# taz.de -- Der Chronist des DDR-Alltags: Hauswald bleibt Hauswald | |
> Ohne die DDR wäre er vielleicht nur ein guter Fotograf geworden. Doch mit | |
> der Mauer schärfte Harald Hauswald seine Wahrnehmung. | |
Bild: Mag keine gestellten Aufnahmen: Harald Hauswald im Büro der Agentur Ostk… | |
BERLIN taz | An diesem Tag soll Harald Hauswald ein Foto nachstellen. Ein | |
Hinterhof im Prenzlauer Berg, Ecke Kastanienallee/Oderberger Straße. Der | |
Hirschhof ist ein parkähnlicher Komplex, der in der DDR Künstlern, | |
Intellektuellen und Menschen, die sich nicht mit der SED arrangieren | |
wollten, ein Biotop bot. Als die Abrissbirne drohte, gelang es ihnen, die | |
Höfe zu retten – die DDR stand da noch. | |
Jetzt sieht sich Harald Hauswald in diesem Hof um, in dem er vor 28 Jahren | |
schon einmal ein Foto machte. Bis heute ein zugewuchertes Idyll in der | |
Großstadt. Allerdings in Privatbesitz. Wer da reinmöchte, muss um Erlaubnis | |
fragen. Zäune der Eigentümer trennen die einzelnen Höfe ab. | |
Hauswald darf den Privatbesitz betreten. Natürlich, er ist berühmt im | |
Prenzlauer Berg und ein bekannter Fotograf. Hauswald trägt einen | |
gelb-beigen Parka mit ausgebeulten Taschen, die Ärmel hochgeschoben. Schaut | |
sich um. Mit der Zigarette zwischen den Fingern zeigt er auf eine freie | |
Stelle. „Da hab ich mal gewohnt, musste abgerissen werden wegen | |
Taubenzecken.“ | |
## Bildnachstellung | |
Nun ist er hier, um seine Vergangenheit nachzustellen. Vielleicht kommt ihm | |
das merkwürdig vor. Gestellte Fotos mag er nicht. Ein Hauswald entsteht aus | |
dem Moment heraus. Aber Betty Fink ist ja da. Die junge Frau leitet | |
Ostkreuz, die Agentur der Fotografen, die Hauswald im Herbst 1990 | |
mitgegründet hat. Fink dirigiert und arrangiert. „Bitte hinten mehr in die | |
Mitte“, sagt sie, ein Abzug des Originals in den Händen. Fünf Freunde von | |
früher sind gekommen. | |
Die Welt hat sich verändert, aber Hauswald trägt den gleichen Bart wie | |
damals, die gleichen langen Haare, bloß ergraut. Auf der alten Aufnahme | |
sind neun Menschen im Vordergrund zu sehen. Sie sitzen auf den Resten des | |
Berliner Doms. Hinten ein Gewimmel, Männer, Frauen, Kinder, Rauch, Sonne. | |
Eine lebendige Szene, der Prenzlauer Berg im Spätsommer 1986. In der Mitte | |
sitzt Thomas, und es sieht aus, als würde sein Gesicht zwischen den anderen | |
hell leuchten. Ohne Blitzlicht. „Das war eine Reflexion der Sonne in der | |
Fensterscheibe gegenüber“, sagt Hauswald und freut sich noch heute. | |
Die Sonne scheint an diesem Tag nicht, und Thomas, der nun wieder auf den | |
Fassadenteilen des Berliner Doms sitzt, ist mittlerweile Frührentner. Das | |
sei gut, sagt er, weil er so sein Leben als Autor finanzieren könne. | |
„Schönheit und Gebrechen“ heißt sein Buch, das bald erscheinen soll. | |
Der Auftrag, das Bild nachzustellen, kam von der Wochenzeitung Die Zeit. | |
Ihr Bildchef, Michael Biedowicz, war 1986 auch dabei. Nun sitzt er wieder | |
hier im Hof. Sein Chefredakteur schrieb, in Hauswalds Fotos „leuchtet die | |
große Tradition der europäischen Realisten nach, von August Sander bis | |
Henri Cartier-Bresson“. Hauswald hat das gefallen. | |
## Fotografenlehre | |
Er kommt aus kleinbürgerlichen Verhältnissen. 1954 in Radebeul bei Dresden | |
