# taz.de -- Debatte Strompreise und Energiewende: Große Koalition gegen Verbra… | |
> Auch nach der Bund-Länder-Einigung werden private Stromkunden übermäßig | |
> zur Kasse gebeten – zum Nutzen von Industrie und Versorgern. | |
Bild: Ob Kohle, ob Windkraft: Die Kleinverbraucher zahlen drauf. | |
Nach dem Gipfeltreffen von Bund und Ländern am Dienstag Abend steht fest: | |
Der ganz große Angriff auf die Energiewende konnte offenbar zunächst | |
abgewehrt werden. Den verrückten Plan von Bundeswirtschaftsminister Sigmar | |
Gabriel, ausgerechnet den Ausbau der Windkraft an Land massiv zu bremsen, | |
obwohl sie die billigste Form der umweltfreundlichen Energieerzeugung ist, | |
konnten die Bundesländer mit geschlossenem Auftreten und guten Argumenten | |
stoppen. | |
Keine Lösung zeichnet sich hingegen für ein anderes, grundlegendes Problem | |
der Energiewende ab: Ihre Kosten werden weiterhin massiv übertrieben und | |
extrem ungerecht verteilt. Ob Union, SPD oder Grüne: Politiker aller | |
anwesenden Parteien hielten bei der Vorstellung des erreichten Kompromisses | |
daran fest, dass die nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz benannte | |
EEG-Umlage in Zukunft möglichst nicht weiter steigen solle. Sie macht mit | |
6,2 Cent pro Kilowattstunde derzeit fast ein Viertel des Strompreises von | |
Privatleuten aus. | |
Als Preisschild für die Energiewende taugt diese Zahl, die jeder Stromkunde | |
auf seiner Rechnung findet, aber schon lange nicht mehr. Berechnet wird die | |
EEG-Umlage, indem die höheren Vergütungen, die Ökostromproduzenten im | |
Vergleich zum Durchschnittspreis an der Strombörse bekommen, auf die | |
Stromkunden umgelegt werden. Doch tatsächlich ist die Umlage in den letzten | |
Jahren mehr als doppelt so stark gestiegen wie die realen Zahlungen für den | |
Ökostrom. | |
Diese Entwicklung hat vor allem zwei Gründe: Zum einen werden die Kosten | |
der Energiewende auf immer weniger Verbraucher umgelegt, weil in jedem Jahr | |
mehr Industriebetriebe von der EEG-Umlage ausgenommen werden. Zum anderen | |
sinken die Börsenstrompreise, die der Vergleichsmaßstab bei der Berechnung | |
der Ökostrom-Umlage sind, seit Jahren. Obwohl die Energiewende den Strom | |
billiger macht, scheinen ihre Kosten dadurch immer höher. | |
## Übertriebene Privilegien | |
Beide Probleme ließen sich leicht lösen. Vor der Bundestagswahl schien es | |
bereits breiter Konsens zu sein, dass die Privilegien vieler | |
Industriebetrieben beim Strompreis völlig übertrieben sind. Praktisch alle | |
Parteien wollten die Ausnahmen einschränken und nur jene Firmen von der | |
EEG-Umlage befreien, die wirklich im internationalen Wettbewerb stehen. | |
Und selbst für diese Unternehmen macht eine Befreiung nur teilweise Sinn. | |
Zumindest in dem Umfang, in dem der Börsenpreis aufgrund der Energiewende | |
gesunken ist, könnten auch wettbewerbs- und energieintensive Betriebe an | |
den Ökostromkosten beteiligt werden, ohne dass ihnen irgendein Nachteil | |
entstehen würde. | |
Doch davon ist seit der Bundestagswahl keine Rede mehr. Inzwischen | |
wetteifern Union und SPD darum, wer der energieintensiven Industrie stärker | |
entgegenkommt. Und auch Grüne wie Winfried Kretschmann mögen da nicht | |
wirklich abseits stehen. Statt die Privilegien der Industrie | |
einzuschränken, sollen sie nun womöglich sogar ausgeweitet werden. | |
