| # taz.de -- Umweltministerin Barbara Hendricks: Schaukeln im AKW | |
| > Mit Barbara Hendricks ist ein neuer Politikstil ins Umweltministerium | |
| > eingezogen. Ob sie mit ihrer Art die Probleme lösen wird? | |
| Bild: Barbara Hendricks steht nicht auf Inszenierung. Hier macht sie eine Ausna… | |
| An diesem Nachmittag ist Barbara Hendricks (SPD) ganz schön in Fahrt. Die | |
| Bundesumweltministerin sitzt in einem Kettenkarrussel an einem | |
| ungewöhnlichen Ort: Die 58 Meter hohe Anlage befindet sich im Kühlturm des | |
| „Schnellen Brüters“ in Kalkar – einer Atomruine, die aufgrund von Protes… | |
| und politischen Auflagen nie in Betrieb gegangen ist und heute als | |
| Freizeitpark dient. „Das ist schon ein ganz bemerkenswerter Ausblick“, sagt | |
| Hendricks, als sie wieder festen Boden unter den Füßen hat. | |
| Der rasante Höhenflug im AKW, das die Umweltministerin Ende August im | |
| Rahmen ihrer Sommerreise besucht, ist ein ungewöhnliches Bild. Denn | |
| eigentlich ist Hendricks durch und durch bodenständig, Inszenierungen für | |
| die Medien sind ihr ein Gräuel. „Jetzt ist aber auch mal gut“, sagt sie, | |
| wenn Fotografen sie aus allen Perspektiven aufnehmen wollen. | |
| In einem Kuhstall, der ebenfalls auf dem Besuchsprogramm ihrer Sommerreise | |
| steht, weist sie den Wunsch zurück, eine Kuh zu streicheln. „Und dann nehme | |
| ich noch ein Kind auf den Arm, oder was?“, lautete ihr schnodderiger | |
| Kommentar. Doch den Betreiber des Freizeitsparks, einen etwas überdrehten | |
| Holländer, mag die Ministerin offenbar nicht enttäuschen – zumal Kalkar in | |
| ihrem Wahlkreis liegt. | |
| Auffällig ist der Besuch im ehemaligen Atomkraftwerk auch deshalb, weil | |
| Hendricks dieses Thema bisher nicht sonderlich zu interessieren schien. Die | |
| Verhandlungen über den Verbleib künftiger Castortransporte überließ sie | |
| lieber ihrem Staatssekretär, an den möglichen Endlagerstandort Gorleben | |
| reist sie in dieser Woche zum ersten Mal. | |
| ## Seit 40 Jahren in der SPD | |
| Von ihrem bis dahin einzigen öffentlichen Atom-Termin – im havarierten | |
| Endlager Asse – blieb neben den obligatorischen Bildern mit Helm und | |
| Schutzanzug vor allem ein Satz im Gedächtnis: „Mit dem Thema ist kein | |
| Blumentopf zu gewinnen.“ | |
| Hendricks, die seit über 40 Jahren SPD-Mitglied ist und in der Partei von | |
| der Unterbezirksvorsitzenden bis zur Bundesschatzmeisterin unzählige | |
| Positionen bekleidet hat, räumt offen ein, dass sie von Umweltpolitik | |
| bisher nicht viel Ahnung hatte. „Ich hätte auch ein anderes Ministerium | |
| übernommen“, sagt sie. | |
| Das war bei vielen ihrer Vorgänger nicht anders. Ob Angela Merkel oder | |
| Jürgen Trittin, ob Sigmar Gabriel oder Peter Altmaier: Sie alle kamen | |
| fachfremd und eher zufällig ins Umweltministerium, merkten dann aber | |
| schnell, welche Profilierungschancen der neue Job bietet. | |
| Sich in die vielen neuen Fakten einzuarbeiten ist auch für Hendricks kein | |
| Problem. Bei ihren ersten Auftritten las sie noch vom Blatt ab, was ihre | |
| Fachleute für sie aufgeschrieben hatten. In Interviews klangen viele | |
| Aussagen wie auswendig gelernt. Inzwischen hat sie Zahlen und Fachbegriffe | |
| drauf, kann über die zentralen Themen ihres Ressorts auch ohne Spickzettel | |
| sprechen. | |
| Ein Unterschied zu ihren Amtsvorgängern ist dennoch unübersehbar: Hendricks | |
| wirkt bis heute oft recht leidenschaftslos. Pompöse Auftritte sind nichts | |
| für die 62-Jährige, die den Großteil ihren Lebens in Kleve verbracht hat | |
| und an der nahen Universität Bonn über „Die Entwicklung der | |
