| # taz.de -- Nazi-Vergangenheit von Fehmarn: Der Schrecken der Insel | |
| > Der Lokalhistoriker Hans-Christian Schramm will die NS-Zeit der Insel | |
| > Fehmarn aufarbeiten. Manche Leute finden das Ansinnen offenbar | |
| > merkwürdig. | |
| Bild: Bürgermeister Claus Lafrenz weigerte sich 1933, die Hakenkreuzfahne am R… | |
| BURG/ FEHMARN taz | Von Linden umrundet liegt der Dorffriedhof von | |
| Petersdorf im Westen der Ostseeinsel Fehmarn. In seiner Mitte steht die | |
| backsteingotische Kirche St. Johannes. Gepflegte Gräber, eine intakte | |
| Gemeinde. Hans-Christian Schramm öffnet das Friedhofstor und steuert eine | |
| grasbewachsene Stelle an. „Hier ungefähr muss er gelegen haben“, sagt er. | |
| Einen Grabstein gibt es nicht mehr für den polnischen Zwangsarbeiter | |
| Frantisek Wlodarwczyk, der 1942 am Ostseestrand gehängt wurde, weil er | |
| angeblich eine Liebschaft mit einer Bäuerin hatte. | |
| Vor dem Friedhof begegnet Schramm einem Bekannten. Als dieser erfährt, | |
| warum Schramm hier ist, erzählt er ihm, was er aus Schilderungen seiner | |
| Familie weiß: dass der Dorflehrer die Schüler gezwungen habe, an der | |
| Hinrichtung teilzunehmen. „Darf ich Sie mal anrufen?“, fragt Schramm. Der | |
| Mann nickt. | |
| Hans-Christian Schramm, 66 Jahre alt, ist pensionierter Schulleiter und | |
| Lokalhistoriker – man kennt ihn. Eine besondere Art Heimatforscher und für | |
| manche auch der Schrecken der Insel, denn Schramm ist einer, der genau | |
| nachfragt, der nicht so schnell aufgibt und der vieles besser weiß, weil er | |
| es wissen will. „Es gibt ein reges Interesse an Heimatgeschichte auf | |
| Fehmarn“, erzählt er. „Erich der Pommer, der dänische König, der 1420 die | |
| Insel eroberte, solche Sachen werden gerne erzählt. Aber was vor siebzig, | |
| achtzig Jahren stattgefunden hat, interessiert niemanden.“ | |
| 1979 kam der gebürtige Holsteiner als Lehrer nach Fehmarn. „Ich wollte | |
| etwas zur NS-Geschichte im Unterricht machen und den Lokalbezug | |
| herstellen.“ Er ging zum Stadtarchiv. „Da sind Sie ja der Erste, der sich | |
| daran wagt“, sagte der damalige Archivleiter. Schramm durchforstete das | |
| Fehmarnsche Tageblatt. Und so erfuhr er von der Hinrichtung des Polen, | |
| stieß auf die Geschichte von Bürgermeister Claus Lafrenz, der sich am 9. | |
| März 1933 weigerte, die Hakenkreuzfahne am Rathaus zu hissen. Er fand | |
| heraus, dass bei den Kommunalwahlen vom 12. März 1933 die NSDAP mit 29,6 | |
| Prozent wesentlich schlechter abgeschnitten hatte als bei den | |
| Reichstagswahlen am 5. März, wo sie 42,6 Prozent erzielt hatte. „So | |
| schlecht standen die Fehmaraner gar nicht da“, sagt Schramm. „Mir ist es | |
| nie darum gegangen, jemanden anzuklagen, sondern herauszukriegen, wie es | |
| gewesen ist.“ | |
| ## Mit gutem Draht zu SS-Größen | |
| Warum tun sich dann die Fehmaraner, die bis 1864 zur dänischen Krone | |
| gehörten, so schwer? „Normalerweise machen so etwas die Heimatvereine“, | |
| sagt Schramm. „Doch unserer hier ist stehen geblieben in einer | |
| vermeintlichen Idylle. Die betreiben Heimatpflege – und Legendenbildung.“ | |
| Eine solche Legende ist der langjährige Museumsleiter, Peter Wiepert, ein | |
| Heimatforscher und Insel-Lobbyist, der einen guten Draht zu den SS-Größen | |
| Reinhard Heydrich und Heinrich Himmler hatte. | |
| Wiepert, Jahrgang 1890, war ein heimatkundlich interessierter Bauer, dessen | |
| Kusine Lina von Osten Reinhard Heydrich heiratete, den späteren Chef der | |
| Sicherheitspolizei und des SD. Wieperts Forschungen passten gut ins | |
| Programm der Germanisierung deutscher Geschichte, der Aufhübschung durch | |