## Das Märchen von den Arbeitsplatzverlusten | |
Dafür gibt es keinerlei nachvollziehbaren Grund. Die deutsche Industrie | |
steht im internationalen Wettbewerb hervorragend da, wie die jährlich | |
steigenden Exportüberschüsse beweisen. Bei der energieintensiven Industrie, | |
die von praktisch allen Abgaben und Umlagen befreit ist und nur den reinen | |
Börsenstrompreis bezahlt, sind die Stromkosten in den letzten Jahren so | |
stark gesunken, dass sich die europäischen Nachbarn bereits über den | |
ungerechten Vorteil beschweren. Dass eine stärkere Beteiligung der | |
Wirtschaft an den Energiewende-Kosten zu massiven Arbeitsplatzverlusten | |
führen würde, ist also ein Märchen, das von der Politik erstaunlich | |
unkritisch weiterverbreitet wird. | |
Und selbst wenn höhere Strompreise einigen energieintensiven Unternehmen | |
Probleme machen würden, ist keinesfalls gesagt, dass sich das auf | |
Volkswirtschaft und Arbeitsmarkt insgesamt negativ auswirken würde. Denn | |
wenn die Strompreise für energieintensive Industrien subventioniert werden, | |
werden diese zwar wettbewerbsfähiger, die Kosten dafür müssen jedoch andere | |
tragen. | |
Zum einen die Verbraucher, deren Nachfrage nach anderen Produkten durch die | |
höheren Ausgaben für Strom nachlässt, was wiederum an anderer Stelle zu | |
Arbeitsplatzverlusten führen kann; zum anderen die nicht-privilegierte | |
Industrie, deren Wettbewerbsfähigkeit aufgrund der erhöhten Kosten sinkt, | |
was ebenfalls Arbeitsplätze kosten kann. Weil die energieintensive | |
Industrie meist nicht besonders arbeitsintensiv ist, können die | |
subventionierten Energiepreise am Ende sogar das Gegenteil dessen bewirken, | |
was sie eigentlich erreichen sollen: In anderen Bereichen gehen mehr | |
Arbeitsplätze verloren, als durch die Subventionen in der energieintensiven | |
Industrie gerettet werden. | |
## Wucher-Preise bleiben möglich | |
Allein gelassen werden die Verbraucher auch weiterhin bei überhöhten | |
Preisen ihrer Stromversorger. Vor allem jene Kunden, die – zum Beispiel | |
wegen fehlender Bonität – noch nie den Anbieter gewechselt haben, zahlen in | |
der Regel deutlich zu viel. Denn die sinkenden Börsenpreise, die in den | |
letzten Jahren rund 3 Cent pro Kilowattstunde ausmachen, haben viele | |
Anbieter nicht oder nur teilweise weiter gegeben. Allein dadurch zahlen die | |
Kunden jedes Jahr mindestens 500 Millionen Euro zu viel. | |
Solche Wucher-Preise ließen sich leicht verhindern, indem die Strompreise | |
wieder staatlich kontrolliert würden – wie es bis 2007 noch der Fall war. | |
Im Wahlkampf hatte die SPD dies noch lautstark gefordert; doch inzwischen | |
ist davon nichts mehr zu hören. Auch eine Ausschreibung, die die | |
Grundversorgung jeder Region an den Anbieter überträgt, der sie am | |
günstigsten sicherstellt, wäre eine Lösung. | |
Beides würde jedoch die Profite der Stromversorger deutlich schmälern Und | |
zu denen gehören nicht nur die vier großen Energiekonzerne, sondern auch | |
viele Stadtwerke, deren Schicksal den Sozialdemokraten so sehr am Herz | |
liegt. | |
Nach gut 100 Tagen großer Koalition steht damit fest: Das Versprechen an | |
die Verbraucher, für sinkende Strompreise zu sorgen, hatte gegen die klaren | |
Interessen von Stromversorgern und Industrie keine Chance. | |
2 Apr 2014 | |
## AUTOREN | |
Malte Kreutzfeldt | |
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