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# taz.de -- Protest am Standort des DFB-Quartiers: „Es wurde hier alles verbr…
> Sein Quartier Campo Bahia hatte der DFB 2014 in Brasilien errichtet.
> Seither steigen die Immobilienpreise. Ein Indianerdorf musste weichen.
Bild: Abgesperrt: Häuptling Ailton am früheren DFB-Trainingsgelände
Aratikum taz | Die 15-jährige Ãgohó ’ Ĩ ist auf dem Heimweg von der Schul…
Mit der Fähre fährt sie über den Rio João de Tiba von Santa Cruz de
Cabrália nach Santo André über. An der Reling steht sie und erzählt: Das
Dorf Aratikum, in dem sie mit ihrer Mutter, ihrer Schwester und 13 anderen
Familien noch bis vor Kurzem gelebt hatte und das fünf Kilometer von Santo
André entfernt lag, sei am 13. Oktober dieses Jahres zerstört worden.
„Zwölf Einsatzfahrzeuge, darunter zwei Bulldozer, machten all unsere
Wohnhäuser, die Grundschule, das Gesundheitszentrum und das Kulturzentrum
dem Erdboden gleich. Sämtliches Eigentum, welches wir nicht rechtzeitig in
Sicherheit bringen konnten, wurde verbrannt.“
Ihr Dorf stand da, wo der Deutsche Fußballbund für die WM 2014 das
Luxusresort Campo Bahia hatte errichten lassen. Hier bereitete Jogi Löw
seine Mannschaft auf den Titel vor.
Nach der Vertreibung im Oktober errichteten die Mitglieder der Gemeinschaft
ein provisorisches Camp am Rande der Landstraße. Ãgohó ’ Ĩ gehört zum
indigenen Stamm der Pataxó. Ein großer Teil seines ursprünglichen
Territoriums ist heute im Besitz von privaten Großgrundbesitzern, den
fazendeiros. Nur wenige Gebiete sind offiziell als Reservate anerkannt und
genießen staatlichen Schutz. So sind viele Gemeinschaften gezwungen, auf
privaten Ländereien zu siedeln, wodurch es regelmäßig zu Konflikten
zwischen ihnen und den fazendeiros kommt.
Die Gemeinde Aratikum wurde Anfang 2014, ein halbes Jahr vor Beginn der
Fußball-WM, gegründet. Das Gelände lag brach; die Besitzerin war vor über
zehn Jahren in die USA ausgewandert. Mitte dieses Jahres kehrte sie zurück,
um ein Verfahren zur Wiederinbesitznahme des Grundstücks einzuleiten. Die
Bundespolizei und die Militärpolizei übernahmen die Räumung des Geländes.
Die Fähre legt am anderen Ufer an. Ãgohó ’ Ĩ steigt in einen der Vans, die
am Ufer bereitstehen. Die Laternenpfosten am Rande der Landstraße, die
Richtung Santo André führt, erinnern noch an den Aufenthalt der Deutschen
vor zweieinhalb Jahren: Sie sind abwechselnd in den Nationalfarben
Deutschlands und Brasiliens bemalt.
Nach zehn Minuten Fahrt versperrt eine Holzbarriere einen Teil der Straße.
Auf einem Banner ist zu lesen: „Wir kämpfen für unsere Leben, für unsere
Familien und gegen den Genozid an den Indigenen.“ Hier steigt Ãgohó ’ Ĩ
aus. Zwei einfache Unterstände, aus Baumstämmen und Wellblech
zusammengeschustert, bilden die einzige Infrastruktur des Camps. Ein
Unterstand wird als provisorische Küche genutzt, der andere dient als
Regenschutz für ein paar Zelte. Dazwischen brennt ein Lagerfeuer.
Cacique Ailton, mit seinem prächtigen Federschmuck unschwer als Häuptling
der Gemeinde zu erkennen, starrt mit ernster Miene in die Flammen. „Die
Situation ist äußerst schwierig“, sagt er. „Vorher hatten wir alles, was
wir zum Leben benötigten. Heute sind wir auf Nahrungsspenden angewiesen und
haben nicht einmal fließendes Wasser.“
Ailton kommt auch auf die Deutschen zu sprechen: „Einerseits gratuliere ich
der deutschen Mannschaft zu ihrem guten Geschmack, unsere schöne Gegend als
Aufenthaltsort ausgewählt zu haben“, sagt er nicht ohne Ironie. Die
Mannschaft habe einer benachbarten Pataxó-Gemeinde ein Fahrzeug zum
Krankentransport gespendet. Eine andere Gemeinde habe einen
Flachbildfernseher geschenkt bekommen. Außerdem habe die deutsche
Mannschaft mit viel Presserummel an den Zeremonien der Pataxó teilgenommen.
