# taz.de -- Oppositioneller über Zukunft Syriens: „Wir brauchen Israel“ | |
> Die Opposition muss sich säkularisieren. Dabei können Liberale aus Israel | |
> helfen, sagt der syrische Intellektuelle Kamal Allabwani. | |
Bild: Eine syrische Frau mit den Symbolen der Opposition. | |
taz: Herr Allabwani, ist die Arabellion tot? | |
Kamal Allabwani: Nein. Doch der einfache Weg zum Machtwechsel ist wieder | |
versperrt – und zwar vor allem aufgrund der religiösen, traditionellen | |
Kultur. Solange der Aufstand (Syrien) oder zumindest die Unruhen (Ägypten) | |
noch andauern und die Menschen die Untauglichkeit islamischer | |
Organisationsformen für ihre revolutionären Ziele erkennen, müssen wir | |
Intellektuelle neue Ideen einbringen, um die traditionellen | |
zurückzudrängen. Angesichts der Organisation IS („Islamischer Staat“) wird | |
vielen klar, dass islamistische Organisationen nur zerstören können und | |
nichts zur Entwicklung der Gesellschaft beizutragen haben. Wir brauchen | |
dringend eine Reform des Islam. Wichtig ist eine Säkularisierung der | |
Gesellschaft und darüber hinaus eine ökonomische Revolution. Wir müssen | |
weiter geduldig sein. | |
Warum kann sich Baschar al-Assad anders als der ägyptische Präsident | |
Mubarak oder der tunesische Ben Ali an der Macht halten? | |
Dafür ist in erster Linie die Armee verantwortlich, die mithilfe der | |
Hisbollah und den iranischen Revolutionsgarden in stalinistischer Manier | |
agiert. Kontrolliert durch den syrischen Sicherheitsapparat, unterdrückt | |
dieser konfessionalisierte Arm des Regimes die Bevölkerung mit allen | |
Mitteln. Jede Form der Dissidenz wird mit Folter bestraft. Die Soldaten wie | |
auch ihre Angehörigen sind Geiseln des Regimes. | |
Im Westen gilt Assad als Garant der säkularen Kräfte in Syrien. | |
Assad hat alles dafür getan, die Revolution in eine konfessionelle | |
Auseinandersetzung zu verwandeln. Insbesondere durch seine Einladung an | |
schiitische Milizen aus dem Libanon, Irak und Iran. Mit dieser Strategie | |
provozierte er eine Reaktion der Sunniten, die ihren Glaubensbrüdern zu | |
Hilfe kommen wollten. Zwangläufig hat dies auch Dschihadisten aus der | |
gesamten Region angezogen. | |
Sie glauben, dass die säkulare und moderate syrische Opposition und Israel | |
strategische Partner sein könnten. Warum? | |
Der fanatische schiitisch-islamistische Komplex im Iran ist eine Gefahr für | |
uns beide – sowie für Stabilität und Frieden in der gesamten Region. Er ist | |
eine Gefahr für alle, die in einem modernen und zivilen Staat leben wollen, | |
und auch für die Diversität, die die Region historisch geprägt und es den | |
Leuten ermöglicht hat, in Frieden miteinander zu leben. Die | |
imperialistischen Bestrebungen des Iran gefährden alle Gesellschaften im | |
Nahen Osten und auch den internationalen Frieden. Ob mit oder ohne | |
Atomwaffen. | |
Die arabische Welt war in den letzten Jahrzehnten das Zentrum | |
antisemitischer Propaganda. Glauben Sie wirklich, dass ein solches Bündnis | |
Anhänger fände? | |
Ich denke, dass Israel und seine Bewohner dabei helfen können, diese | |
Mentalität des Hasses zu zerstören, wenn sie ihren Nachbarn bei dem | |
gemeinsamen Projekt „Frieden, Demokratie und Stabilität“ helfen würden. W… | |
leiden momentan alle und deswegen ist eine fundamentale Veränderung so | |
nötig wie möglich. Das kriminelle Verhalten der selbst ernannten Achse des | |
Widerstands – Syrien, Iran, Hisbollah – kann dabei helfen, die Lüge von der | |
ewigen Feindschaft zu zerstören. Der Konflikt in Syrien verändert viel, und | |
die Menschen sind bereit, sich in Richtung Frieden und Freiheit zu bewegen. | |
Aber sie brauchen dafür Unterstützung. | |
Ihre Vorschläge haben eine Kontroverse ausgelöst. Walid Dschumblat von der | |
