| # taz.de -- Rohstoffe für Handys: Der Kongo steckt im Detail | |
| > Ab sofort müssen Unternehmen in den USA nachweisen, dass sie mit ihren | |
| > Rohstoffen keine Konflikte im Kongo fördern. Ein Vorbild, aber ein | |
| > gewagtes. | |
| Bild: Im rohstoffreichen Kongo werden Erze für die Elektroindustrie gefördert. | |
| Der 31. Mai 2014 ist der Stichtag. Ab diesem Tag müssen Unternehmen, die in | |
| den USA börsennotiert sind und gewisse Rohstoffe aus der Demokratischen | |
| Republik Kongo verarbeiten, die „konfliktfreie“ oder eben auch | |
| „nichtkonfliktfreie“ Herkunft ihrer Rohstoffe deklarieren. | |
| Es geht vor allem um drei in der Elektronikindustrie wichtige Erze, die in | |
| Ostkongos Konfliktgebieten verbreitet sind: Tantalerz – im Kongo als | |
| „Coltan“ bekannt –, Zinnerz (Kassiterit) sowie Wolfram in Form von | |
| Wolframit. Auch Gold ist betroffen. | |
| Das ist der endgültige Durchbruch für die US-Gesetzgebung über | |
| „Konfliktmineralien“ aus dem Kongo, die nach jahrelanger Lobbyarbeit durch | |
| Menschenrechtsorganisationen 2010 in Barack Obamas Börsenreformgesetz | |
| „Dodd-Frank Act“ hineingeschmuggelt wurde. Artikel 1502 dieses Gesetzes | |
| verpflichtet Unternehmen, der US-Börsenaufsicht mitzuteilen, ob sie Coltan, | |
| Kassiterit, Wolframit oder Gold aus dem Kongo oder seinen Nachbarländern | |
| verwenden. | |
| Wenn ja, müssen sie prüfen, ob die Rohstoffe „direkt oder indirekt | |
| bewaffnete Gruppen“ finanzieren. Sie sind dann entweder als „konfliktfrei“ | |
| oder „nichtkonfliktfrei“ zu bezeichnen, für eine Übergangszeit auch | |
| „konfliktunklar“ (conflict indeterminate). Strafen gibt es nicht; es geht | |
| allein um Transparenz. | |
| ## Unermessliches Leid | |
| Die Analyse dahinter geht so: Die Dauerkriege im Osten des Kongo würden | |
| dadurch am Leben gehalten, dass Warlords sich durch Mineralienexport | |
| finanzieren; wenn man diese Verbindung bräche, würden die Konflikte und | |
| damit auch das unermessliche Leid der Bevölkerung enden. Plakativ führt | |
| diese Analyse zu der Überzeugung, die Herstellung von Handys fördere | |
| sexuelle Gewalt im Kongo. | |
| Oberflächlich ist diese Analyse deshalb, weil sie komplexe Konfliktursachen | |
| und -muster unzulässig reduziert. Kongos Warlords sind nicht von | |
| Rohstoffeinnahmen abhängig, sondern vor allem von politischen Connections | |
| und vom Ausplündern der Bevölkerung. Mindestens genauso aktiv im Schmuggel | |
| sind Militärs und korrupte Politiker. Die letzte große Rebellenbewegung im | |
| Ostkongo, die „Bewegung des 23. März“ (M23), interessierte sich für | |
| Mineralien überhaupt nicht. | |
| Andererseits hält Ostkongos Bergbau Millionen Menschen am Leben und ist die | |
| einzige Devisenquelle jenseits von ausländischer Hilfe. Als in Reaktion auf | |
| das Dodd-Frank-Gesetz Kongos Regierung 2010 kurzerhand den Bergbau im | |
| Ostkongo komplett verbot, waren die Folgen verheerend: Die lokale | |
| Wirtschaft brach zusammen, bestehende Maßnahmen zum Kampf gegen Schmuggel | |
| wurden abgebrochen und es schlossen sich so viele junge Männer bewaffneten | |
| Gruppen an wie nie zuvor. | |
| ## Ein reines Werturteil | |
| Keine Elektronikfirma der Welt kauft direkt im Kongo ein. Die | |
| Berichterstattungspflicht heißt in der Praxis also bloß, die Angaben der | |
| Zulieferer zu bewerten. Unternehmen müssen auch nicht sagen, welche | |
| Produkte „konfliktfrei“ sind, was die für Verbraucher relevanteste | |
| Information wäre. Sie müssen nur „nichtkonfliktfreie“ Produkte | |
| identifizieren. Aber das muss nicht von unabhängiger Seite geprüft werden. | |
| Ein Washingtoner Gericht urteilte im April gar, es sei verfassungswidrig, | |
