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# taz.de -- Essay 25 Jahre nach der Wende: Wir Missvergnügten
> Identität ist nichts, was man einfach so abstreift: 25 Jahre nach dem
> Mauerfall blickt eine Ostlerin zurück und erklärt, warum sie sich
> weiterhin so bezeichnet.
Bild: Alter Trabi auf einem Grundstück in Brandenburg.
In diesem Jahr habe ich es geschafft. Ich bin nun schon ein Jahr länger
Westlerin, als ich Ostlerin gewesen bin. Fast fünfundzwanzig Jahre sind
vergangen seit jenem Abend, an dem in Berlin direkt vor meiner Nase „die
Mauer fiel“. Ein Vierteljahrhundert. Bin ich also mittlerweile eine
richtige Westlerin? Nö. Ich bin nach wie vor Ostlerin. Darauf lege ich
Wert.
Blödsinn, sagt ein Westfreund dazu: Ich sei ja wohl die integrierteste
Gesamtdeutsche, die man sich nur vorstellen könne. Genau richtig, sagen
meine Eltern: Identität sei nichts, was man einfach so abstreifen solle.
Schwachsinn, nölt meine Tochter: Irgendwann muss es mal gut sein mit diesem
Ostgeschwurbel. Nein, bleib so, rät die Freundin: Der identitäre Bruch der
Wende sei schließlich ein unverwechselbares Stückchen politischer DNA. Ja,
was denn nun?
Ich bin Ostlerin. Aber um das gleich klarzustellen: Das bedeutet schon ein
bisschen mehr, als Berlinerin zu sein oder Brandenburgerin. Ostlersein
markiert Herkunft und Zugehörigkeit. Und einen Minderheitenstatus, den ich
situationsbedingt entweder liebe oder hasse. Gleichgültig ist er mir
jedenfalls nicht.
Tatsächlich sind die vierundzwanzig Lebensjahre in der DDR bis heute
prägend. Familie, Kindergarten, Schule, Lehre, Studium. Adoleszenz vor der
Kulisse der bulgarischen Schwarzmeerküste oder auf mecklenburgischen
Campingplätzen. Kulturelle Prägung durch eine Band namens Pankow, durch den
androgynen David Bowie und die rübergemachte Nina Hagen. Auch durch das
Politische, das viel zu weit ins Private ragte. Aus heutiger Sicht war
dieser Osten eine Zumutung.
## Spiel mit Schuldkomplexen
Die DDR war ein Land, in dem man unentwegt aufgefordert wurde, sich „zu
uns“ zu bekennen – ein permanentes Spiel mit Schuldkomplexen. Freunde
reisten auf Nimmerwiedersehen aus – dass es mal anders kommen würde,
glaubte niemand wirklich. Das aus heutiger Sicht Schlimmste: Man wusste, es
hört immer jemand mit: der Staat, der seine Bürger als Eigentum
betrachtete.
Und dann kam 1989: Vorhang auf, die Freiheit! Ab jetzt eine …
„Bundesdeutsche“? Danke, nicht für mich. Ich bin Ostlerin.
Warum so missvergnügt? All die Jahre hat es mir der Westen leicht gemacht,
mich immer wieder in eine innere Distanz zu ihm zu begeben. Vordergründig
war er sehr, sehr gut zu mir. Ich war nicht einen Tag arbeitslos. Ich habe
hier in Frieden meine Kinder großgezogen. Ich bin in unfassbar weit
entfernte Länder gereist. Ich bin eine Wählerin, ein Zustand, der mich
anlässlich jeder noch so popligen Wahl immer wieder in Entzücken versetzt.
Und bis zur NSA-Affäre hatte ich viel Zeit, meine Abhör-Paranoia zu killen.
## Weiter auf Distanz
Doch innerlich bleibe ich weiter auf Distanz. Vielleicht ist es ja bequemer
so, schließlich ist so ein Außenseiterstatus durchaus vorzeigbar. Womöglich
aber liegt es auch an dem einmal gefassten Entschluss, mich nach der
Erfahrung mit der DDR zu nichts und niemandem mehr bekennen zu wollen.
Staat, Gemeinschaft, Team? Ich bin dabei, aber die Anforderungen einer wie
auch immer gearteten Gruppe werden nie wieder größer werden können als
meine eigenen Bedürfnisse. Einer Partei angehören zu wollen, fiele mir
nicht im Traum ein. Und das, obwohl ich in der DDR kurz mit dem Gedanken
gespielt hatte, in die SED einzutreten, „um sie von innen heraus zu
verändern“. Mit derlei Gedankenquatsch bin ich lange durch.