Sozialistischen Fortschrittspartei des Libanon etwa verurteilte Ihren | |
Vorschlag als gefährlich. | |
Walid Dschumblat gründet seine Popularität allein darauf, einen | |
palästinensischen Staat errichten zu wollen und den Traum der arabischen | |
Einheit zu propagieren. Er wie auch viele andere bemerken jetzt, dass ihre | |
falschen Positionen an Überzeugungskraft verlieren. Nur dank des | |
politischen Vakuums etwa in Beirut sind sie noch Teil des politischen | |
Establishments. Als Führer der libanesischen Drusen ist Dschumblat zudem | |
persönlich in den Konflikt in Syrien involviert. Ich habe ihn persönlich | |
gebeten, sich an diesem Projekt des Friedens zu beteiligen. Dies ist | |
womöglich seine letzte Chance, seinen Führungsanspruch in der arabischen | |
Welt zu wahren. | |
Was versprechen Sie sich konkret von einer Kooperation mit Israels | |
Liberalen? | |
Mein dringendster Wunsch ist, dass Israel eine klare Haltung zu den | |
Massakern in Syrien einnimmt. Das könnte die weit verbreitete Vorstellung | |
vieler Syrer widerlegen, dass Israel Assad unterstützt. Das Feldlazarett | |
auf dem Golan ist ein gutes Beispiel dafür, dass dem nicht so ist. Solche | |
kleinen Schritte können helfen, die Tür für eine Kooperation zu öffnen. | |
Israel könnte an dem großen Projekt für Frieden und Stabilität in der | |
Region mitarbeiten, und das wäre großartig. Und auch Israel würde von einer | |
Normalisierung der Beziehungen zwischen den Gesellschaften, nicht nur auf | |
Regierungsebene, sehr profitieren. Immerhin ist das iranische Regime Assads | |
wichtigster Partner in der Region. | |
Gibt es Kontakte zwischen syrischen und iranischen Oppositionellen, um sich | |
gemeinsam gegen die religiöse Diktatur zu koordinieren? | |
Ich denke, dass wir in der iranischen Gesellschaft einen guten und starken | |
Freund haben. Das beste wäre natürlich, wenn das Regime im Iran stürzen | |
würde. Jeder Erfolg gegen die Islamische Republik würde uns allen sehr | |
helfen, wir kämpfen doch am Ende den gleichen Kampf. Doch auch die | |
iranische Opposition braucht wie wir Unterstützung von außen. Alleine | |
werden wir Aufgeklärten nirgendwo siegen. Die Spaltung ist ein riesiger | |
Problem und nur eine einheitliche Lösung, die Israel nicht ausschließt, | |
kann erfolgreich sein. Der Westen sollte hier helfen. | |
Wie sieht Ihre Zukunftsvision für den Nahen Osten aus? | |
Die derzeitige politische Geografie hat keine Zukunft mehr. Wir haben | |
Failed States (Libanon, Syrien, Irak und die palästinensischen Gebiete) und | |
Staaten, die kurz davor sind zu scheitern, wie Ägypten und Jemen oder auf | |
lange Sicht keine Zukunft haben werden wie Jordanien und Saudi-Arabien. Wir | |
brauchen eine politische Union, die interkonfessionell ist, mit breiter | |
kultureller Autonomie, in welcher zum Nutzen aller Vielfalt respektiert | |
wird. Daran sollten sich in der Zukunft die arabischen Staaten, die Türkei, | |
der Iran und Israel beteiligen. Diese Union sollte prowestlich sein. | |
Darüber hinaus ist eine Art Marshallplan notwendig, um die Gesellschaften | |
sowie Ökonomie und Sicherheit wieder aufzubauen. | |
Was erwarten Sie sich von der US-Regierung und der Europäischen Union? | |
Die EU und die USA sind darauf angewiesen, die Rezession zu überwinden und | |
sie könnten im Nahen Osten einen neuen und reichen Partner finden. Aber um | |
dies möglich zu machen, müssen sie in gesellschaftliche Gruppen und | |
Strukturen investieren, die Entwicklung und Organisation gewährleisten | |
können und nicht mehr in Regime, die Chaos stiften, weil das ihre Macht | |
stabilisiert. | |
11 Sep 2014 | |
## AUTOREN | |
Andres Benl | |
Remko Leemhuis | |
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