| # taz.de -- Inszenierung der Nationalmannschaft: Alles, nur nicht locker | |
| > Die Nationalmannschaft hat einen Match- und Werbeplan. Daran sollen sich | |
| > gefälligst alle halten, auch Gegner und Reporter. Wehe, wenn nicht. | |
| Bild: Hey, der kann auch locker: Joachim Löw beim Strandspaziergang in Santo A… | |
| Jedes Bild wirkt inszeniert. Wenn Joachim Löw am Strand entlangläuft und | |
| sinnierend aufs Meer hinausschaut, lautet die Botschaft: Hey, da ist einer | |
| in sich gekehrt – tüftelt er im Sand hinterm Campo Bahia an der | |
| Viererkette? Wenn er dann ganz zufällig auf ein paar Einheimische und einen | |
| Herrn in Deutschlandtrikot und zu knapper Badehose trifft, kickt er ein | |
| bisschen mit denen. Botschaft: Hey, der kann auch locker. | |
| Dabei kann dieses deutsche Nationalteam alles, nur nicht locker. Jede | |
| Regung folgt einem Plan, alles ist gestellt. Die Bilder, die in die Heimat | |
| gesandt werden, müssen übereinstimmen mit der Corporate Identity, die das | |
| DFB-Team mittlerweile umgibt. Manager Oliver Bierhoff, die Werbestrategen, | |
| die Sponsoren, sie haben Fußballdeutschland ein Motto mitgegeben: Wir | |
| zusammen für Deutschland, wir zusammen für den vierten WM-Titel. | |
| „Wenn aus 80 Millionen ein Team wird“, heißt das dann bei Bitburger. Oder | |
| „Bereit wie nie“ bei Mercedes, verbunden mit dem Twitter-Hashtag | |
| [1][#Bereitwienie]. Oder [2][#AnEurerSeite], unter das Motto hat der DFB | |
| seine virale Kampagne gestellt. Oder „Ein Land, eine Mannschaft, ein | |
| Traum“, wie es auf dem Mannschaftsbus heißt. Die Inszenierung eines | |
| Turniers, die 2006 begann und mit der Nominierung des Teams auf der | |
| Zugspitze (Motto für die EM in der Schweiz und Österreich: „Bergtour“) | |
| einen ersten grotesken Höhepunkt erreichte, ist gewuchert und strahlt nur | |
| noch Kälte und Distanz aus. | |
| Das könnte sich rächen. 2010 in Südafrika war nach dem [3][Ausfall von | |
| Michael Ballack] ein jugendlich-anarchischer Geist über das Spiel der | |
| deutschen Elf gekommen. Schwache Spiele, wie das gegen [4][Serbien (0:1)] | |
| in der Gruppenphase, wurden ihr nachgesehen. Eine berauschte Elf dankte es | |
| mit dem [5][4:1 über England] und dem [6][4:0 über Argentinien] – und | |
| verlor im [7][Halbfinale gegen Spanien], ein Team, das halt mehr Klasse | |
| hatte als die Deutschen Euphorie. | |
| Bei der Europameisterschaft 2012 [8][scheiterten sie dann an Italien] – | |
| erstmals seit 2006 nicht an fehlender Klasse, sondern daran, dass die | |
| Überplanung mittlerweile auch das Spielfeld erreicht hatte. Es wird nicht | |
| reagiert, es wird durchgezogen. Ein Plan will erfüllt werden. | |
| ## „Wat wolln Se?“ | |
| Die Fortsetzung dieser Entwicklung war am Montag gegen Algerien zu sehen, | |
| auch wenn es diesmal noch zu einem [9][2:1-Sieg nach Verlängerung] reichte. | |
| Es zeigte sich wieder: Wenn die Gegner den Werbe- und Matchplan des | |
| Unternehmens Nationalmannschaft entlarven, wie Ghana, Algerien oder | |
| ZDF-Reporter Boris Büchler, dann wird es ungemütlich. | |
