| # taz.de -- Offener Brief von 70 Experten: Kurswechsel bei „Blutmineralien“ | |
| > Die Kampagnen gegen Konfliktrohstoffe im Kongo haben negative Folgen. 70 | |
| > Experten plädieren für Perspektiven statt Strafen für Bergleute. | |
| Bild: Minenarbeiter im Kongo. | |
| Anfang 2014 veröffentlichten zwei internationale Branchenriesen – Intel und | |
| Apple – ihre neu überarbeitete Politik zur sozialen Verantwortung in Bezug | |
| auf Rohstoffe aus dem Osten der Demokratischen Republik Kongo. Diese | |
| Ankündigungen folgten auf eine Reihe von Richtlinien, Gesetzgebungen und | |
| anderer Initiativen, mithilfe deren der Rohstoffsektor der DR Kongo | |
| „gesäubert“ werden sollte. | |
| Die wohl bekannteste ist das US-Gesetz „Sektion 1502 des Dodd-Frank-Act“. | |
| Es verlangt von allen US-börsennotierten Unternehmen, ihre | |
| Rohstoff-Zuliefererkette an die Börsenaufsicht SEC zu melden, wenn sie | |
| Rohstoffe aus der DR Kongo und ihrer Nachbarländern beziehen. Kanada ist | |
| dabei, eine ähnliche Gesetzgebung fertigzustellen. Die EU ist dabei, ein | |
| System zur freiwilligen Selbstzertifizierung für alle Mitgliedsstaaten | |
| einzuführen, während UNO und OECD bereits vor Jahren Richtlinien über die | |
| Beschaffung von Rohstoffen in Risikogebieten wie der östlichen DR Kongo | |
| verfasst haben. Diese Bemühungen sind begründet in der international | |
| verbreiteten Auffassung, dass im Osten der DR Kongo per Kleinbergbau | |
| geförderte sogenannte „Konfliktrohstoffe“ (insbesondere Zinn, Tantal, | |
| Wolfram und Gold) Rebellen unterstützen. | |
| Trotz der aktuellen Erfolge unterliegt die Kampagne zu Konfliktrohstoffen | |
| einem grundlegenden Missverständnis. Zunächst einmal sind Rohstoffe nicht | |
| Ursache der Konflikte – auch wenn sie zu deren Aufrechterhaltung beitragen. | |
| Nationale und regionale politische Machtkämpfe sowie Zugang zu Land, | |
| Staatsangehörigkeit und Identität sind nur einige der strukturellen Gründe | |
| der Konflikte. Der Zugang zu Rohstoffen und die Möglichkeit daraus Kapital | |
| zu schlagen, ist lediglich ein Finanzierungsmittel für militärische | |
| Aktionen und nicht etwa ein Selbstzweck. | |
| Zweitens sind die bewaffneten Gruppen in ihrer Existenz nicht | |
| notwendigerweise von Rohstoffen abhängig. Ostkongo verfügt über ein | |
| vollständig militarisiertes Wirtschaftssystem. Rohstoffe stellen darin nur | |
| eine Ressource unter vielen dar. | |
| Ferner wurden bislang nur wenige lokale Akteure in die internationale | |
| Politikgestaltung eingebunden und somit tatsächliche Gegebenheiten vor Ort | |
| nicht immer berücksichtigt. Im Ostkongo, wo Straßeninfrastruktur beinahe | |
| inexistent ist und die Handlungsfähigkeit des Staates verzweifelnd gering, | |
| lässt sich das Ausmaß dieser Aufgabe kaum überbewerten. | |
| ## Acht bis zehn Millionen Menschen im Kleinbergbau | |
| Dennoch wird laut aktueller Gesetze und Initiativen erwartet, dass | |
| Unternehmen den Ursprung der Rohstoffe aus der östlichen DR Kongo oder | |
| deren Nachbarländern nachweisen, bevor überhaupt Systeme eingerichtet | |
| wurden, die derartige Nachweise glaubwürdig erbringen können. Dies kann | |
| Käufer an den Weltmärkten ungewollt motivieren, sich aus der Region | |
| zurückzuziehen und ihre Rohstoffe anderswo zu beziehen. | |
| Sichtbare Verbesserungen vor Ort sind aus den genannten Gründen bisher | |
| ausgeblieben und die eingeführten Gesetze und Bestimmungen haben vielmehr | |
| eine Reihe ungewollter und oft nachteiliger Konsequenzen für die lokale | |
| Bevölkerung verursacht. Fast vier Jahre nach der Verabschiedung des | |
