# taz.de -- Comic über West-Berlin in den 80ern: Zart gezeichnete Zeitreise | |
> „Gleisdreieck 1981“ ist ein elegischer Thriller über die politisierte | |
> Berliner Alternativszene. Und eine Hommage an eine untergegangene Stadt. | |
Bild: Dutzende Demos, hunderte Debatten: Berlin in der Blütezeit der K-Gruppen. | |
Diese Farben! Ocker, Erdfarben, Grau, Braun, Dunkeltürkis, Nachtblau, | |
Bordeauxrot – wie ein Regenbogen bei Nacht remodellieren sie eine | |
untergegangene Stadt: Das West-Berlin der 80er Jahre bildet die Kulisse des | |
Comics „Gleisdreieck 1981“, und es ist alles mit drin. | |
Da sind der Steglitzer Bierpinsel und das Le-Corbusier-Haus, die drei | |
markanten Schornsteine des Wilmersdorfer Kraftwerks direkt an der | |
Stadtautobahn und die Bauten am Ernst-Reuter-Platz – all diese Leuchttürme | |
der Betonmoderne der Nachkriegszeit. Aber auch die unsanierten Altbauzüge | |
Kreuzbergs und Schönebergs haben ihren Auftritt und die Treffpunkte der | |
Hausbesetzer und maoistischen K-Gruppen, die das Leben dort vor 35 Jahren | |
mitgeprägt haben. | |
Erschienen ist „Gleisdreieck 1981“ zunächst im Januar in Frankreich, die | |
Autoren sind aber zwei Deutsche: Der Historiker Jörg Ulbert und der | |
Zeichner Jörg Mailliet, beide leben und arbeiten im französischen Rennes. | |
Der Berlin Story Verlag, der sich eigentlich auf Sachbücher und Bildbände | |
zur jüngeren Stadtgeschichte spezialisiert hat, veröffentlichte nun eine | |
Übersetzung des fiktionalen „So hätte es gewesen sein können“-Stoffs. | |
Kapitelweise, immer abwechselnd, werden zwei Geschichten erzählt: Auf der | |
einen Seite ist da Otto – was vermutlich nicht sein richtiger Name ist, | |
denn Otto ist Undercover-Polizist und soll die linksautonome | |
Hausbesetzerszene infiltrieren. Er beginnt also zum Schein ein Studium, | |
macht seinen Taxischein, hängt in den richtigen Bars ab und auf den | |
richtigen Demos, bis er schließlich Anschluss findet – und bald vor den | |
üblichen Gewissensfragen steht: Welche Aktionen kann er mitgehen? Einige | |
der Hausbesetzer, die er ausspionieren soll, sind inzwischen Ottos Freunde | |
geworden. | |
Ottos Auftrag führt zum zweiten Erzählstrang: Er soll Martin Heerleut | |
finden, der mit Hilfe eines gefälschten Passes und der Stasi aus einem | |
Terroristencamp aus dem Ausland nach West-Berlin zurückgekehrt ist, zu | |
seiner Terrorzelle, und neue Aktionen plant. Zugleich nagt an Heerleut eine | |
fehlgeschlagene Aktion vor einigen Jahren, bei der seine Frau ums Leben | |
kam. Gab es einen Verräter? | |
## Bowie, Demos, Hausbesetzer | |
Die Zeit der RAF und der Hausbesetzer in Berlin wurde nun weiß Gott oft | |
fiktionalisiert, von „Der Baader Meinhof Komplex“ bis zu Sven Regeners | |
„Herr Lehmann“. Und auch im historisch bestechend exakt gearbeiteten | |
„Gleisdreieck 1981“ sind all die Sachen, die man auch als Nachgeborener | |
kennt, wieder drin: diese ewigen politischen Debatten, die | |
Wehrdienstverweigerer, David Bowie, Demobilder, Hausbesetzer, eine | |
konspirative Wohnung. | |
Dazu kommen – als Rahmenhandlung, die die eigentliche Story vorantreibt – | |
historisch-politische Ereignisse, wie die Hausbesetzerpolitik des damaligen | |
CDU-Innensenators Heinrich Lummer, der Tod des Demonstranten Klaus-Jürgen | |
Rattay – und sogar die Musik der damaligen Zeit ist mit dabei: Vorne im | |
Buch ist eine Playlist abgedruckt, von Slime über Fehlfarben bis Joy | |
Division. | |
Das ist alles wenig überraschend, aber das macht gar nichts, denn was | |
„Gleisdreieck 1981“ so großartig macht, ist seine Atmosphäre. Jörg Maill… | |
lässt seinen Blick über West-Berlin schweifen und fängt mit seinen dünnen | |
Strichen filmhafte Impressionen ein. Sachlich und doch wie hingeworfen | |
entfalten die Bilder eine atemberaubende Wirkung, die vom zurückgenommenen | |
und ungekünstelten Text noch verstärkt wird. | |
Die Seitenlayouts sind dabei grandios: variabel, doch ohne Schnickschnack, | |
mal temporeich, mal elegisch. Von diesem Comic möchte man sich jede Seite | |
an die Wand hängen. | |
24 May 2014 | |
## AUTOREN | |
Michael Brake | |
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