| „Wat wolln Se?“, blaffte Per Mertesacker nach dem Algerien-Spiel Büchler in | |
| der Mixed Zone an. Tja, was will der Mann? Was wollen die Zuschauerinnen | |
| und Zuschauer? Dass die deutsche Mannschaft vernünftig Fußball spielt. Zum | |
| Beispiel. Büchler hätte diese Antwort geben können. Hat er aber nicht. | |
| Dafür ist er viel zu höflich. Mertesacker wollte aber auch gar keine | |
| Antwort hören. Er wollte nur wüten: „Wollen Sie eine erfolgreiche WM – od… | |
| sollen wir wieder ausscheiden und haben schön gespielt?“ | |
| Büchlers Kritik passte nicht ins schöne Bild, passte nicht in die Corporate | |
| Identity. Der ZDF-Mann hat eine Bildstörung verursacht. Mertesacker, der | |
| sonst so besonnen wirkt, stimmt daraufhin nun auch lautstark mit ein in den | |
| „Wir lassen uns unser Projekt nicht kaputtreden“-Chor. Und prompt kommen | |
| die Claqueure: Authentisch sei das gewesen, Merte hätte diese blöden Fragen | |
| der Journalisten endlich mal gekontert, er sei einer, der seine Meinung | |
| sagt. | |
| Das ist alles Quatsch. Er hatte keine Meinung. [10][Er hatte nur keinen | |
| Bock.] Wie ein störrisches Kind stand er da und wartete auf die Stichworte, | |
| um sich mal richtig auszukotzen. Und er ist damit nicht allein. Bastian | |
| Schweinsteiger wechselt kein Wort mehr mit den Medien, Toni Kroos fühl sich | |
| unter Wert betrachtet und Mertesacker mag jetzt auch nicht mehr. | |
| #Beleidigtwienie. | |
| Das Team und der Verband erwarten loyale Medien. Im Gegenzug muss es | |
| genügen, wenn Katrin Müller-Hohenstein mal ein paar Minuten zusammen mit | |
| Lukas Podolski die Füße in den Pool halten darf, dazu ein paar | |
| Phrasen-Pressekonferenzen hier und eine Viertelstunde beim Training | |
| zuschauen dort. | |
| ## Freche Medienlümmel | |
| Und auch auf dem Platz scheint die Mannschaft Gegner zu erwarten, die sich | |
| unterwerfen. [11][Portugal] und [12][die USA] haben das gut gemacht, | |
| [13][Ghana im zweiten Gruppenspiel] nicht so – und die Algerier wollten mit | |
| ihren schnellen, das Mittelfeld der Deutschen einfach nicht beachtenden | |
| Angriffen gar nicht der DFB-Inszenierung folgen. | |
| Darauf konnten das Team – und der Stab drumherum – ebenso wenig reagieren, | |
| wie es nicht mit diesen frechen Medienlümmeln umgehen kann. Hier wie dort | |
| wird einfach weitergespielt, ein bisschen wütender vielleicht, aber | |
| ansonsten? Ein paar positionsbezogene Wechsel, ein bisschen Glück. Nur | |
| nicht auf die Kritik eingehen. Fragen ignorieren. | |
| Das hat der Mannschaft gereicht, das muss auch der Öffentlichkeit reichen. | |
| Oder? „Ich versteh die ganze Fragerei nicht. Wir sind weitergekommen, wir | |
| sind superhappy“, sagte Per Mertesacker nach dem Spiel. Er sah dabei gar | |
| nicht supperhappy aus. | |
| 2 Jul 2014 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://twitter.com/search?q=%23bereitwienie&src=tyah&mode=videos | |
| [2] http://twitter.com/search?q=%23AnEurerSeite&src=typd&mode=videos | |
| [3] /!54890/ | |
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| ## AUTOREN | |
| Jürn Kruse | |
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