| Dodd-Frank-Act wurde nur ein sehr kleiner Anteil der Minen im Ostkongo | |
| überhaupt durch Zertifizierungsprogramme erreicht. Die überwältigende | |
| Mehrheit wurde somit entweder in die Illegalität gedrängt oder musste ihre | |
| Geschäfte einstellen, da unter den internationalen Händlern weitaus weniger | |
| Nachfrage nach nichtzertifizierten Rohstoffen besteht. | |
| In der Folge findet sich eine große Anzahl von Bergleuten in halb- oder | |
| illegalen Unternehmungen wieder, ist gezwungen durch Schmuggel eine | |
| Existenz zu sichern, und wurde hierdurch verstärkt in den Handel mit | |
| bewaffneten Gruppen gedrängt. Zahlreiche Arbeitsplätze gingen zudem | |
| gänzlich verloren. | |
| Insgesamt sind in der DR Kongo geschätzte acht bis zehn Millionen Menschen | |
| vom Kleinbergbau abhängig. Ohne diese Beschäftigungsquelle bleibt oft nur | |
| die Rückkehr in die Landwirtschaft, welche nur eine sehr geringe | |
| wirtschaftliche Sicherheit bietet. Diese ökonomische Unsicherheit | |
| verschärft ebenso das Risiko, dass Menschen zu leichten Rekruten für | |
| bewaffnete Gruppen werden – ein eklatanter Widerspruch. | |
| Daneben dehnt sich die Kriegsökonomie des Ostkongo durch die Regulierungen | |
| auch auf andere Sektoren aus. Wo Einnahmen aus der Kontrolle von Bergwerken | |
| wegfallen, wenden sich viele bewaffnete Gruppen anderen Bereichen wie dem | |
| Handel mit Holzkohle, Marihuana, Palmöl, Seife oder anderen Konsumgütern | |
| zu. | |
| ## Rohstoffsektor im Ostkongo reformieren | |
| Auch werden Kontrollmaßnahmen oft dadurch umgangen, dass statt einer | |
| direkten Ausbeutung der Bergwerke Schutzzölle auf Transportwegen erpresst | |
| werden oder die Geschäfte an bewaffneten Gruppen nahestehende Zivilisten | |
| übergehen, welche die Gewinne dann an die gleichen Profiteure weiterleiten. | |
| Selbst in den wenigen Minen, die schon Teil des Zertifizierungssystems | |
| werden konnten, gibt es enorme Diskrepanzen zwischen theoretischen | |
| Ansprüchen und reellen Möglichkeiten. Dazu kommt, dass Kontrollprozeduren | |
| von multinationalen Unternehmen wie Apple und Intel häufig nicht in den | |
| Minen, sondern bei Schmelzereien außerhalb der DR Kongo und nicht immer von | |
| unabhängigen Drittpersonen durchgeführt werden. | |
| Die im Zertifizierungsprozess am weitesten fortgeschrittene Gegend ist | |
| Kalimbi, eine reichhaltige Zinnmine, die seit einigen Jahren das Gros der | |
| aktuell existierenden, extern finanzierten Initiativen beherbergt, | |
| insbesondere das industriegeführte Schema iTSCi. Selbst in diesem Fall, wo | |
| eine vermeintlich lückenlose Überwachung vom Abbau bis zum Export | |
| gewährleistet ist, gibt es immer wieder Zwischenfälle mit bewaffneten | |
| Gruppen, und die anfallenden Kosten werden indirekt den Bergleuten | |
| aufgebürdet. Zusätzlich ist die Monopolstellung des bisher einzigen | |
| funktionierenden Systems verantwortlich für den Ausschluss der | |
| überwältigenden Mehrheit der Bergleute des Ostkongo vom legalen | |
| Rohstoffabbau. | |
| Es existiert ein breiter Konsens über die Notwendigkeit, den Rohstoffsektor | |
| im Ostkongo zu reformieren – allerdings bleiben viele Zweifel, ob das | |
| aktuelle Modell diesem Ziel gerecht werden kann. Zu diesem Zweck machen wir | |
| folgende Vorschläge. | |
| Konsultationen mit Regierung und Bevölkerung ausbauen: Im Vorfeld der | |
| Verabschiedung des Dodd-Frank Act wurden die kongolesische Regierung und | |
| Zivilgesellschaft nur unzureichend konsultiert. Die Wenigen, die | |
| konsultiert wurden, sprachen sich einseitig für das Gesetz aus, was zu | |
| zusätzlichen Spannungen auf der lokalen Ebene führte Daher müssen mehr | |