## Folgewirkungen des Aufenthalts
Das soziale Engagement „der Deutschen“ stünde allerdings in keinem
Vergleich zu den Folgewirkungen ihres Aufenthalts. „Die Konstruktion des
Resorts Campo Bahia hat die Aufmerksamkeit der Immobilienspekulanten auf
sich gezogen und die Bodenpreise in die Höhe getrieben“, ärgert sich
Ailton. „Kein Wunder, dass die Eigentümerin des Grundstücks die
Wiederinbesitznahme eingeleitet hat. Vorher hat sie sich für das Grundstück
nicht interessiert. Jetzt denkt sie, ihr entgehe ein gutes Geschäft, wenn
sie nicht in den Tourismus investiert.“ Eine Anfrage bei der Eigentümerin
Eva Bailey bestätigt Ailtons Vermutung.
Der Häuptling Aratikums wünscht sich, „die Deutschen“ würden ihre
Mitverantwortung anerkennen und Druck auf die Regierung ausüben, der
Aratikum-Gemeinde ein legales Territorium zuzusichern. Der DFB jedoch
verweist auf Anfrage nur auf Spenden an verschiedene NGOs im Jahr 2014.
Martin Magne, Immobilienmakler und gebürtiger Argentinier, ist seit über 20
Jahren in Santo André. „Santo André ist schon seit den neunziger Jahren ein
begehrter Ort“, sagt er. Nach dem Aufenthalt der Deutschen hätten viele
Eigentümer die Grundstückspreise drastisch erhöht, ein Tourismusboom sei
jedoch ausgeblieben.
## Luxushotel am Strand
Quer durch Santo André führt eine Straße aus Sand, gesäumt von Cashewbäumen
und Hibiskussträuchern. Ein Teil der Straße wird begrenzt von einem
Holzzaun. Irgendwann erscheint ein Holzportal mit einem eingravierten
Traumfänger: das Campo Bahia, ein Luxusresort bestehend aus 14 Villen,
direkt am Strand gelegen.
Gleich nach dem Eingang fällt ein überdimensionaler Traumfänger, den
Pataxós gebaut haben, ins Auge. Willian, 28 Jahre, für Events und
Reservierungen im Resort zuständig, öffnet die Tür von Ocara 2. Das ist die
Villa, in der während der WM unter anderem Philipp Lahm wohnte.
„Ocara“ erinnert an „Oca“, die Bezeichnung für die traditionellen Häu…
der Pataxó. Im Inneren der Villa finden sich mehrere überdimensionale
Pataxó-Porträts: Indianer-Symbolik ist omnipräsent im Campo Bahia, auch
wenn nichts sonst an die Häuser der Pataxó erinnert.
Deutschland war die einzige Nation, die für die WM 2014 ein eigenes
Mannschaftsquartier bauen ließ. „Ursprünglich sollte die deutsche
Mannschaft in einem bereits existierenden Resort in der Nähe von São Paulo
untergebracht werden“, erzählt Willian. „Doch wenige Monate vor Beginn der
WM fiel bei einem Abendessen mit Christian Hirmer, dem Besitzer dieses
Grundstücks, und DFB-Chefs die Entscheidung, das Campo Bahia zu errichten.“
Hirmer ist Geschäftsführer von Hirmer Immobilien. Das Unternehmen gehört
zur Hirmer Gruppe, die hauptsächlich auf den Vertrieb von Männermode
spezialisiert ist. Gleichzeitig ist er Chef von Lide Deutschland, nach
eigenen Angaben das „größte und einflussreichste Unternehmernetzwerk
Brasiliens“. Dessen Gründer, João Doria Júnior, ist einer der vermögendst…
Unternehmer Brasiliens und seit Oktober Bürgermeister von São Paulo.
## Drei Schulgärten angelegt
Mitglieder von Lide sind laut Website des Netzwerks 1.700 der
einflussreichsten Unternehmen Brasiliens, die zusammen 52 Prozent des
privat erwirtschafteten brasilianischen Bruttoinlandsprodukts generieren.
