Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Opposition in Syrien: Ideologisch flexibel
> US-Präsident Obama will im Kampf gegen den IS syrische Rebellen stärken.
> Das wird zum Balanceakt, denn die Gesinnungen der Gruppen sind fließend.
Bild: Kämpfer der Freien Syrischen Armee bergen einen Verletzten
Der Plan klingt einfach. Die USA bombardieren den Islamischen Staat aus der
Luft, lokale Rebellen bekämpfen ihn am Boden. Was im Nordirak mit den
kurdischen Peschmerga funktioniert, will Obama nun in Syrien versuchen.
Doch wer sind die viel zitierten „moderaten Rebellen“?
Die Suche nach Partnern in Syrien ist aus drei Gründen schwierig. Erstens
ist die bewaffnete Opposition im Land extrem fragmentiert und wechselnde
Allianzen erschweren die Zuordnung einzelner Brigaden. Zweitens ist der
Widerstand gegen das Assad-Regime nach drei Jahren Überlebenskampf, der vor
allem von Saudi-Arabien, Katar und der Türkei finanziert wurde, insgesamt
islamisiert. Und drittens sind sich die USA und ihre Hauptverbündeten in
der Region eben Saudi-Arabien, Katar und die Türkei uneinig darüber, welche
Gruppen sie unterstützen sollen. Sie haben unterschiedliche Vorstellungen
vom zukünftigen Syrien.
Zum ersten Problem: Laut CIA gibt es 1.500 Milizen in Syrien, um sie grob
zu ordnen, muss man sehr vereinfachen. Die meisten Brigaden bestehen aus
Hunderten oder Tausenden Kämpfern und werden von lokalen Persönlichkeiten
angeführt, die Wert auf ihre Unabhängigkeit und ihren Rückhalt vor Ort
legen.
Das ideologische Spektrum reicht von säkular-nationalistisch über
konservativ-islamisch bis zu salafistisch-dschihadistisch, die Übergänge
sind fließend. Zu den national gesinnten, nicht religiös argumentierenden
zählen der lose Zusammenschluss der FSA und die Kurdischen
Volksverteidigungseinheiten (YPG), der militärische Arm der syrischen
PKK-Schwester Partei der Demokratischen Union (PYD). Das islamische
Mittelfeld führt die Islamische Front (IF) an, das mit geschätzten 50.000
Kämpfern mächtigste Rebellenbündnis in Syrien.
Zur IF gehören Brigaden, die demokratische Prinzipien, Frauen- und
Minderheitenrechte anerkennen, und andere, die radikalere salafistische
Positionen vertreten. Der Anschlag auf die Führung von Ahrar al-Scham,
einer der wichtigsten Gruppen, vergangene Woche, bei dem mit Hassan Aboud
nicht nur der politische Kopf der IF sondern auch die gesamte Führungsriege
von Ahrar al-Scham starb, könnte die Islamische Front schwächen.
Entscheidend für die Entwicklungen der nächsten Monate wird sein, ob
Kämpfer von Ahrar al-Scham eher zur FSA oder zum IS abwandern. Letzterer
zählt offensichtlich zum dschihadistischen Ende des Spektrums, ebenso die
Nusra-Front, der offizielle Al-Qaida-Ableger in Syrien, sowie diverse
ausländische Gruppen. Sie bestehen aus nicht-syrischen Dschihadisten, die
auf ihrem Weg zum globalen Kalifat nur Zwischenstation in Syrien machen und
sich oft nach Nationalitäten organisieren, darunter Tunesier, Ägypter,
Libyer, Marokkaner, Libanesen, Saudis, Usbeken, Tschetschenen und so
mancher ehemaliger Guantánamo-Insasse.
## Alle gegen den IS
Mit Ausnahme der ausländischen Dschihadistenverbände bekämpfen alle
genannten syrischen Rebellengruppen die Miliz Islamischer Staat, also die
FSA, die kurdische YPG, die Islamische Front und Nusra. Da die vielen
Brigaden alleine wenig bewirken können, schließen sie sich für größere
Angriffe zusammen – sei es um einen Militärflughafen des Regimes zu erobern
oder um IS aus einem bestimmten Gebiet zu vertreiben. So entstehen ständig
neue, örtlich begrenzte Allianzen. Einheiten der FSA und der Islamischen
Front arbeiten dabei regelmäßig zusammen, bislang war auch die gut
ausgestattete Nusra-Front oft beteiligt. Das Risiko, Waffen könnten bei
al-Qaida landen, ist folglich durchaus real.
Wer also soll die von Obama geforderten 500 Millionen US-Dollar bekommen?