| Unternehmen dazu zu zwingen, Produkte als „nichtkonfliktfrei“ zu | |
| bezeichnen: Es handele sich um ein reines Werturteil. Firmen müssten ja | |
| auch nicht die politischen Überzeugungen ihrer Vorstandsmitglieder | |
| offenlegen. „Die Bezeichnung ’konfliktfrei‘ ist eine Metapher, die | |
| moralische Verantwortung für den Kongokrieg zuschreibt. Sie verpflichtet | |
| Unternehmen, den Verbrauchern mitzuteilen, dass ihre Produkte ethisch | |
| zweifelhaft sind.“ Das widerspreche dem Recht auf freie Meinungsäußerung. | |
| Also müssen Unternehmen jetzt lediglich sagen, dass sie die Herkunft ihrer | |
| Rohstoffe überprüft haben. Das Ergebnis dieser Prüfung müssen sie aber | |
| nicht mitteilen. Einzelne Unternehmen machen das trotzdem, aus PR-Gründen – | |
| zum Beispiel Intel, das sich rühmt, an vorderster Front bei der Herstellung | |
| „fairer“ Elektronikgeräte mitzuwirken. | |
| Drei Jahre lang haben Intel-Teams Schmelzhütten besucht, von China bis | |
| Bolivien, und gefragt, woher die Erze kommen. Intels | |
| Konfliktmineralienbericht ging am 22. Mai an die US-Börsenaufsicht, listet | |
| 21 Tantallieferanten auf, alle „konfliktfrei“, darunter H. C. Starck aus | |
| Deutschland. Und 44 Zinnlieferanten, davon nur 12 mit dem begehrten | |
| Sternchen „konfliktfrei“. | |
| ## Menschenrechtler arbeiten an eigenen Checklisten | |
| Andere Unternehmen sind weniger transparent. Siliconware Precision | |
| Industries aus Taiwan, das am 24. April als erstes Unternehmen Bericht | |
| erstattete, fügte keine Liste seiner Zulieferer bei und schrieb nur ohne | |
| weitere Präzisierung, ein Teil seiner Rohstoffe sei „konfliktunklar“, der | |
| Rest „konfliktfrei“. | |
| Bis 28. Mai hatten erst 39 von bis zu 6.000 betroffenen Unternehmen | |
| Berichte an die US-Börsenaufsicht abgeliefert, so die Kampagnengruppe | |
| Global Witness. „Die meisten beinhalten zu wenig Informationen, um zu | |
| zeigen, dass Unternehmen ihre Zuliefererketten glaubwürdig überprüfen“, so | |
| die Organisation. Menschenrechtsgruppen arbeiten längst an eigenen | |
| Checklisten. Es gibt auch schon Listen „konfliktfreier“ Schmelzhütten. | |
| Aber was heißt „konfliktfrei“? Alles hängt daran, ob die zuständige | |
| zwischenstaatliche Organisation „Internationale Konferenz der Region der | |
| Großen Seen“ (ICGLR), deren Bestimmungen für Rohstoffe im Einklang mit den | |
| international maßgeblichen Richtlinien der OECD stehen, einzelne | |
| kongolesische Minen als „grün“, also als konfliktfrei, zertifiziert. | |
| Das wiederum hängt an der Einschätzung der kongolesischen Regierung. Es | |
| verwundert da wenig, dass die ersten kongolesischen Coltanminen mit dem | |
| Status „konfliktfei“ im Heimatgebiet der Familie von Präsident Joseph | |
| Kabila im Norden der Provinz Katanga lagen. | |
| „Konfliktfreier“ Bergbau im Kongo geht so: Die Schürfer müssen einer von | |
| politisch genehmen Figuren geleiteten Kooperative beitreten. Die nimmt den | |
| Bergleuten die Erze ab und verkauft sie an kongolesische Exportfirmen in | |
| den Städten. Die verkaufen das Produkt, versiegelt und zertifiziert, an | |
| Schmelzhütten hauptsächlich in China und Malaysia. | |
| Dieser Mechanismus hält im Prinzip bewaffnete Akteure aus der Handelskette | |
| fern. Ob die Händler aber nicht vielleicht selber mit Konfliktparteien | |
| unter einer Decke stecken, ihre Partner übers Ohr hauen oder auch als | |
| schwarze Kasse für korrupte Politiker oder sogar Warlords dienen – das | |
| lässt sich auf diese Weise nicht feststellen. | |
| 31 May 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Dominic Johnson | |
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