# taz.de -- Recycling von Elektrogeräten: Aus Altweiß mach Neu | |
> In Brandenburg werden gebrauchte Elektrogeräte wieder aufgemotzt. Doch | |
> nur halbwegs neue Modelle verkaufen sich. Da ist Nachhaltigkeit | |
> schwierig. | |
Bild: Gebrauchte Telefone: Nur, was recht neu ist, verkauft sich gut | |
FRANKFURT/ODER taz | Der Fehler ist auf den ersten Blick nicht zu sehen. | |
Eine Farbnuance dunkler ist das Display des iPhone 5, das da auf dem Tisch | |
liegt, und auch das Weiß am Rand nicht mehr ganz so hell wie das Original. | |
„Ein Raucherhandy“, sagt Techniker Denny Puhlmann. Es hilft trotzdem | |
nichts, das Cover muss ausgetauscht werden. Denn in der Farbe Altweiß lässt | |
es sich nicht mehr verkaufen, zumindest nicht unter dem Label „so gut wie | |
neu“. | |
Markenberg, im Südwesten von Frankfurt (Oder). Bis zur Wende fertigten hier | |
mehrere tausend Mitarbeiter Mikroelektronik. Heute ist nur eine grüne Wiese | |
übrig. Und am Rand ein paar lang gestreckte, in hellen Tönen gestrichene | |
Gebäude, denen man von außen nicht ansieht, ob es sich um | |
Studentenwohnheime handelt, um Mehrfamilienhäuser oder Bürotrakte. | |
Es sind Fabrikgebäude [1][der Firma asgoodasnew]. Das Unternehmen macht | |
eigentlich etwas sehr Simples: gebrauchte Elektronik verkaufen. Und doch | |
ist es wieder nicht so simpel. Denn die Käufer wissen zwar, dass sie | |
Gebrauchtware kaufen. Aber sie sollen das Gefühl haben, dass es sich um | |
Neuware handelt. Und das heißt: Altweiß geht gar nicht. | |
„Wir wollen alten Geräten neues Leben einhauchen, und zwar so, dass sie | |
nicht von den ganz neuen Geräten zu unterscheiden sind“, sagt | |
Geschäftsführer Daniel Boldin. Die Mitarbeiter können sie also nicht mal | |
kurz an- und ausschalten und drüberwischen. | |
## „So gut wie neu“ ist nicht ganz billig | |
Sie müssen eine ganze Liste von potenziellen Defekten und Schönheitsfehlern | |
abarbeiten, danach alles reinigen und wieder neu verpacken. Das hat seinen | |
Preis: Ein Sony Xperia Tablet kostet neu über 400 Euro. Gebraucht gibt es | |
sie normalerweise für unter 300. Bei asgoodasnew zahlen Kunden etwa 50 Euro | |
mehr. | |
Man könnte auch sagen, für Kunden ist es ein Kompromiss: zwischen der | |
Angst, gebraucht ein völliges Schrottgerät zu bekommen und sich monatelang | |
mit dem Verkäufer um Regress zu streiten – und der schmerzhaften Ausgabe, | |
die ein Neugerät mitunter verlangt, wenn es um große Marken geht. | |
Doch das Angebot scheint gefragt zu sein: 20.000 Geräte kauft und verkauft | |
das Unternehmen im Monat. 20 Millionen Euro Umsatz sollen es dieses Jahr | |
werden, 30 Millionen im nächsten. Die schwarzen Zahlen im Jahresabschluss | |
allerdings, die fehlen noch. Das Geld kommt von Investoren, etwa der | |
Investitionsbank des Landes Brandenburg und der französischen | |
Investmentfirma Ventech. | |
Zwischen 150 und 350 Euro hat der Verkäufer des vergilbten iPhones | |
vermutlich für das Gerät bekommen – je nach Funktionsfähigkeit des Geräts, | |
Gebrauchsspuren und Akkuzustand, Größe der Speicherkarte, eventuell | |
vorhandenem SIM-Lock und Zubehör wie Kabel. Ein eigens entwickelter | |
