| # taz.de -- Isis-Kämpfer aus Deutschland: Die Dschihad-Homies | |
| > Die Isis-Milizen im Irak bekommen Zulauf von Islamisten aus Deutschland. | |
| > Dutzende junge Männer und Frauen sind in den Nahen Osten gereist. | |
| Bild: Wie viele deutsche Staatsbürger verbergen sich hinter den Masken? | |
| BERLIN taz | 3.261,39 Kilometer. So weit ist Bagdad von Berlin entfernt. | |
| Die dschihadistischen Milizionäre von Isis kämpfen derzeit 60 Kilometer von | |
| der irakischen Hauptstadt entfernt. | |
| 723,70 km nordwestlich von Bagdad liegt die syrische Stadt Homs. Dort soll | |
| sich der 27-jährige Robert Baum im Januar 2014 in die Luft gesprengt haben. | |
| Der gebürtige Solinger war 2009 zum Islam konvertiert und trug seither den | |
| Namen Uthman Al Almani. Bei einem Sprachstudium in Ägypten geriet er in | |
| Kontakt mit Anhängern des Salafismus, die eine ultrakonservative Auslegung | |
| des Islams propagieren. Nach seiner Rückkehr suchte Baum eine von | |
| Salafisten betriebene Moschee in der Konrad-Adenauer-Straße in Solingen | |
| nahezu täglich auf. | |
| Mitte Juli 2011 wurde Baum dann mit einer weiteren Person aus Solingen in | |
| Großbritannien verhaftet und zu einer Haftstrafe von zwölf Monaten | |
| verurteilt. Die Beamten fanden bei den beiden Propagandamaterial von | |
| al-Qaida. Darunter auch eine Anleitung zum Bombenbau. Nach sechs Monaten | |
| wurde Baum nach Deutschland abgeschoben und bekam eine Bewährungsstrafe. | |
| Ein Jahr später flog er erneut nach Ägypten und wurde von Schleppern nach | |
| Syrien eingeschleust. Er kämpfte und starb für die Gruppierung „Islamischer | |
| Staat im Irak und in Syrien“ (Isis). Als Selbstmordattentäter soll er in | |
| Homs 50 Menschen mit in den Tod gerissen haben. In sozialen Netzwerken wird | |
| Robert Baum seither als Märtyrer gefeiert. | |
| ## Wichtige salafistischen Organisation | |
| Robert Baums Geschichte ist kein Einzelfall. Laut Angaben des Bundesamts | |
| für Verfassungsschutz von Ende April ist er nur einer von 20 Dschihadisten | |
| aus Deutschland, die ihr Leben in Syrien gelassen haben. Insgesamt 320 | |
| Personen sollen bereits aus Deutschland in den Dschihad nach Syrien gezogen | |
| sein. Die Zahl steigt wöchentlich. Anders als Robert Baum haben über 90 | |
| Prozent der Ausreisenden einen Migrationshintergrund, mindestens die Hälfte | |
| von ihnen besitzt die deutsche Staatsbürgerschaft. | |
| In den meisten Fallen reisen die deutschen Glaubenskrieger mit dem Flugzeug | |
| oder dem Auto über die Türkei nach Syrien. Der Grenzübergang wird dort kaum | |
| kontrolliert. Schleuser geben Ratschläge und stellen Fahrzeuge zum | |
| Transport der Deutschen zur Verfügung. | |
| Isis ist mit geschätzten 5.000 bis 15.000 Anhängern eine der wichtigsten | |
| salafistischen Organisationen, [1][so Nahostexperte Guido Steinberg]. In | |
| einer Analyse vom April 2014 hält Steinberg fest, dass die Isis für viele | |
| Kämpfer in Syrien attraktiver erscheine als die gemäßigte Nusra-Front. In | |
| der Konsequenz schlossen sich insbesondere ausländische Kämpfer der Isis | |
| an. Der Ableger der al-Qaida betrachtet das Assad-Regime und die Schiiten | |
| als Feinde, ist für äußerst brutale Attentate verantwortlich und | |
