| # taz.de -- Schienenverkehr in Europa: Größenwahn statt Bürgerbahn | |
| > Die Eisenbahnpolitik setzt auf Prestige-Projekte. Dabei könnte mit wenig | |
| > Geld viel für den grenzüberschreitenden Verkehr erreicht werden. | |
| Bild: Eine ur-europäische Erfindung: die Eisenbahn. | |
| BERLIN taz | Sie wurde in Europa erfunden, und sie erfreut sich dort | |
| größerer Beliebtheit als anderswo: die Eisenbahn. Aber ein einheitliches | |
| Eisenbahnnetz hat auch Europa nicht. Zu groß sind historisch gewachsene | |
| Unterschiede bei den Spurweiten, bei der Stromversorgung der Lokomotiven | |
| oder bei der Sicherungstechnik. Und auch die grenzübergreifenden Strecken | |
| lassen zu wünschen übrig. | |
| Dabei arbeitet die EU durchaus an beiden Problemen. In der Technik versucht | |
| sie Standards zu setzen, und sie fördert den Aus- und Neubau | |
| internationaler Bahnverbindungen. Allerdings setzt sie dabei falsche | |
| Prioritäten: Statt günstig kleine Engpässe im Grenzverkehr zu beseitigen, | |
| steckt sie Geld in teure Prestigeprojekte wie die bis zu 40 Milliarden Euro | |
| teure Hochgeschwindigkeitsstrecke von Lyon nach Turin durch die Alpen. | |
| Treiber sind die Mitgliedstaaten, die auf möglichst viel EU-Förderung für | |
| Großprojekte hoffen, die der Unterstützung heimischer Baufirmen oder der | |
| Regionalentwicklung dienen. | |
| Dänemark beispielsweise drängt mit aller Macht auf die milliardenteure und | |
| ökologisch bedenkliche Fehmarnbelt-Querung. Denn mit ihr rückt der Großraum | |
| Kopenhagen enger an Hamburg, Nordrhein-Westfalen und die Niederlande heran. | |
| Die Alternative für eine europäische Nord-Süd-Route – eine bessere | |
| Anbindung der Fähre von Gedser nach Rostock – blockiert Kopenhagen. Die EU | |
| ist machtlos, gegen den Willen eines Mitgliedslandes kann sie keine | |
| Verkehrsverbindung durchsetzen. | |
| Verteilt werden die Brüsseler Mittel entlang der sogenannten | |
| transeuropäischen Netze, bei denen die EU neun Korridore definiert hat: | |
| Nationale Projekte innerhalb dieser Korridore können kofinanziert werden. | |
| Und die Korridore sind so gestrickt, dass für jedes EU-Land etwas dabei ist | |
| – selbst Malta kann auf bessere Fährverbindungen nach Palermo und Taranto | |
| hoffen. Und Österreich bekommt im Rahmen des baltisch-adriatischen | |
| Korridors den Ausbau der Verbindung von Graz nach Klagenfurt durch die | |
| Alpen gefördert, deren Kernstück der 32,9 Kilometer lange Koralmtunnel ist. | |
| Dabei würden vernünftige Verkehrsplaner das Gebirge über Maribor und | |
| Ljubljana in Slowenien einfach umfahren. | |
| ## Nicht genug Geld | |
| Auch Deutschland nutzt das transeuropäische Programm für zweifelhafte | |
| Projekte. So ist die Neubaustrecke von Wendlingen nach Ulm im Rahmen des | |
| umstrittenen Tiefbahnhofs Stuttgart 21 Teil des Rhein-Donau-Korridors und | |
| soll mit EU-Mitteln gefördert werden. Die Hochgeschwindigkeitstrasse von | |
| Nürnberg nach Erfurt gehört zum skandinavisch-mediterranen Korridor, der | |
| zwar Fährverbindungen zwischen Finnland und Schweden fördert, wegen der | |
| Fehmarnbeltquerung nicht aber die zwischen Mecklenburg-Vorpommern und | |
| Südschweden. | |
| Der verkehrspolitisch sinnvolle Ausbau der Bahnstrecken von Genua nach | |
| Rotterdam und Antwerpen, die den Rhein-Alpen-Korridor bilden und die großen | |
| Seehäfen mit den Industriezentren in Norditalien, Süd- und Westdeutschland, | |
| Belgien und den Niederlanden verbinden, wiederum stockt – weil Deutschland | |
| nicht genug Geld zur Verfügung stellt. Und weil Anwohner im Rheintal gegen | |
| den zunehmenden Schienenlärm mobilmachten, etwa im badischen Offenburg. | |
| Nach langen Verhandlungen deutet sich nun eine Tunnellösung an, die für die | |
| Anwohner akzeptabler ist als eine zwölf Kilometer lange Lärmschutzmauer | |
| durch die Stadt. | |
| ## Europäischer Mehrwert | |
| Der Grünen-EU-Abgeordnete Michael Cramer kritisiert diese Politik. „Die | |
| meisten Projekte haben nichts mit Verkehrspolitik zu tun, sondern sollen | |
| den Firmen, zum Beispiel Tunnelbohrern, lukrative Aufträge verschaffen.“ | |
| Dies müsse beendet werden. „Der europäische Mehrwert muss Vorrang | |
| bekommen.“ Viele grenzüberschreitende Bahnverbindungen, die durch den Krieg | |
| oder die Ost-West-Teilung zerstört wurden, könnten relativ günstig wieder | |
| hergestellt werden. „Davon hätten die Bürger wirklich etwas.“ Cramer hat | |
| etliche kaputte Strecken untersucht und empfiehlt 15 Projekte für das | |
| Zusammenwachsen Europas auf der Schiene. Motto: „Schnelle Verbindungen für | |
| alle statt sinnloser Großprojekte in Jahrzehnten.“ | |
| Seine Favoriten: die Strecke von Ducherow am Stettiner Haff nach Swinemünde | |
| über die zerstörte Karniner Brücke, auf der man deutlich schneller von | |
| Berlin an die Ostsee käme. Oder das drei Kilometer kurze Stück von Nova | |
| Gorica in Slowenien nach Gorizia Centrale in Italien, auf dem es derzeit | |
| keinen Personenverkehr gibt. Strecken im spanisch-französichem Grenzgebiet | |
| in den Pyrenäen, zwischen Belgien und Frankreich, Ungarn und Rumänien oder | |
| Tschechien und Österreich. | |
| Einen Lückenschluss schafft Europa aber in diesem Jahr: Zwischen dem | |
| sächsischen Sebnitz und dem nordböhmischen Dolni Poustevna werden Anfang | |
| Juli 660 Meter Gleis wieder in Betrieb genommen, die seit 1945 brach lagen. | |
| Brüssel sei Dank. | |
| 25 May 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Richard Rother | |
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