Bisher arbeiten die Amerikaner überwiegend mit der FSA zusammen. Der
Versuch, über den 2012 gegründeten Obersten Militärrat, dem militärischen
Partner der politischen Auslandsopposition Nationale Front, etwas Struktur
in den Kampf gegen Assad zu bringen, gilt als gescheitert. Vor allem, weil
die USA viel versprochen und wenig gehalten haben.
Die meisten Brigaden gingen deshalb dazu über, sich ihre ausländischen
Unterstützer selbst zu suchen. Inzwischen soll die CIA 12 bis 14 Milizen im
Norden und etwa 60 kleinere Gruppen im Süden des Landes finanzieren, aber
können die USA den Kampf gegen IS allein mit der FSA gewinnen? Muss der
Westen nicht überlegen, die mächtigsten Brigaden des Landes, von denen
viele der Islamischen Front angehören, miteinzubeziehen?
## Islamisierung des Aufstandes
Das bringt uns zu Problem Nummer zwei, der Islamisierung des Aufstandes.
Natürlich klingen die Pamphlete und Internetauftritte vieler IF-Verbände
radikal in unseren Ohren, aber gerade im breiten Mittelfeld des syrischen
Widerstands müssen wir mit ideologischen Einordnungen vorsichtig sein. Die
zur Schau gestellte Ideologie dient aktuell vor allem der Finanzierung des
Kampfes und ist weniger Ausdruck einer verfestigten politischen
Überzeugung.
Da die wichtigsten Geldgeber seit Jahren am Golf sitzen, lohnen sich
schwarz-weiße Stirnbänder mit dem islamischen Glaubensbekenntnis mehr als
grüne Tarnanzüge. Tatsächlich sind Syriens Rebellen ideologisch durchaus
beeinflussbar. Je nachdem, wer ihnen gegenübersitzt – ein westlicher
Geheimdienstmann oder ein Entsandter des saudischen Königs – erklären sie
wahlweise, sie wollten Demokratie, oder sie strebten einen sunnitischen
Gottesstaat an.
Entsprechend flexibel sind sie auch im täglichen Überlebenskampf. Wer bei
der FSA nicht mal eine Kalaschnikow bekommt, geht lieber zu den Islamisten
von Ahrar al-Sham, die deutlich besser ausgestattet sind. Muss ein junger
Mann gar seine Großfamilie durchbringen, wird er schnell zum Islamischen
Staat überlaufen, der einen ordentlichen Sold bezahlt. Trotzdem ist er
nicht über Nacht zum überzeugten Dschihadisten geworden.
Es gibt also ein großes Potenzial an freiwilligen syrischen Kämpfern, die
der Westen mit finanziellen Anreizen für sich gewinnen kann. Aber Vorsicht:
Wer als Vorbedingung für Waffenlieferungen eine sofortige Abkehr von
islamistischen Positionen fordert, bringt Rebellenführer in Gefahr, als
korrumpierte Handlanger des Westens dazustehen und Kämpfer an radikalere
Gruppen zu verlieren.
Dieses Eigentor können Amerikaner und Europäer verhindern, indem sie
zunächst einzelne Brigaden schlagkräftig und unabhängig von
dschihadistischer Unterstützung machen. Wer bei der FSA mehr Geld verdient
als beim IS, wird ihr treu bleiben. Und wer einen assadschen
Militärstützpunkt aus eigener Kraft erobern kann, braucht nicht auf die
Nusra-Front zurückzugreifen. Loyalität muss sich lohnen. Gerade im Falle
der Nusra-Front, mit der nahezu alle syrischen Rebellenverbände gekämpft
haben, gilt: Besser nicht direkt konfrontieren (sonst verbündet sie sich
bald wieder mit dem IS), sondern ihr langsam das Wasser abgraben.
Im Juli erklärten acht Brigaden, alle Empfänger westlicher Militärhilfe,
nicht mehr mit Nusra zusammenzuarbeiten. De facto kämpfte mindestens eine
von ihnen bei der Verteidigung von Aleppo Seite an Seite mit Nusra, weil
sie selbst nicht über die notwendigen modernen Waffen verfügte.
## Die Zukunft Syriens
Bleibt Problem Nummer drei, die unterschiedlichen Vorstellungen von einem
zukünftigen Syrien. Während der Westen von einem möglichst säkularen
demokratischen Rechtsstaat träumt, zieht Saudi-Arabien einen sunnitischen
Gottesstaat vor, Katar wünscht sich einen Sieg der Muslimbrüder.
