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# taz.de -- Bootsflüchtlinge in Italien: Gerettet, und dann?
> Nach den Schiffskatastrophen von 2013 hat Italien seine
> Flüchtlingspolitik geändert. Vor der Wahl werfen Linke wie Rechte der EU
> Indifferenz vor.
Bild: Geretteter Flüchtling aus Afrika an der Reling eines italienischen Marin…
ROM taz | Ein Tunesier war es am letzten Sonntag, der der Autobahnpolizei
an einer Raststätte auf der A3 in Unterfranken ins Netz ging. An Bord
seines Wagens mit italienischem Kennzeichen hatte der 32-Jährige drei
Syrer, die er nach Schweden bringen wollte. Am Mittwoch erwischte die
Polizei auf demselben Autobahnabschnitt einen Senegalesen, ebenfalls mit
einem in Italien zugelassenen Auto unterwegs. Der Mann kam als mutmaßlicher
Schleuser in Haft; er transportierte gleich elf Flüchtlinge.
Fluchtwege: Zu Tausenden kommen in diesem Frühjahr Menschen in Süditalien
an, nach der Überfahrt vor allem von Libyen aus, Menschen jedoch, die oft
genug gar nicht nach Italien wollen, sondern weiter, nach Schweden oder
Norwegen, Holland oder Deutschland. Sie stammen aus Nigeria oder aus
Palästina, aus dem Sudan oder aus Somalia – und zu einem beträchtlichen
Teil aus Eritrea und Syrien.
Doch wenn es nach den anderen Staaten der EU geht, sollen sie gefälligst in
Italien bleiben. Lange her scheint die Welle des Entsetzens, die im Oktober
2013 nach zwei Tragödien quer durch Europa schwappte: Am 3. Oktober geriet
direkt vor Lampedusa ein Flüchtlingsschiff in Brand und kenterte dann. 368
Eritreer ertranken nur ein paar hundert Meter vom rettenden Ufer entfernt,
unter ihnen viele Frauen und Kinder.
Und nur acht Tage später kamen mehr als 200 Syrer ums Leben, als ihr Schiff
im offenen Meer zwischen Malta und Lampedusa unterging. Stundenlang hatten
die Menschen an Bord des leckgeschlagenen Kutters auf Rettung gewartet,
während sich die italienischen und die maltesischen Behörden nicht einigen
konnten, wer für die Rettung zuständig war. Als endlich die italienische
Marine eintraf, war es für viele zu spät.
## Ihr Auftrag: Rettung
Die Bilder der Hunderte auf der Mole von Lampedusa aufgereihten Särge
gingen um die Welt. Aus allen Ecken Europas waren Politikerschwüre zu
vernehmen: Schwüre, dass der Kontinent seine Flüchtlingspolitik umsteuern
müsse. Umgesteuert hat vorerst nur Italien. „Mare Nostrum“ heißt der seit
Oktober 2013 laufende Einsatz, bei dem Schiffe der Marine, der Küstenwache,
der Finanzpolizei kontinuierlich zwischen Italien und Libyen auf
Patrouillenfahrt sind, bei dem Flugzeuge das Meer nach Flüchtlingsschiffen
absuchen. Neu ist nicht nur der massive Einsatz, neu ist vor allem der
eindeutige Auftrag: Rettung.
„Mare Nostrum“ ist effizient – wenigstens bis zur Ankunft der Boatpeople …
Italien. Dann aber zeigen sich die Behörden heillos überfordert. Die
Aufnahme wird zur Lotterie für die Flüchtlinge, die nach einem nationalen
Verteilungsschlüssel in die verschiedenen Kommunen des Landes gebracht
werden. Mal sind es kleine, vorbildliche Einrichtungen, mal die großen
Asyllager, in denen oft katastrophale Zustände herrschen.
Das Chaos ist aber auch Chance: Viele derer, die weiterwollen, raus aus
Italien, machen sich unbemerkt auf, mit dem Zug oder dem Auto – und wenn
sie Glück haben, sind ihnen dann noch nicht die Fingerabdrücke abgenommen
worden, die eine sichere Rückschiebung nach Italien bedeuten würden.
In Italien aber wächst der Unmut. Das Land fühlt sich schlicht
alleingelassen. Im Europawahlkampf tönt Silvio Berlusconi, jeder Flüchtling
koste den Staat 1.000 Euro im Monat, dabei gehe die Frage „alle
europäischen Staaten an“. Wenigstens in diesem Punkt herrscht Konsens unter
allen Parteien: Europa ist gefragt.
## Europa muss helfen
Egal ob die Linke unter Matteo Renzi, die Berlusconi-Rechte oder Beppe
Grillos Fünf-Sterne-Protestliste: Alle verlangen eine europäische
Aufnahmepolitik, alle wollen freies Reiserecht für die Flüchtlinge in der
EU. „Ein Problem, das wir nicht allein lösen können“, bringt Grillo den
Konsens auf den Punkt. „Globalisierung der Indifferenz“: Der frühere
italienische Außenminister Franco Frattini fasst seinerseits zusammen, was
die meisten Bürger Italiens über die EU in diesem Punkt denken.
Auch der Einsatz von „Mare Nostrum“ werde vorerst fortgesetzt, verspricht
Innenstaatssekretär Flippo Bubbico im Parlament, doch auch hierfür will
Italien die Konditionen mit Europa neu aushandeln. Auf monatlich 9
Millionen Euro beziffert Innenminister Angelino Alfano die Kosten der
Aktion. Von Frontex, rechnet Italien vor, sind für die beiden italienischen
Einsatzzonen in Richtung Libyen und Richtung Ostmittelmeer aber fürs ganze
Jahr 2014 nur 12 Millionen zu erwarten.
Alfano schlug dieser Tage auch gleich eine Lösung vor: Das Land könne ja
einfach seine Kosten für die Sicherung der europäischen Außengrenze von
seinen regulären Beiträgen für den EU-Haushalt abziehen. Dazu wird es wohl
nicht kommen – doch Italien will seine europäische Ratspräsidentschaft im
zweiten Halbjahr 2014 nutzen, um seine Forderungen in der EU zu stellen.
24 May 2014
## AUTOREN
Michael Braun
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