geboren, beginnt er 1970 eine Lehre als Fotograf bei seinem Vater. Es geht | |
ihm aber bald auf die Nerven, dass er meistens im Labor stehen muss. Er | |
schmeißt hin und jobbt als Aufzugsmonteur, Gerüstbauer, | |
Industrieanstreicher, trampt Tausende Kilometer durch den eingemauerten | |
Staat und tourt als Roadie mit der Band „Bürkholz-Formation“. Die Gruppe | |
wird 1973 verboten, ihren Keyboarder, Michael Heubach, besang Nina Hagen im | |
Song „Du hast den Farbfilm vergessen“. | |
1978 zieht Hauswald mit seiner Freundin nach Ostberlin. Arbeitet als | |
Heizer, Restaurator und radelt als Telegrammbote durch die Stadt. Die | |
Kamera nimmt er mit, und dabei erschließt er sich Ostberlin und die Szene | |
vom Prenzlauer Berg. Und er lernt den Schriftsteller Lutz Rathenow kennen, | |
von dem die Stasi ein 15.000 Seiten umfassendes Dossier anlegt. | |
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb damals: „Rathenow geht es um die | |
Gleichzeitigkeit von banaler Ordnung und unabwendbarer Katastrophe, um das | |
Nebeneinander von leeren Phrasen und tiefen Emotionen, um das | |
Ineinanderverwobensein von Gewohnheit und Grauen.“ | |
Hauswald fotografierte die Brüche zwischen Alltag und Staat. Die zwei | |
werden Freunde. | |
## Kirchenpresse | |
Seit 1981 fotografiert er für die evangelische Stephanus-Stiftung in | |
Weißensee Behinderte. Seine Bilder kann er in der DDR nur in der | |
Kirchenpresse publizieren. So kommt er mit den Bürgerrechtlern der | |
Friedensbewegung in Kontakt. Zwar hat er viele Ausstellungen, jedoch nur in | |
Jugendclubs oder Kirchen. | |
Er lichtet immer wieder den Alexanderplatz ab, fotografiert Gescheiterte, | |
Arme, kleine Leute, oft Straßenszenen, Bauarbeiter, Rentnerinnen, Soldaten, | |
Polizisten, Beamte, die Passanten kontrollieren, Punks, Hooligans, die er | |
über Jahre begleitet, er zeigt die Besoffenen. | |
Hauswald wäre vielleicht selbst zu einem Motiv von sich geworden, hätte er | |
nicht sein Talent entdeckt und genutzt. | |
Harald, sagt ein Freund, kann nicht gut mit Geld umgehen, zudem: Bürokratie | |
und er passten schlicht nicht zusammen. | |
## Schwarzweiß | |
In seiner 60 Quadratmeter großen Wohnung hat er eine Dunkelkammer. 5.000 | |
Filme liegen da noch. „Die müsste ich mal sortieren – demnächst.“ | |
Das Bild vom Hirschhof kann er datieren. Er erinnert sich daran, dass er | |
sich damals ärgerte, keine Farbaufnahme gemacht zu haben. Denn wenig später | |
kam der erste Auftrag von der Zeitschrift Geo. Eine Reportage über Berlin, | |
schönes Honorar. Das Bild vom Hirschhof hätte da gut reingepasst. | |
Seine ersten Fotos im Westen veröffentlicht er in der taz und der Berliner | |
Zeitschrift Litfass. Damals ohne Autorennamen. | |
## Parabeln | |
Bekannt wird er im Westen durch ein Buch mit Fotos und Texten über | |
Ostberlin, das er gemeinsam mit Rathenow im Westen publiziert. Es erscheint | |
ohne Genehmigung im Pieper-Verlag. Kurt Hager, Chefideologe im Politbüro | |
der SED und zuständig für kulturelle Fragen, schreibt dem Genossen Erich | |
Mielke, Minister für Staatssicherheit: Man solle in Bonn darauf hinweisen, | |
dass Ostberlin die Publikation als einen „unfreundlichen Akt gegen den im | |