Das ist die eine Seite. Meine. Die andere sind die Anderen. Und die sorgen
permanent dafür, dass ich daran erinnert werde, wo ich herkomme. Nach wie
vor gelte ich als die arme Verwandtschaft. Ich bin die Gottlose, wegen der
alle Soli zahlen müssen, und die nicht mal richtig dankbar ist für die
ganzen schönen Straßen und durchsanierten Innenstädte. Ich bin die mit dem
mäßigen Englisch. Ich bin eine von jenen, zu denen jedem Schwachkopf immer
ein noch billiger Ossiwitz einfallen darf. Ich gehöre zu denen, die
Lichtenhagen und Hoyerswerda verbrochen haben. Ich bin eine von diesen
Jammerossis, die auf ihrem Status beharren, obwohl inzwischen selbst die
Kanzlerin und der Bundespräsident aus dem Osten kommen. Was will ich denn
eigentlich noch?
Jedenfalls nicht voll integriert sein.
## Ostler sein
Ostler sein markiert die Zugehörigkeit zu jener Minderheit, die bei
genauerer Betrachtung eigentlich nur noch diskursiv existiert. Denn wer
sind denn wir Ostler? Ein paar Millionen Leute, auf deren Geburtsurkunde
das DDR-Wappen prangt. Und so viele, wie wir sind, so viele Wege übers Land
haben wir genommen. Ich möchte gar nicht zu jenen gehören, die den Osten
als heimelige Schicksalsgemeinschaft erinnern. Ich hatte dort nicht mal
eine Autoanmeldung. (Ostler wissen, wie unvernünftig das war.)
Ich gehöre auch nicht zu jenen, die nach dem Mauerfall nicht mehr aufhörten
mit dem Demonstrieren und „Helmut! Helmut!“ skandierten, um umstandslos der
Segnungen der Marktwirtschaft teilhaftig zu werden. Und dass ich auch nicht
zu jenen gehören will, die meinen, so eine kleine Diktatur könne auch ganz
kommod sein, ist eh klar.
Dennoch bin ich immer wieder auf diese fast schon blödsinnige Weise
erfreut, wenn sich jemand Fremdes in meiner Umgebung als Ostler zu erkennen
gibt. Ein Blick, ein Satz, ein Lächeln: Es ist ein Code, den andere nicht
einmal bemerken. Dabei kenne ich diese Person sehr wahrscheinlich ungefähr
so gut wie meine Postbotin mit den irren Fingernagelapplikationen, der ich
in breitestem Berliner Dialekt noch einen „schön’ Tach“ wünsche. Sie so…
wissen, dass ich eine von hier bin.
## Faszination Westen
Das Abständige zu diesem Land entspringt wohl auch meiner Geschichte mit
ihm. Vor dem Mauerfall war der Westen ein ziemlich cooler Entwurf, wie ich
fand. Aus Ostberliner Perspektive sah ich dort freigeistige Hausbesetzer
und absurd konservative Politiker nebeneinander leben. Es wurde öffentlich
gestritten, das kannte ich nicht. Die Kunst war frei. Die Westler, die ich
kannte und denen ich mich nahe fühlte, waren alles andere als eine
ästhetische Zumutung.
Als die DDR überraschend verschied, offenbarte sich, wie ernst der stets
hochgehaltene Gedanke der Wiedervereinigung gemeint gewesen war. Vom Westen
nämlich sehr ernst, nahm man zum Maßstab, mit welcher Vehemenz die DDR und
ihre wirtschaftlichen wie politischen Strukturen abgeräumt und durch
eigentlich für reformbedürftig gehaltene westdeutsche ersetzt wurden.
Nicht allzu ernst, gemessen an der Verblüffung darüber, dass hinter der
Mauer keineswegs nur gebeutelte Menschen zum Vorschein kamen, die auch noch
darauf bestanden, im Osten nicht allzeit ein Scheißleben geführt zu haben.
Und statt kostenneutral dankbare Bundesbürger zu werden, kosteten sie auch
noch ein Vermögen. Anderthalb Billionen Euro. Bis heute.
## Ernüchterung und Verachtung
Was damals folgte, war Ernüchterung. Und Verachtung. Verachtung selbst für
jene Ostler, die es gewagt hatten, ein angeschlagenes, unkalkulierbares
System wie die DDR politisch herauszufordern. Die nicht die richtigen
Klamotten anhatten. Es war die Verachtung von Leuten, die es nie anders
gewohnt waren, als ihrem Staat auf Augenhöhe zu begegnen. Und die
vielleicht auch spürten, dass es da, in diesem untergegangenen Land DDR,
noch eine freakige Freiheit gegeben hatte, die unberührt geblieben war von
den Strukturen des entwickelten Kapitalismus.
Bis heute höre ich mir Bemerkungen an über die sexuelle Freizügigkeit der
Ostler an. Kein Badeausflug ohne FKK-Witz. Kein Vergangenheitsgespräch ohne
Fragen zur psychischen Deformation als Ostlerin.
Ich darf mich dann jedes Mal entscheiden. Mag ich den, der diesen Quatsch
erzählt? Dann nicke ich verständnisinnig. Finde ich den blöd, gucke ich
indigniert und versage ihm das zustimmende Grinsen. Als Ostlerin habe ich
die Wahl. Das darf gerne so bleiben.
23 Aug 2014
## AUTOREN
Anja Maier
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