| Margarineindustrie am unteren Niederrhein“ promoviert hat. | |
| Den „Petersberger Klimadialog“ etwa, ein jährliches Treffen der weltweit | |
| wichtigsten Umweltminister, hatten Norbert Röttgen und Peter Altmaier zu | |
| großen Gesten und dramatischen Appellen genutzt. Als Hendricks im Juli die | |
| Gäste aus aller Welt begrüßt, ist von derartigem Pathos nichts zu spüren. | |
| „Ich möchte uns alle dazu ermutigen, dass wir gemeinsam und jeweils in | |
| unsere Verantwortung als Umweltminister in unseren Heimatländern die Ärmel | |
| aufkrempeln und unsere Anstrengungen für den Klimaschutz weiter erhöhen“, | |
| sagt die Ministerin zwar. Doch nicht nur ihre Grabesstimme und ihr steifer | |
| Vortrag hinter dem hohen Rednerpult lassen Zweifel daran aufkommen, dass | |
| das gelingt. | |
| ## Die Blamage | |
| Hendricks droht zudem eine internationale Blamage: Der einstige | |
| Klima-Musterschüler Deutschland tut sich schwer damit, sein eigenes | |
| Klimaziel für 2020 zu erreichen. Damit es noch klappt, müsste der jährliche | |
| Rückgang des CO2-Ausstoßes in den nächsten Jahren mehr als dreimal so stark | |
| ausfallen wie in der Vergangenheit. | |
| Wie ist das zu schaffen, von Barbara Hendricks? In so kurzer Zeit? | |
| Antworten soll die Sommerreise geben, bei der die Ministerin einen Bus voll | |
| Journalisten durch ihre Heimatregion kutschieren lässt. In einem | |
| Versuchsstall bei Kleve berichtet ein Wissenschaftler, wie eine Umstellung | |
| des Futters dafür sorgen kann, dass Kühe weniger klimaschädliches Methan | |
| produzieren. In der Kläranlage der Kleinstadt Isselburg erläutert ein | |
| Ingenieur, wie sich mit „maschineller Überschussschlamm-Eindickung“ der | |
| Energieverbrauch der Anlage reduzieren lässt. In Bottrop zeigt der Chef der | |
| örtlichen Wohnungsbaugesellschaft, wie aus einem Mehrfamilienhaus der | |
| 1960er Jahre ein „Plus-Energiehaus“ wurde, das mit futuristischer | |
| Solarfassade und Wärmepumpe mehr Energie produziert, als seine Bewohner | |
| verbrauchen. | |
| Hendricks gibt sich überall interessiert und beeindruckt. Sie bestaunt die | |
| Messgeräte im Kuhstall. Sie erklimmt den stinkenden Faulturm der | |
| Kläranlage. Sie durchschneidet das symbolische Band vor der Tür des neuen | |
| Energiesparhauses. „Klimaschutz findet auch vor Ort im Kleinen statt“, sagt | |
| sie vor der glitzernden Solarfassade. | |
| Doch eine gewisse Distanz zu diesen technischen Verheißungen kann die | |
| praktisch veranlagte Ministerin nicht verbergen. Küchengeräte, die über das | |
| Internet kommunizieren? „Ich selber müsste mich da auch erst dran | |
| gewöhnen“, sagt sie mit skeptischem Blick zum ersten Mieter der Wohnung, | |
| der von dieser Idee ebenfalls wenig begeistert erscheint. | |
| Ihr eigenes Haus am Fuß der Schwanenburg in Kleve, das die Umweltministerin | |
| zusammen mit ihrer Lebensgefährtin bewohnt, ist von einem solchen Standard | |
| denn auch meilenweit entfernt. „Wir haben irgendwann mal den Heizkessel | |
| ausgetauscht“, sagt Hendricks. „Sonst noch nichts.“ | |
| ## Das Klimaziel | |
| Damit ist die Ministerin durchaus repräsentativ: Die Rate, mit der | |
| bestehende Häuser in Deutschland saniert werden, ist viel zu gering, um die | |
| Einsparungen zu erreichen, die nötig sind, um das Klimaziel zu erreichen. | |
| Wie sich das ändern soll, weiß Hendricks auch noch nicht. | |
| Klar ist: Allein wird sie es nicht schaffen. Für den Baubereich ist sie | |
| durch einen Neuzuschnitt der Ressorts zwar selbst zuständig, doch bei | |
| anderen entscheidenden Fragen, etwa Verkehr oder Landwirtschaft, ist | |