Kulturabkommen vereinbarten Kulturaustausch DDR-BRD“ sehe. Pieper | |
verzichtete später auf die Neuauflage. | |
Eine berühmte Aufnahme aus dem Band heißt „Feierabend“. Sie zeigt drei m�… | |
Männer, die im Winter in der U-Bahn sitzen. Der Stumpfsinn ihrer Blicke | |
wird zu einem Spiegel des maroden Staatswesens. | |
Wenn manche Schriftsteller in der DDR zwischen den Zeilen schrieben, dann | |
schaffte es Hauswald, Parabeln zu fotografieren. Die grauen Herren des | |
Ministeriums für Staatssicherheit notierten ahnungslos in ihren Akten, eine | |
„konzeptionell gewollte feindliche Aussage haben die Fotos nicht“. | |
Seit 1978 lässt ihn die SED überwachen. Das Ministerium für | |
Staatssicherheit legt den operativen Vorgang „Radfahrer“ an. Verhöre, | |
Festnahmen, doch Hauswald darf weitermachen. Denn er hat Kontakte zu | |
Westjournalisten, von denen ein gutes Dutzend in Ostberlin akkreditiert | |
ist. Das wirkt wie eine Versicherung. | |
Ein Freund von Harald Hauswald sagt, seine Fotos hätten erst in der | |
Rückschau diese Aufladung und Kraft bekommen. Damals waren es einfach | |
Bilder von Harald. Der war immer dabei bei den Partys, soff mit und hielt | |
seine Canon A1 drauf. Der politische Kopf – das sei sein Kumpel Rathenow | |
gewesen. | |
## Analoge Fotografie | |
Heute benutzt Hauswald eine Canon F1, auch analog, auch schwer wie | |
Ziegelstein. Digital würde er nie fotografieren, so wie er sich wohl nie | |
die Haare abschneiden würde. Harald bleibt Harald. Als Ausdruck der neuen | |
Zeit hat er eine kleine Minox in der Brusttasche. Damit fängt er jetzt die | |
Augenblicke ein. | |
Als Fotograf, sagt er, dürfe man heute nicht erkennbar sein. Die Leute | |
fühlten sich auf der Straße unwohl, wenn sie von Fremden fotografiert | |
würden. Die Minox ist unauffällig, mit ihr verkleidet er sich als Tourist. | |
Es gibt neuere Fotos von ihm, Farbfotos von jugendlichen S-Bahn-Surfern zum | |
Beispiel. Wieder ist er ganz nah dran, doch es fehlt der politische | |
Kontrast. | |
Ohne die DDR wäre Harald Hauswald vielleicht nur ein guter Fotograf | |
geworden. Doch mit der Mauer schärfte er einen Blick, der an keiner Schule | |
für Fotografie gelehrt werden kann. „Früher entstanden meine Bilder im | |
Kopf, heute versuche ich, mehr mit dem Bauch zu arbeiten“, sagt er. | |
## Abgestempelt | |
Hauswald wurde festgelegt auf die Vergangenheit und seine DDR-Impressionen. | |
Er selbst fand sich vielleicht irgendwann mit der Rolle ab, die ihm die | |
Öffentlichkeit zugewiesen hat: Harald Hauswald, Chronist der DDR. | |
Widerstand zwecklos. Ein Freund sagt, Hauswald sei Archivar geworden. | |
Als die DDR plötzlich Geschichte wird, am 9. November 1989, fährt er abends | |
gleich von Ostberlin rüber nach Kreuzberg. Es gibt Freibier bis zum | |
Morgengrauen. Seine Kamera vergisst er. | |
Im Hirschhof im Prenzlauer Berg steht Hauswald an diesem Oktobertag | |
irgendwann auf, tritt vor das Grüppchen und drückt ab. Klick. Das war’s. | |
Er setzt sich zu den anderen, angelt aus seinem Parka eine Packung | |
Templeton und raucht. Harald mittendrin, so entstanden seine besten Bilder. | |
Es wird früher dunkel jetzt, später beginnt es zu regnen. | |
19 Oct 2014 | |
## AUTOREN | |
Kai Schlieter | |
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