Da die Golfstaaten im Gegensatz zu den USA jedoch nicht bereit sind, ihre
eigenen, dank deutscher Rüstungsexporte, hochmodernen Armeen in Syrien
einzusetzen, muss Washington sich seine Verbündeten am Boden aussuchen
dürfen. Saudis und Kataris dürfen zahlen, Jordanier und Türken logistisch
helfen, aber das letzte Wort, wer die westliche Hilfe bekommt, muss bei
denen mit dem größten Risiko liegen und das scheinen bislang die USA.
Der Westen sollte bei der Suche nach Verbündeten in Syrien klare Grenzen zu
den Dschihadisten ziehen, aber islamistische Bekenntnisse syrischer
Brigaden nicht überbewerten. Er sollte die neue Zusammenarbeit zwischen FSA
und YPG belohnen und Strukturen vereinheitlichen, indem er die FSA, die
Kurden und möglichst viele Einheiten der Islamischen Front mit der
Lieferung moderner Waffen an sich bindet und dadurch radikale Gruppen wie
Nusra isoliert und schwächt. Und ganz wichtig: Er sollte nichts mehr
versprechen, was er nicht halten kann.
13 Sep 2014
## AUTOREN
Kristin Helberg
## TAGS
USA
Schwerpunkt Syrien
Barack Obama
Islamismus
„Islamischer Staat“ (IS)
Opposition
Al-Nusra-Front
Syrischer Bürgerkrieg
Schwerpunkt Syrien
Schwerpunkt Syrien
Schwerpunkt Syrien
USA
Schwerpunkt Syrien
Irak
USA
Schwerpunkt Syrien
Schwerpunkt Syrien
Ägypten
„Islamischer Staat“ (IS)
## ARTIKEL ZUM THEMA
Forderung an internationale Koalition: „Assad, Hisbollah und IS angreifen“
Der Leiter des Medienbüros der syrischen Stadt Kafranbel, Raed Fares, hat
mit einem Facebook-Statement eine heftige Debatte unter moderaten Rebellen
ausgelöst.
Augenzeugenbericht Gefängnis in Syrien: „Wir waren wie Tote“
Eine Aktivistin gegen das Assad-Regime wurde wiederholt verhaftet und
gefoltert. Doch die Gräueltaten, die sie in Freiheit sehen musste, waren
schlimmer.
Die Türkei und die IS: Grenzgeschäfte mit dem Terror
Die Türkei gilt als Unterstützer der IS-Terroristen. Vor denen hat Erdogan
nun aber selbst Angst und gräbt eine alte Idee aus: die Flugverbotszone.
US-Debatte zu Bodentruppen im Irak: Ein „rein hypothetisches Szenario“
Einen Einsatz von US-Bodentruppen im Irak kann sich Generalstabschef
Dempsey durchaus vorstellen. Präsident Obama sieht das allerdings anders.
Arte-Doku über Konflikt in Syrien: Ein Kino der Opfer und der Poesie
Oussama Mohammads Dokumentation „Selbstporträt Syrien“ gelingt etwas
Besonderes: Der Film bleibt nicht bei der Gewalt stehen.
Krieg gegen den Islamischen Staat: Kerry sammelt Verbündete
Im Kampf gegen die Fanatiker des Islamischen Staates suchen die USA
sunnitische Partner. Doch diese trauen Washington nicht.
Islamistische Terrormiliz: USA sprechen von Krieg gegen IS
Die offizielle Sprachregelung ändert sich, das Weiße Haus bezeichnet die
US-Intervention im Nordirak erstmals als Krieg. Frankreich will mitmachen,
Iran darf das nicht.
Debatte Syrien und IS: Die Liebe zu den Waffen
Der „Islamische Staat“ ist zu besiegen – wenn Militärschläge, humanitä…
Hilfe und politische Lösungen endlich koordiniert werden.
USA wollen die IS-Miliz bombardieren: Eine unausgegorene Strategie
US-Präsident Obama will die IS im Irak und auch in Syrien bombardieren
lassen. Doch davon würde vor allem die Islamistenmiliz Nusra-Front
profitieren.
Oppositioneller über Zukunft Syriens: „Wir brauchen Israel“
Die Opposition muss sich säkularisieren. Dabei können Liberale aus Israel
helfen, sagt der syrische Intellektuelle Kamal Allabwani.
Kommentar Obamas IS-Strategie: Alte Fehler, neue Fehler
In seiner mit Spannung erwarteten Rede zur US-Strategie gegen IS gibt Obama
den Bush: Die Radikalisierung in der Region wird so weitergehen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.