| Hendricks von anderen Ministerien abhängig. Über die Energiepolitik, das | |
| zentrale Aufgabenfeld ihrer Vorgänger, entscheidet nun der | |
| Wirtschaftsminister – ihr Parteichef Sigmar Gabriel. Hendricks gibt vor, | |
| dass sie der Verlust des bisher wichtigsten Themas ihres Ministeriums nicht | |
| stört. „Dadurch kommen andere wichtige Aufgaben und Themen wieder besser | |
| zur Geltung“, sagt sie, während sie mit ihrer Sommerreise-Gruppe in | |
| Duisburg über ein ehemaliges Hüttengelände radelt, das heute als riesiger | |
| Kultur- und Naturpark dient. | |
| Die Energiepolitik habe „eine dienende Funktion“ gegenüber dem Klimaschutz, | |
| für den sie weiterhin zuständig ist, sagt sie. Ob Wirtschaftsminister | |
| Sigmar Gabriel von seiner „dienenden Rolle“ ihr gegenüber weiß? Da | |
| schmunzelt die Umweltministerin nur – und tritt etwas schneller in die | |
| Pedale. Als SPD-Schatzmeisterin hat Hendricks eng mit Parteichef Gabriel | |
| zusammengearbeitet, sagt sie. „Auch wenn die Interessen nicht immer | |
| identisch waren.“ Ohne Interessengegensätze dürfte es auch beim | |
| Klima-Aktionsplan nicht abgehen, wenn Gabriel die Interessen der Wirtschaft | |
| gegen Hendricks’ Wünsche verteidigen muss. | |
| Dass Hendricks diesen Konflikt gewinnen kann, bezweifeln viele Beobachter. | |
| Im Gegensatz zu ihren Amtsvorgängern ist die aktuelle Umweltministerin | |
| wenig in den Medien vertreten und der Öffentlichkeit noch immer kaum | |
| bekannt. | |
| Selbst ihre natürlichen Verbündeten, die Umweltverbände, erleben die | |
| Ministerin bisher als distanziert. „Ich habe bis heute noch keinen | |
| wirklichen Eindruck von ihr“, sagt ein langjähriger, gut vernetzter | |
| Beobachter der Szene. Ihre Möglichkeiten, Druck aufzubauen, scheinen darum | |
| begrenzt. | |
| Im Ministerium ist die Stimmung hingegen gut. Weil die 62-jährige Hendricks | |
| anders als ihre Vorgänger keine weiteren Karrierepläne hat, kann sie freier | |
| agieren und die Vorschläge ihrer Fachleute entsprechend konsequent | |
| vertreten, heißt es dort. Beim umstrittenen Freihandelsabkommen TTIP, das | |
| Hendricks deutlich kritischer sieht als Gabriel, musste der | |
| Wirtschaftsminister bereits erleben, dass sie mit ihrer Meinung nicht | |
| hinterm Berg hält. | |
| ## Durchaus amüsant | |
| Zudem preisen alle, die sie schon in Verhandlungen erleben durften, die | |
| Effizienz der Ministerin. „In der Zeit, die ihre Vorgänger für | |
| ausschweifende Vorbemerkungen gebraucht haben, hat sie schon alle Argumente | |
| abgearbeitet“, heißt es da. Dass die in der Öffentlichkeit so reserviert | |
| auftretende Ministerin im kleinen Kreis durchaus schlagfertig und amüsant | |
| sein kann, berichten nicht nur Mitarbeiter. Auch bei einer spontanen | |
| nächtlichen Führung durch ihren Heimatort, der in ihrer Stammkneipe beim | |
| Kölsch endet, zeigt sich die Ministerin mit ungeahntem Engagement und | |
| Durchhaltevermögen. | |
| Und dass ihr auch vor großen Gegnern nicht bange ist, darauf weist | |
| Hendricks auch nach ihrer Fahrt im Kettenkarussell in Kalkar noch einmal | |
| hin. „Gestoppt worden ist das Atomkraftwerk hier übrigens von der SPD in | |
| der Landesregierung“, sagt sie mit einem Seitenhieb auf die Grünen. | |
| „Wir haben so lange geprüft, bis auch RWE es nicht mehr in Betrieb nehmen | |
| wollte.“ Die Botschaft, die sie setzen will, ist klar: Es kommt nicht auf | |
| den größten Auftritt an. Sondern darauf, wer sich am Ende durchsetzt. | |
| 4 Sep 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Malte Kreutzfeldt | |
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