen der | |
muslimischen Rebellenkoalition „Seleka“ aus dem Norden des Landes die | |
Hauptstadt Bangui im Süden eroberten und Bozizés Regierung stürzten. | |
Der deutsche Richter Bertram Schmitt fand es in seinem Urteil als | |
ausreichend bewiesen an, dass Ngaïssona im Jahr 2013 zunächst aus dem Exil | |
heraus und nach seiner Rückkehr nach Bangui im Januar 2024 die zahlreichen | |
christlichen Bürgerwehren, [3][Anti-Balaka] genannt, im Süden des Landes | |
als „oberster Koordinator“ organisiert und zum gemeinsamen Angriff auf die | |
von der Seleka besetzte Hauptstadt Bangui im Dezember 2013 orchestriert und | |
auch finanziert hat. Vom Exil aus, so der Richter, war Ngaïssona „aktiv an | |
der Planung von Maßnahmen zur Reaktion auf die Gewalt der Seleka in der | |
Zentralafrikanischen Republik und zur Sicherstellung der Rückkehr von | |
François Bozizé an die Macht beteiligt.“ | |
## 15 Jahre für Alfred Yekatom | |
Nach seiner Rückkehr Anfang 2014 habe er dann in dieser Funktion die | |
Anti-Balaka-Bewegung als „geschlossene Einheit gegenüber nationalen und | |
internationalen Behörden“ repräsentiert. Catherine Samba-Panza, die | |
damalige Übergangspräsidentin in Zentralafrika, habe als Zeugin vor dem | |
Gericht klar bestätigt, so der Richter: nämlich, dass sie „auf Seiten der | |
Anti-Balaka-Bewegung keinen anderen Ansprechpartner als Herrn Ngaïssona | |
hatte.“ Er kommt zum Schluss: „Herr Ngaïssona engagierte sich aktiv für d… | |
Formalisierung der Struktur der Anti-Balaka-Bewegung und leistete weiterhin | |
finanzielle Unterstützung.“ | |
Anti-Balaka-Kommandant [4][Alfred Yekatom], der gemeinsam mit Ngaïssona für | |
seine Rolle in der Anti-Balaka angeklagt war, erhielt insgesamt 15 Jahre | |
Haft, wovon er sieben bereits abgesessen hat. Der ehemalige Armeeangehörige | |
hatte beim koordinierten Angriff auf Bangui mit dem Ziel der Rückeroberung | |
im Dezember 2013 eine einschlägige Rolle übernommen. | |
Indem er mit seiner Pistole in die Luft feuerte, erließ er quasi den | |
Startschuss für seine Anti-Balaka-Truppen, die mehrheitlich aus Kindern und | |
Jugendlichen bestanden, um den Stadtteil Boeing anzugreifen, wo der | |
Zentralmarkt liegt und muslimische Händler Geschäfte betrieben. Diese | |
muslimischen Händler seien entweder getötet oder gezielt vertrieben worden, | |
die Moschee in Boeing wurde komplett zerstört. | |
Er wurde schuldig gesprochen unter anderem auch für „Angriffe auf die | |
Zivilbevölkerung als solche, Mord, Zwangsumsiedlung und Deportation“, so | |
der Richter. Hinzu kamen „Angriffe auf ein der Religion gewidmetes Gebäude, | |
Folter, grausame Behandlung, andere unmenschliche Taten, Inhaftierung und | |
andere schwere Formen der Freiheitsberaubung sowie Verfolgung.“ | |
## Nicht an sich religiös motiviert | |
Richter Schmitt erwähnt in seiner Zusammenfassung des Verfahrens | |
ausdrücklich ein Motto von Yekatoms Anti-Balaka-Milizionären, die sich nach | |
dem Sturm auf Bangui im Gebäude der Yamwara-Schule in der Hauptstadt | |
verschanzt hatten und von dort aus im ganzen Viertel Straßensperren | |
errichteten, um nach Muslimen zu suchen, die sie als „Verbündete und | |
Komplizen“ der muslimischen Seleka-Rebellen betrachteten. | |
„Häuten wie eine Papaya“ brüllte Yekatoms Einheit, wenn sie Muslime | |
gefangen nahmen. Der Richter zitiert eine muslimische Opferzeugin, die an | |
dieser Straßensperre von den Anti-Balaka vergewaltigt worden war, was | |
dieser Ausdruck für sie bedeutete: „Für jemanden, der eine Machete trägt | |
und keine Früchte in den Händen hält, ist es ein Bild, das zeigt, dass die | |
Frucht, die heute gehäutet werden sollte, wir gewesen wären. Es ist ein | |
Bild, ein sehr starkes Bild. Uns war völlig klar, dass es bedeutete, dass | |
wir an diesem Tag begraben würden.“ | |
Zuletzt sei es wichtig zu betonen, kommt Richter Schmitt zum Schluss, dass | |
der Konflikt zwischen den muslimischen Seleka-Rebellen und den christlichen | |
Anti-Balaka-Milizen von 2013 bis 2014 nicht an sich religiös motiviert war, | |
sondern, so der vorsitzende Richter: „Die verschiedenen Gruppen und ihre | |
Anführer jedoch die Religion instrumentalisierten, um politische und | |
wirtschaftliche Macht zu erlangen.“ | |
Da der IStGH keine Haftanstalt für verurteilte Straftäter hat, werden die | |
beiden Verurteilten demnächst in ihr Heimatland in die Zentralafrikanische | |
Republik überstellt, um dort ihre verbliebene Haftzeit abzusitzen. In | |
Bangui hingegen kriselt es. Beim derzeitigen Präsidenten Faustin-Archange | |
Touadéra wurde jüngst Darmkrebs diagnostiziert. Er wird von den russischen | |
Söldnern der Wagner-Truppen beschützt. Doch der politische Kampf um seine | |
Nachfolge ist bereits im vollen Gange. | |
25 Jul 2025 | |
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## AUTOREN | |
Simone Schlindwein | |
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