| terrorisiert in den von ihr kontrollierten Gebieten in Syrien und im Irak | |
| die Bevölkerung. Folterungen und Exekutionen werden in aller Öffentlichkeit | |
| begangen, wie Videos, die online zu sehen sind, dokumentieren. | |
| So wie Robert Baum schloss sich im April 2014 auch der Berliner Ex-Rapper | |
| Denis Cuspert alias Deso Dogg der Isis an. Als Abu Talha al-Almani | |
| berichtet er regelmäßig aus Syrien und nutzt YouTube als Medium für seine | |
| Propaganda. In einem Video ist er im Auto unterwegs, um ausgewählten | |
| syrischen Familien Kleidung und Lebensmittel aus Deutschland zu übergeben. | |
| In einer anderen Aufzeichnung trägt er eine Militäruniform und sichert dem | |
| Isis-Chef Abu Bakr al-Baghdadi seine Unterstützung zu, „um ein Zeichen zu | |
| setzen, dass wir so Gott will auf dem geraden Weg sind“. Auch der | |
| 26-jährige Fußballprofi und ehemalige Jugendnationalspieler Burak Karan | |
| soll sich dem Syrien-Dschihad angeschlossen haben und bei einem Luftangriff | |
| getötet worden sein. | |
| ## „Dschihad-Ehen“ für wenige Stunden | |
| Bei den meisten Kämpfern handelt sich um junge Männer im Alter von 18 bis | |
| 25 Jahren, erklärte Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamts für | |
| Verfassungsschutz. Auch die Ausreise von Frauen und minderjährigen Personen | |
| aus Deutschland beobachte seine Behörde, so Maaßen. Bis zu zwei Dutzend | |
| Frauen sollen dem Aufruf der sogenannten Dschihad-Ehe gefolgt sein. Ihr | |
| Ziel ist es, den Mudschaheddin, den „Gotteskriegern“, wenige Stunden | |
| sexuell zur Verfügung zu stehen. Der tunesische Innenminister warnte schon | |
| im vergangenen Jahr vor diesem neuen Phänomen, das nun in Europa Einzug | |
| hält. | |
| Zwar schlossen sich bereits 2009 einzelne deutsche Frauen den Mudschaheddin | |
| im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet an, doch reisten sie meist in | |
| Begleitung ihrer kampfbereiten Ehemänner. Der frühere taz-Journalist Wolf | |
| Wiedmann-Schmidt hielt in seinem Buch „Jung, deutsch, Taliban“ fest: „Die | |
| Rolle der Frau im Dschihad soll sich traditionell auf eine | |
| passiv-unterstützende beschränken.“ | |
| Dass sich muslimische Frauen den Dschihadisten für sexuelle Zwecke zur | |
| Verfügung stellen, erschien damals noch undenkbar. Arabische Medien | |
| berichteten entsetzt und überrascht über die „Dschihad-Ehen“ in Syrien. D… | |
| jüngste Fall: die 15- beziehungsweise 16-jährigen Wienerinnen Samra | |
| Kesinovic und Sabina Selimovic, die über die Türkei nach Syrien kamen. Die | |
| beiden werden seit dem 10. April vermisst und inzwischen von Interpol | |
| gesucht. Ihre aus Bosnien und Herzegowina stammenden Familien fanden | |
| Abschiedsbriefe. Darin schrieben die jungen Frauen: „Wir sind auf dem | |
| richtigen Weg. Wir gehen nach Syrien, kämpfen für den Islam. Wir sehen uns | |
| im Paradies.“ | |
| ## IPhone für den heiligen Krieg | |
| Dass deutsche Islamisten in den Heiligen Krieg ziehen, ist nicht neu. Schon | |
| in Afghanistan und in Pakistan waren ähnliche Entwicklungen zu beobachten. | |
| Auch zum Dschihad in Bosnien und Herzegowina in den 1990er Jahren folgten | |
| Glaubensbrüder aus aller Welt. Der wesentliche Unterschied zur aktuellen | |
