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# taz.de -- Gesetz zum Mindestlohn im Bundestag: Acht Euro fünfzig
> Ein Mindestlohn für alle – das klingt gut für die Beschäftigten und
> besorgniserregend für Firmen. Der große Feldversuch der Großen Koalition.
Bild: Gleiche Linie für alle Erntehelfer beim Lohn.
BERLIN taz | Johannes W., 25 alt und Student, arbeitet nebenbei in einem
der besseren Restaurants in Berlin-Schöneberg – für 6,50 Euro die Stunde.
Wie er sollen Tausende Minijobber von dem neuen Mindestlohn-Gesetz
profitieren, das die Regierungskoalition am Donnerstag im Bundestag
verabschieden will: Ab dem 1. Januar 2015 gilt dann in Deutschland ein
Mindestlohn von 8,50 Euro brutto in der Stunde.
Die neue Vorschrift hat in den vergangenen Wochen und Monaten heftige
Diskussionen – und mancherorts auch große Befürchtungen – hervorgerufen.
Drohen nun zahlreiche Jobs verloren zu gehen? Geraten gar ganze Branchen
und Regionen in die Bredouille?
Das Gesetz sieht vor, dass Bereiche, in denen bereits ein tariflicher
Branchenmindestlohn existiert, für eine zweijährige Übergangszeit nach
unten abweichen dürfen. Übergangsregelungen und Erleichterungen bis Anfang
2017 gibt es zudem für die Arbeitgeber von Zeitungszustellern und
Saisonarbeitskräften in der Ernte und Gastronomie.
Ab 2017 kommen die 8,50 Euro dann für alle – allerdings nicht ganz. Für
Langzeitarbeitslose, Auszubildende, Jugendliche unter 18 Jahren und
Praktikanten, die weniger als drei Monate hospitieren, gilt die Vorschrift
nicht. Selbstständige haben ebenfalls keinen Anspruch darauf und
mithelfende Angehörige in kleinen Geschäften auch nicht.
## Höhere Ausgaben an Kunden weiterreichen
Immerhin: Etwa 3,7 Millionen Beschäftigte werden dann nach Angaben von
Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) in den Genuss des Mindestlohns
kommen. Die Arbeitgeber hätten danach Mehrkosten in Höhe von fast 10
Milliarden Euro. Das klingt gut für die Beschäftigten und besorgniserregend
für manche Firma.
Für die Arbeitgeber gibt es mehrere Möglichkeiten, die höheren Stundenlöhne
auszugleichen. Die erste besteht darin, die höheren Ausgaben für die Löhne
an die Kunden weiterzureichen. Im Gastgewerbe zum Beispiel werden die
Personalkosten in den neuen Bundesländern um etwa 20 Prozent steigen, heißt
es bei dem Hotel- und Gaststättenverband in Thüringen. Die Personalkosten
machen etwa ein Drittel der Kosten aus. Die Preise müssten also rein
rechnerisch um 7 Prozent angehoben werden, um den Mindestlohn zu
kompensieren.
Im Taxigewerbe hat der Deutsche Taxi- und Mietwagenverband (BZP) errechnet,
dass Preissteigerungen um 25 Prozent und mehr erforderlich wären, um einen
Mindestlohn für die angestellten Fahrer auszugleichen.
Manche Arbeitgeber dürften auch tricksen: Im Gastgewerbe ackern fast zur
Hälfte Minijobber, berichtet Karin Vladimirov, Sprecherin der Gewerkschaft
Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). Nicht selten werden die Minijobber mit
einer bestimmten Stundenzahl angemeldet, arbeiten aber in Wirklichkeit viel
länger und bekommen den Rest der Arbeitszeit „schwarz“ ausbezahlt – so w…
Johannes W. in Berlin.
## Mehr Geld auch im Theater
Manche Arbeitgeber könnten ihr Personal künftig als Scheinselbstständige
weiterbeschäftigen, dann wird kein Mindestlohn fällig, aber legal ist es
nicht. Das Bundesarbeitsministerium will eine Hotline einrichten, bei der
Beschäftigte und Konkurrenten Verstöße melden können. Diese Angebote, sich
zu beschweren, müssten „niedrigschwellig sein“, betont Rainer Bispinck vom
gewerkschaftsnahen WSI-Tarifarchiv.
Gravierend verändern durch den Mindestlohn könnte sich die Lage im
Kulturbereich. Dort sind derzeit Langzeitpraktika üblich – etwa bei
Theatern und Filmproduktionen. Dass die Hilfskräfte schlecht bezahlt als
„Praktikanten“ ackern, ist nach dem Mindestlohngesetz künftig unzulässig.
Diese Hospitanzen müssen künftig auf drei Monate beschränkt bleiben.
Der Deutsche Bühnenverein und der Bundesverband der Theater und Orchester
haben in einer Stellungnahme dagegen protestiert. In künstlerischen Berufen
gebe es oftmals keine geregelte Ausbildung, an deren Stelle treten bis zu
einjährige Hospitanzen. Die geforderte Ausnahme vom Mindestlohngesetz für
„künstlerische Berufe“ bekamen diese Verbände jedoch nicht.
## Sogwirkung nach unten
Es gibt noch andere – weniger beachtete – Nebenwirkungen, wie die Erfahrung
zeigt: Dort, wo in Deutschland bereits Branchenmindestlöhne existierten,
sind Tariflöhne, die knapp darüber lagen, in der Folge weniger stark
gestiegen als zuvor. Der gesetzliche Mindestlohn könnte also auch eine
gewisse Sogwirkung nach unten haben.
Die Arbeitgeber in der Schnellgastronomie haben zudem darauf hingewiesen,
dass Minijobs für die Beschäftigten mit einer allgemeinen Lohnuntergrenze
von 8,50 Euro brutto attraktiver werden könnten. Minijobber kriegen den
Stundenlohn brutto für netto, während Vollzeiter die vollen Sozialabgaben
zahlen müssen. Das wäre ein Effekt, den sich die Gewerkschaften so nicht
wünschen.
Karl Brenke und Kai-Uwe Müller vom Wirtschaftsforschungsinstitut DIW
bezeichneten den Mindestlohn einst als „Feldexperiment“ – wenn man sich
daran erinnert, dass die Diskussion darüber jetzt schon so viele Jahre
läuft, ist es gut, dass der Feldversuch jetzt endlich beginnt.
2 Jul 2014
## AUTOREN
Barbara Dribbusch
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