Algorithmus scannt die Gebrauchtpreise im Netz, bezieht den Zustand des | |
Geräts mit ein und errechnet darauf einen Ankaufspreis. | |
## Nachhaltiger Konsum | |
Was defekt ist, reparieren oder tauschen die Techniker. Geht es nur um | |
Schönheitsfehler, kommt es auf den Profit an, Beispiel Kratzer auf der | |
Rückseite: Was kosten das Material und die Reparatur? Und wie viel mehr | |
würde ein Kunde für ein kratzerloses Gehäuse zahlen? | |
Angefangen hatte das Geschäft – klassisch Start-up – im Wohnzimmer. Und | |
zwar in dem von Christian Wolf, damals noch Mitarbeiter bei der Telekom. | |
Als solcher bekam er regelmäßig neue Geräte. Die älteren, aber keineswegs | |
alten landeten in der Schublade. Das wollte er ändern – und verkaufte die | |
ersten Geräte über Ebay. Doch während dort vor allem der Preis zählt, | |
wollen sie bei asgoodasnew gleich Werte mit verkaufen. Nachhaltigkeit und | |
Qualität. | |
Meterweise Metallregale stehen in dem hellen Raum. Daten- und Ladekabel | |
baumeln herunter, Verpackungen und Reinigungslösung stehen herum. Zwischen | |
den Regalen Schreibtische, an denen Menschen Technik auf- und zuschrauben | |
und Computer mit Daten füttern. Es klackt und klappert, ein Ventilator | |
surrt, Scheren ratschen durch Klebeband, Folie knistert. | |
Unternehmenssprecher Kamil Fjialkowski deutet auf zwei Paletten und zwei | |
grüne Körbe: 478 Pakete sind heute gekommen, manche mit einem, manche mit | |
zwei Geräten. Smartphones, Tablets, Notebooks, Kameras, die allermeisten | |
funktionsfähig. „Klar, manche versuchen es auch und schicken einen defekten | |
Toaster“, sagt Fjialkowski. Solche Sendungen würden dann meist – das | |
Einverständnis des Absenders vorausgesetzt – an ein Unternehmen geschickt, | |
das sie auseinandernimmt und recycelt. | |
## Selber basteln geht nicht | |
Einen Raum weiter sitzt Techniker Puhlmann. 30 bis 40 Minuten braucht er | |
für den Austausch des verfärbten Telefon-Covers. Mit einem | |
Spezialschraubenzieher löst er den Deckel – schließlich will Hersteller | |
Apple nicht, dass jeder zu Hause mal eben sein Telefon aufschrauben kann. | |
Schritt für Schritt legt er die Teile frei, entfernt, was das Gehäuse | |
zusammenhält. Neben einer Lupe hat Puhlmann eine Karte mit eingezeichneten | |
Rechtecken vor sich liegen, auf denen er die Schrauben und Kleinteile | |
ablegt. So ist es später einfacher, alles der Reihe nach zusammenzubauen. | |
Asgoodasnew wagt einen Spagat: Einerseits betont das Unternehmen den | |
ökologischen Vorteil von Gebrauchtgeräten. Andererseits ist gebrauchte | |
Hardware nur dann attraktiv, wenn sie immer noch sehr neu ist. Für den | |
Erlös eines fünf Jahre alten Nokias lässt sich nicht einmal eine Tageskarte | |
im Brandenburger Nahverkehr kaufen. Die Macher von asgoodasnew leben also | |
von der Schnelllebigkeit eines Marktes, den sie durch ihr Geschäftsmodell | |
kritisieren. | |
Geschäftsführer Boldin versucht gar nicht erst, diesen Widerspruch zu | |
erklären. „Die Entwicklung geht nun einmal dahin, dass die Geräte immer | |
schneller ausgetauscht werden.“ Früher waren es zwei Jahre: Diesen Rhythmus | |
gaben die Mobilfunkanbieter vor, bei denen der Vertragskunde alle zwei | |