| Ausreisewelle nach Syrien liegt darin, dass populäre Prediger wie Ibrahim | |
| Abou-Nagie, Abu Abdullah, Sven Lau alias Abu Adam und andere ganz offensiv | |
| im Internet werben, die „Geschwister zu unterstützen“. | |
| Allein auf Facebook soll es nach Angaben deutscher Sicherheitsbehörden rund | |
| hundert Profile geben, die den Kampf um Damaskus glorifizieren. Zusätzlich | |
| konnten fünf deutschsprachige Webseiten ermittelt werden, die für die „gute | |
| Sache“ werben. Die „Benefizveranstaltungen für Syrien“ nehmen in diesem | |
| Kontext eine Schlüsselrolle ein. Gleichgesinnte treffen sich zum Spenden | |
| und Austausch. | |
| So wurde am 1. April 2013 in Bonn ein iPhone für 7.000 Euro versteigert, zu | |
| sehen auf YouTube. Die deutsche Islamistenszene organisiert sich vor allem | |
| über das Netz. „Allerdings ist das Internet ein Vehikel und nicht die | |
| Ursache der Radikalisierung“, sagte LKA-Analyst und Islamwissenschaftler | |
| Marwan Abou Taam der taz. | |
| Die Motivation der deutschen Dschihadisten sei dabei sehr vielfältig. | |
| Einige Ausreisende seien davon überzeugt, ihrer religiösen Pflicht | |
| nachzugehen und für die „Sache Allahs“ zu kämpfen. Andere betrachteten die | |
| Reise als Abenteuer, seien Mitläufer oder ließen sich durch die Propaganda | |
| der Islamistenszene radikalisieren. Doch seien darunter auch | |
| „Triebgesteuerte“, so Abou Taam, die ihre Mordfantasien ausleben, und | |
| „Neugeborene“, die ihre meist kriminelle Vergangenheit damit abbüßen | |
| wollten. | |
| Für deutsche Behörden stellen vor allem diejenigen Dschihadisten einen | |
| Bedrohung dar, die vom „Heiligen Krieg“ zurückkehren. Sie bringen | |
| Erfahrungen im Kampfeinsatz, in der Schusswaffennutzung, im Bombenbau oder | |
| in der Rekrutierung von neuen Anhängern mit. | |
| ## Razzia bei Isis-Anhängern | |
| Ende März 2014 fand eine groß angelegte Razzia in Berlin, Bonn und | |
| Frankfurt statt. Drei Verdächtigte von Isis wurden verhaftet, darunter zwei | |
| Personen, die sich in Syrien als Dschihadisten aufhielten und nach ihrer | |
| Rückkehr die Isis mit Geld und Sachmittel unterstützt hatten. Nur zwei | |
| Wochen später wurden drei weitere mutmaßliche Isis-Anhänger in Deutschland | |
| verhaftet, teilweise mit eigener Kampferfahrung in Syrien. | |
| Am vergangenen Sonntag verhaftete die Bundespolizei dann einen mutmaßlichen | |
| Islamisten in Berlin. Der 30 Jahre alte Verdächtige sei am Samstagabend am | |
| Flughafen Tegel erkannt worden, sagte ein Polizeisprecher am Sonntag. Der | |
| mit internationalem Haftbefehl gesuchte 30-jährige Mann aus Frankreich sei | |
| wohl aus Syrien gekommen. Er werde verdächtigt, dort in Kampfhandlungen | |
| verwickelt gewesen zu sein. | |
| Nach Informationen der FAZ sei er nach Syrien gereist, um sich Isis | |
| anzuschließen. Die Offensive im Irak dürfte weitere Ausländer für den | |
| „Heiligen Krieg“ in Nahost mobilisieren. Mit den deutschen Kämpfern in | |
| ihren Reihen ist Isis viel näher an Deutschland, als die gut 3.000 | |
| Kilometer vermuten lassen. | |
| 17 Jun 2014 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ghassan Abid | |
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