| kongolesische Stimmen Gehör finden und lokale Kontexte und Machtstrukturen | |
| berücksichtigt werden. | |
| Auf bedeutungsvolle Reformen hinarbeiten: Der Evaluierungsprozess sollte | |
| darauf ausgerichtet sein, Richtlinien und Praktiken zu verbessern und nicht | |
| nur schmückendes Beiwerk hervorzubringen. Der vorherrschende Glaube, mit | |
| statischen Kontrollen und Validierungsprozessen den Handel mit | |
| „konfliktfreien“ Rohstoffen sicherstellen zu können ist – gemessen an der | |
| volatilen Sicherheitssituation im weiten Teilen des Ostkongo – | |
| unangebracht. Sowohl Minen als auch Schmelzhütten sollten regelmäßig | |
| inspiziert und die Zeit zwischen Inspektion und Zertifizierung minimiert | |
| werden. | |
| Anreize für besseres Verhalten schaffen: Rechtliche Rahmenbedingungen | |
| müssen auf lokaler Ebene mit tatsächlichen Projekten komplementiert werden. | |
| Wenn dies nicht möglich sein sollte – was offensichtlich fast vier Jahren | |
| nach der Verabschiedung des Dodd-Frank Act heute der Fall ist – müssen | |
| Übergangsphasen verlängert werden und die Minderung der teils exzessiv | |
| hohen Standards für „konfliktfreie“ Rohstoffe in Betracht gezogen werden. | |
| Ebenso sollten ehemalige Konfliktakteure dazu ermuntert werden, sich neuen | |
| Initiativen anzuschließen. | |
| Fairen Wettbewerb fördern: Regulierung muss auf einem Wettbewerb basieren, | |
| bei dem nicht internationale Firmen, sondern auch kongolesische Produzenten | |
| Einfluss auf die Preisbildung nehmen können. Das würde ein System | |
| begünstigen, das Mindestlöhne einführt – beispielsweise durch die | |
| Unterstützung von Minen-Kooperativen. | |
| Den Fokus erweitern: Im Gegensatz zum aktuell einseitigen Fokus auf | |
| Rohstoffe sollten Aktivisten und Politiker die grundlegenden | |
| Konfliktursachen wie Land, Identität und politischer Wettbewerb im Kontext | |
| einer militarisierten Ökonomie in Betracht ziehen. Der Kleinbergbau als | |
| Schlüsselsektor für das Überleben vieler Kongolesen hat ein ebenso großes | |
| Potential, die Region zu befrieden, als zu Konflikten beizutragen. | |
| Herausforderungen wie der Zugang zu Kredit und technischem Wissen, | |
| Arbeitssicherheit und Umweltverschmutzung sollten nicht ignoriert werden. | |
| Unterzeichner: | |
| Aloys Tegera, Ann Laudat, Ashley Leinweber, Ben Radley, Bonnie Campbell, | |
| Christiane Kayser, Christoph Vogel, Cyprien Birhingingwa, Daniel | |
| Rothenberg, David Rief, Deo Buuma, Didier de Failly s.j., Dominic Johnson, | |
| Dorothea Hilhorst, Emmanuel Shamavu, Eric Kajemba, Esther Marijnen, Gabriel | |
| Kamundala, Ganza Burok, Godefroid Kä Mana, Godefroid Muzalia, Henning Tamm, | |
| Herbert Weiss, James Smith, Jeroen Cuvelier, John Kanyoni, Josaphat | |
| Musamba, Joschka Havenith, Jose Diemel, Joshua Walker, Josue Mukulumanya, | |
| Justine Brabant, Juvénal Munubo, Juvénal Twaibu, Ken Matthysen, Kizito | |
| Mushizi, Koen Vlassenroot, Kris Berwouts, Kristof Titeca, Laura Seay, Ley | |
| Uwera, Loochi Muzaliwa, Micheline Mwendike, Manuel Wollschläger, Milli | |
| Lake, Nicole Eggers, Odile Bulabula, Pádraic MacOireachtaigh, Pamela Faber, | |
| Passy Mubalama, Paul Muhindo Mulemberi, Paul-Romain Namegabe, Paulin | |
| Bishakabalya, Peer Schouten, Phil Clark, Rachel Niehuus, Rachel Strohm, | |
| Rémy Kasindi, Rodrigue Rukumbuzi, Rosebell Kagumire, Salammbo Mulonda | |
| Bulambo, Sara Geenen, Sekombi Katondolo, Severine Autesserre, Thomas | |
| Idolwa, Timothy Makori, Timothy Raeymaekers, Yvette Mwanza, Zacharie | |
| Bulakali | |
| 13 Sep 2014 | |
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