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# taz.de -- Extremismus in der Türkei: Isis-Fahnen in Istanbul
> Die türkische Regierung toleriert eine Organisation, die den
> Isis-Dschihadisten nahesteht. Auf entsprechende Fragen reagiert sie
> ungehalten.
Bild: Ein Isis-Kämpfer in der nordostsyrischen Stadt Rakka.
ISTANBUL taz | Auf den ersten Blick unterscheidet sich Haznedar nicht von
anderen bürgerlichen Vororten von Istanbul. Mittelklasse-Apartmenthäuser,
wenig Grün und als Mittelpunkt des Stadtteils eine Fußgängerzone, die die
übliche Mischung aus Lebensmittel- und Textilläden anbietet. Natürlich sind
Frauen mit Kopftüchern oder im Tschador zu sehen, aber es gibt andere
Viertel in Istanbul, in denen die religiöse Prägung auffälliger ist.
Ein erstes Indiz, dass Haznedar sich von der normalen Istanbuler Mischung
unterscheiden könnte, sind Transparente, die über die Fußgängerzone
gespannt sind und auf denen der islamische Forschungsverein Hisader für
sich wirbt. Auf dem Transparent ist ein Emblem gedruckt, dass auch die
schwarzen Fahnen der Isis-Dschihadisten in Syrien und im Irak schmückt: das
Siegel des Propheten.
Der Verein hat in der Fußgängerzone im ersten Stock eines Wohnhauses sein
Büro. Telefonnummer und Webadresse stehen an der Haustür. Hisader
präsentiert sich auf seiner Website als Organisation, die sich um
Jugendliche mit Drogen- oder Alkoholproblemen kümmert. Kürzlich tauchten im
Netz aber Fotos auf, die große Lkws zeigen, auf denen der Name Hisader
prangt und die Hilfslieferungen für Syrien geladen haben sollen.
Auf jedem Lkw stand außerdem groß der Namen eines Märtyrers, dem die
Lieferung gewidmet war. Die beiden Namen, Ahmet Aldanmaz und Fatih
Kücükali, so fanden türkische Kollegen heraus, gehören zwei in Afghanistan
getöteten jungen Türken, die aus dem Stadtteil stammten und sich angeblich
al-Qaida angeschlossen hatten. Kurz darauf stellte der Journalist Emre
Ercis, der seit Längerem über die türkische Dschihadistenszene
recherchiert, ein Foto auf Twitter, das einen Mann namens Fatih Arslan,
angeblich stellvertretender Hisader-Vorsitzender, in Syrien mit einer
Kalaschnikow im Arm in einem Isis-Lager zeigt. Die Zeitung Milliyet
berichtete am nächsten Tag, dass die Mutter eines von Hisader betreuten
Drogenopfers dem Verein vorwirft, ihren Sohn zum Dschihad nach Syrien
verschleppt zu haben.
## Fanshop für Dschihadisten
„Wir wissen schon länger“, sagt Kerem Caliskan, Chefredakteur der Zeitung
Yurt, „dass der Istanbuler Stadtteil Güngören mit den Kiezen Haznedar und
Bagcilar Rekrutierungsgebiete für den Dschihad in Syrien sind“. Erst
kürzlich hatten mehrere Zeitungen ein Foto abgedruckt, auf denen ein Mann
in einem schwarzen Isis-T-Shirt eine Kurdendemonstration in Bagcilar
bedroht. Weil Isis in Syrien immer wieder die kurdischen Autonomiegebiete
angreift, fragten sich viele politische Beobachter, ob Isis nun auch schon
auf den Straßen Istanbuls agiert.
Ein Reporter von Yurt war es auch, der einige Tage später die Herkunft der
Isis-Tracht entdeckte. In Bagcilar war gerade ein Shop eröffnet worden, der
die T-Shirts von Isis offen in seiner Auslage hatte. Der Laden befindet
sich in einem gerade fertiggestellten neuen Wohnhaus und wirkt wie ein
Fanshop für Dschihadisten: salafistische Frauenmode neben gekreuzten
Schwertern und T-Shirts mit Koranversen – nur das Isis-Shirt war nach dem
Yurt-Artikel aus der Auslage verschwunden. Gegenüber einer BBC-Reporterin
behauptete der Eigentümer, er habe mit Isis nichts zu tun, fände es aber
nicht schlecht, wenn die Scharia in der Türkei eingeführt würde.
## Wie ertappte Sünder
Auf Fragen, warum die Regierung offenbare Rekrutierungsorganisationen von
Isis duldet, schweigen Ministerpräsident Erdogan und seine Männer. Doch
manchmal reagieren sie wie ertappte Sünder. Als Bundesaußenminister
Frank-Walter Steinmeier kurz nach der Offensive von Isis im Irak seinen
Kollegen Ahmet Davutoglu in Istanbul traf und Davutoglu bei einer
Pressekonferenz gefragt wurde, ob es stimmt, dass Isis Waffenlieferungen
aus der Türkei erhalten hat, verlor der türkische Außenminister, der sich
normalerweise im Griff hat, völlig die Beherrschung. Das sei eine bösartige
Unterstellung und beleidige den Islam.
Die Versorgung von Isis-Kämpfern in türkischen Krankenhäusern und ein
derzeit in Adana laufender Prozess gegen Gendarmen, die versehentlich einen
Lkw stoppten, der für den türkischen Geheimdienst auf dem Weg nach Syrien
war, sind allerdings weitere Indizien dafür, dass die Regierung zu
mindestens in der Vergangenheit Isis mit groß gemacht hat.
11 Jul 2014
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
## TAGS
„Islamischer Staat“ (IS)
Dschihadismus
Schwerpunkt Türkei
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