| nordische Mythen. Wiepert verwaltete im Auftrag Heydrichs die SS-Stiftung | |
| Nordhav auf dem Katharinenhof in Fehmarn, die dort SS-Erholungsheime | |
| betrieb. Der Politikwissenschaftler Johannes Tuchel, heute Leiter der | |
| Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin, hat bereits 1992 in einem | |
| Aufsatz herausgearbeitet, wie Wiepert Heydrichs Interessen diente – und | |
| umgekehrt. Auch für Himmler war er tätig . „Ein unpolitischer | |
| Heimatforscher […] ist Wiepert nie gewesen“, schreibt Tuchel. | |
| „Der Mann ist über 30 Jahre tot“, entgegnet Klaus Klahn, Leiter des | |
| Heimatmuseums, das bis zu diesem Jahr Wieperts Namen trug. Klahn, ein | |
| weißhaariger klarer Norddeutscher, lässt auf den Museumsgründer nichts | |
| kommen. Von solchen Angriffen „distanzieren wir uns vollkommen“. Georg | |
| Hüttmann vom Museumsvorstand glaubt schon, dass da „wohl so ein bisschen | |
| was gewesen ist“. Doch für beide bleibt Wiepert ein Sammler, dessen | |
| Exponate die beiden mit Stolz zeigen. | |
| 23 kleine Räume in einem verwinkelten Fachwerkhaus, die durch Bauernstuben, | |
| Hexenabteilung, Dorfschulen, Gerichtsbarkeiten führen. Geheiratet wurde in | |
| Schwarz, Erntehelfer hießen Monarchen, und Fischer fischten nicht nur | |
| Fische, sondern auch Steine – als Baumaterial. Eine Pickelhaube markiert | |
| den Ersten Weltkrieg. | |
| ## Manche Themen spielen wohl keine Rolle | |
| Doch was ist mit der Weimarer Republik und der in Burg aktiven | |
| Sozialdemokratie? Der Nationalsozialismus und die Stiftung Nordhav, die für | |
| die SS auch rund um den Katharinenhof Land erwarb; die Briten, die 1945 | |
| Fehmarns Zugehörigkeit zum Westen sicherten und 42.000 deutsche | |
| Marinesoldaten hier internierten; die 12.000 Ost-Vertriebenen, die | |
| kurzfristig die 10.000 Inselbewohner zur Minderheit machten; der Umbruch | |
| von der Agrarwirtschaft zum Tourismus durch den Bau der Fehmarnsundbrücke | |
| 1963 – all das kommt im Museum nicht vor. | |
| Reiner Rahlff, bis vor Kurzem Vorsitzender des „Vereins zur Sammlung | |
| Fehmarnscher Altertümer“, der das Museum ehrenamtlich betreibt, will das | |
| ändern. Er erwarb aus einem Washingtoner Militärarchiv acht Luftaufnahmen | |
| der Insel vom August 1945, die genau dokumentieren, „wo sich was befand“. | |
| Mit Erläuterungen sollen sie bis zum Spätsommer zu einer Schautafel | |
| zusammengefügt und ausgestellt werden. „Das habe ich mir fest vorgenommen“, | |
| sagt Rahlff. Damit würde erstmals die neue Zeit im kleinen Museum Einzug | |
| halten. | |
| Den Namen hat der Verein jetzt in Fehmarn-Museum umgeändert. Nicht etwa | |
| weil man an Peter Wiepert Anstoß nahm, amüsiert sich Rahlff, sondern weil | |
| der Name niemandem mehr etwas sage und der Bürgermeister das verstaubte | |
| Image des Museums auffrischen wollte. Wieperts Konterfei schmückt weiter | |
| die Fassade des Fachwerkhauses gleich neben der Nikolai-Kirche in Burg. | |
| Burg ist mit seinen gut 6.000 Einwohnern der größte Ort der Insel. Cafés | |
| und Geschäfte drängen sich längs der Hauptstraße, wer abbiegt, ist schnell | |
| inmitten von Feldern. Auf den Wegen radeln Touristen, Fehmarn wirbt mit | |
| seiner Fahne – gelbe Krone auf blauem Grund – als „Sonneninsel“. Am | |
| Südstrand stehen drei Hotelbauten – alte Westplatte, ansonsten blieb die | |
| Insel von größeren Bausünden verschont. Mit den umliegenden 42 Dörfern | |
| bildet Burg seit 2003 die Stadt Fehmarn – wobei man „Stadt“ auf der Insel | |
| gar nicht gern hört. | |
| ## Warum die NS-Zeit „extra herausstellen“? | |
| Im Rathaus aus Backstein residiert der Bürgermeister. „Ich bin sehr | |
| geschichtsinteressiert“, sagt Otto-Uwe Schmiedt, parteiloser Bürgermeister | |