Es ist nach eigenen Angaben das „wichtigste ‚Sprachrohr‘ brasilianischer
Unternehmen gegenüber der Politik“.
Lide Deutschland will Kontakte herstellen. Doch Christian Hirmer ist nicht
nur unternehmerisch tätig; auch Wohltätigkeit ist ihm wichtig: Zusammen mit
seiner Frau hat er die Organisationen „Winning By Giving“ und
„MyGoodGarden“ ins Leben gerufen. Deren Ziel sei es, „das Leben von
Familien in verarmten und benachteiligten Regionen zu verbessern“. In
diesem Rahmen wurden im Mai 2016 in drei Gemeinden jeweils ein Schulgarten
angelegt, auch in Santo André. Zu deren Einweihung wurde eigens Tito
Jackson eingeflogen, der Bruder von Michael Jackson.
In einer Stellungnahme zu den Auswirkungen von Campo Bahia weist Hirmer
einen Zusammenhang zwischen dem Bau des Resorts und Immobilienspekulationen
in der Region zurück. Auf die Frage, ob er die Pataxó in den Fokus seiner
sozialen Aktivitäten stellen möchte, verweist er darauf, bereits ein
„produktives, vertrauensvolles und freundschaftliches Verhältnis“ zu den
Pataxó zu pflegen. Seiner Stellungnahme zu der Nachfrage, was dies konkret
bedeute, ist zu entnehmen, dass es sich dabei bisher lediglich um den
Erwerb von Kunsthandwerk zur Dekoration des Campo Bahia handelte und darum,
den Pataxó „Auftritte mit ihrer Kunst vor und während der Weltmeisterschaft
zu ermöglichen“.
Auf die Anregung, die Gemeinde Aratikum zu unterstützen, zeigt sich Hirmer
immerhin bereit, in Zukunft „über für uns machbare gemeinsame Aktivitäten�…
zu sprechen.
## Stacheldraht und Hunde
Drei Kilometer nördlich von Santo André, mitten im Naturschutzgebiet Santo
Antonio, befindet sich ein großes Areal, welches zu allen Seiten mit
Stacheldraht umzäunt ist. „Privatgelände – Zutritt verboten“ und „Bis…
Hund“, ist auf einigen Schildern zu lesen. Hinter dem Zaun soll sich der
Trainingsplatz, der vom DFB in Zusammenarbeit mit Hirmer Immobilien gebaut
worden ist, befinden.
Ende 2013 hatte Christian Hirmer der Münchner Zeitung tz gesagt, die Region
werde von einer „Akademie für Sport und Bildung für benachteiligte Kinder“
profitieren, die etwa den Rasenplatz nutzen könnte. Auf die Frage, was aus
den Plänen geworden sei, antwortet er, der brasilianische Eigentümer des
Geländes habe den Zutritt unerwarteterweise untersagt. Hirmer habe
„keinerlei Handhabe, um diese Maßnahme des Grundstückseigentümers
anzugehen“.
Auf Nachfrage im Ort Santo André, ob es die Möglichkeit gebe, den
Turnierrasenplatz zu besichtigen, wird auf einige Schlupflöcher im Zaun
verwiesen. Der Platz, auf dem nur wenige Male trainiert worden ist, verfügt
über eine Flutlichtanlage; der Geräteschuppen erinnert an eine kleine
Villa. Er ist in Schwarz-Rot-Gold bemalt und mit drei Klimaanlagen
ausgestattet. Daneben sind vier Holzpfeiler in die Erde eingelassen. Sie
sind nach Pataxó-Art bemalt.
Zwei Kilometer weiter, im Camp der Gemeinde Aratikum: Ãgohó ’ Ĩ bemalt sich
ihr Gesicht in den Farben Schwarz, Rot und Gelb. „Das sind die
traditionellen Farben der Pataxó, das hat nichts mit Deutschland zu tun“,
sagt sie lächelnd. Sie bereitet sich auf den Awê, den gemeinschaftlichen
Tanz, vor, an dem 2014 auch Podolski & Co teilgenommen haben. „Der Tanz
soll die Gemeinschaft und den Kampfgeist stärken“, erklärt Ãgohó ’ Ĩ u…
fügt hinzu: „Wir werden auf unser Gelände zurückkehren.“
17 Dec 2016
## AUTOREN
Simon Knoop
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