Jahre ein neues Gerät bekommen konnte. | |
## Ständig ein neues Telefon | |
Mittlerweile, schätzt Boldin, liegt der Schnitt bei Smartphones zwischen 16 | |
und 18 Monaten. Tendenz sinkend. Wann ist die Untergrenze erreicht? | |
Tauschen Nutzer irgendwann jedes Dreivierteljahr ihr Smartphone aus? Alle | |
sechs Monate? Alle drei? | |
„Natürlich wäre es am besten, alle würden ihr Telefon so lange wie möglich | |
nutzen und es dann noch mal reparieren“, sagt Michael Angrick, der beim | |
Umweltbundesamt (UBA) den Bereich „Nachhaltige Produktion und Produkte, | |
Kreislaufwirtschaft“ leitet. | |
Das Problem liege aber häufig schon beim Hersteller: Verklebte Akkus etwa | |
machen es unmöglich, dass der Nutzer selbst einen alten ersetzt. Und dann | |
fragt der Händler: Wollen Sie nicht doch lieber ein neues Telefon? | |
106 Millionen Handys liegen in Deutschland ungenutzt in Schubladen herum. | |
Das meldete [2][der Branchenverband Bitkom] Anfang des Jahres. Im | |
vergangenen Jahr waren es noch 86 Millionen. Also da schon mehr als ein | |
Handy pro Einwohner. | |
Laut Zahlen des Umweltbundesamtes lagern damit über 21 Tonnen Silber und | |
zwei Tonnen Gold in den Schubladen, dazu Kupfer, Palladium, Zinn, Tantal. | |
Und all die unsichtbaren Güter – der Strom- und Wasserverbrauch bei der | |
Herstellung, der Treibstoff beim Transport. | |
## Verschiedene Recycling-Ansätze | |
Schon einige Initiativen haben versucht, die Handys aus den Schubladen | |
raus- und in den Recyclingskreislauf reinzuholen. Der Nabu etwa erhält | |
[3][2,10 Euro pro gesammelten Telefon] von einem Mobilfunkanbieter. 10.568 | |
Geräte waren das im ersten Halbjahr 2014. Falls da nicht nur defekte | |
Uraltgeräte zusammenkommen, wäre das für das Mobilfunkunternehmen durchaus | |
lohnend. | |
In den USA können Nutzer ihre Altgeräte in eine Art Geldautomaten geben. | |
Telefon anschließen, reinstecken, Maschine spuckt Geld aus. Auch ein Modell | |
für Deutschland? | |
Könnte sein, sagt UBA-Experte Angrick. Denn momentan fehle ein konkreter | |
Anreiz, Telefone wieder in den Kreislauf zu bringen. „Ein Handy nimmt | |
keinen Platz weg“, sagt er. Angrick meint aber auch: Schublade ist nicht | |
die schlechteste Lösung. Denn derzeit ließen sich noch nicht alle | |
Rohstoffe, die in dem Gerät verbaut sind, auch wieder herausholen. | |
Bei manchen scheitert es an der Technik, bei anderen an der | |
Wirtschaftlichkeit. In fünf bis acht Jahren, schätzt er, werde man weiter | |
sein. Bis dahin allerdings wird für jedes neu produzierte Telefon noch | |
weiter in den Rohstoffminen gegraben. | |
In der Markenberger Fabrik sieht das iPhone wieder aus wie neu. | |
Rüberwischen, Foto machen, verpacken. In wenigen Tagen wird es bei seinem | |
neuen Besitzer sein. Am besten für mehr als 16 Monate. | |
16 Nov 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://asgoodasnew.com/ | |
[2] http://www.bitkom.org/de/presse/30739_78445.aspx | |
[3] http://www.nabu.de/themen/konsumressourcenmuell/waskannichtun/handyrecyclin… | |
## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
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