| seit 2003. Und er bittet, doch alles „sehr differenziert zu betrachten“. Im | |
| Flur hängt die Ahnengalerie der Bürgermeister. Vom 17. Jahrhundert bis | |
| heute. Unter dem Bild von Claus Lafrenz steht, dass er „aus dem Amt | |
| gedrängt“ wurde und „den Weg in den Freitod gewählt“ hat. Daneben das B… | |
| seines Nachfolgers, NSDAP-Mitglied. Kein Vermerk. „Ja, soll ich etwa auch | |
| den ersten Bürgermeister entfernen?“, fragt Schmiedt, „weil der im 17. | |
| Jahrhundert für die Hexenprozesse verantwortlich war?“ Warum die NS-Zeit | |
| „extra herausstellen“? Das widerstrebe ihm. | |
| 1935 wurde Heinrich Himmler Ehrenbürger der Stadt. Die Seiten im Golden | |
| Buch zwischen 1933 und 1945 sind säuberlich entfernt. „Ich spekulier da | |
| nicht“, sagt Schmiedt. Der Bürgermeister hat andere Sorgen. Der Tunnel nach | |
| Dänemark, der bereits beschlossen ist. „Ich brauch den nicht.“ | |
| Wenn es nach dem Lokalhistoriker Hans-Christian Schramm geht, dann soll | |
| Claus Lafrenz, der sich 1937 das Leben nahm, mit einer Tafel am Rathaus | |
| geehrt werden. „Die Tafel kann er gern haben“, sagt Bürgermeister Schmiedt, | |
| „ich bin da völlig emotionslos.“ Doch alle Formulierungsvorschläge wären | |
| jedoch „viel zu lang gewesen“. | |
| Schramm ist einer, der mit Eifer bei der Sache ist. Und der vehement dem | |
| Bürgermeisters widerspricht, der sagt, Claus Lafrenz sei nach 1933 nie | |
| wieder in Erscheinung getreten. „Stimmt nicht“, sagt Schramm, „ich habe d… | |
| alles recherchiert.“ Etwas außerhalb von Burg liegt der Ostersoll, ein | |
| Wäldchen. „Die Weide gab es wohl schon, den Teich auch“, vermutet Schramm. | |
| Es kursieren verschiedene Versionen vom Selbstmord des suspendierten | |
| Bürgermeisters. Einer zufolge hat der Ex-Marineoffizier ein Seil um sich | |
| und den Baum geschlungen, dann die Pistole angesetzt, weil er aufrecht | |
| sterben wollte – so erzählte es Georg Hüttmann vom Heimatmuseum. „Den hab… | |
| sie schikaniert und in den Tod getrieben.“ Hans-Christian Schramm ist sich | |
| nicht mal sicher, ob es wirklich Selbstmord war. „Der Amtsrichter war doch | |
| auch Parteimitglied, der hätte alles bestätigt.“ | |
| ## „Was sind Sie für eine Geborene?“ | |
| Es gibt viele Geschichten, die sich über Fehmarn erzählen lassen. Dass die | |
| Bauern immer wohlhabend waren, selbst Recht sprechen durften. Dass es die | |
| Bauern und „de Lüd“ gab, die kleinen Leute, meint Georg Hüttmann, der | |
| früher Maurer war. Dass die Witwe Lina Heydrich noch lange ein Restaurant | |
| auf Fehmarn betrieb. Dass Peter Wiepert bis zu seinem Tod in den achtziger | |
| Jahren das Heimatmuseum leitete. Dass es früher über 500 Bauernstellen auf | |
| der Insel gab und heute nur noch 137. „Was sind Sie für eine Geborene?“ | |
| Solche Fragen hätte Schramm, der zugezogene Lehrer, „noch nie anderswo | |
| gehört“. | |
| Überall leuchtet der gelb blühende Raps, blau hebt sich der Himmel mit | |
| weißen Wölkchen ab. „Diese Horizonte finde ich immer wieder toll“, sagt | |
| Schramm im Auto. „Ich muss meine Forschungen jetzt mal zum Abschluss | |
| bringen.“ Seine Recherchen fügt er zu einer Chronik zusammen, die er | |
| veröffentlichen und dem Stadt- oder dem Landesarchiv anbieten will. Das | |
| Heimatmuseum ist dafür wohl kaum die richtige Adresse. „Vor dreißig Jahren | |
| wäre das hier noch nicht möglich gewesen“, meint er. „Ein bisschen was hat | |
| sich also schon getan.“ Irgendwann wird auch die Gedenktafel für Peter | |
| Wiepert verschwinden, und Claus Lafrenz hat dann hoffentlich seine am | |
| Rathaus. | |
| 14 Jun 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Sabine Seifert | |
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