# taz.de -- Deutsch-niederländisches Verhältnis: „Wie öffnen Deutsche eine… | |
> Der Mauerfall kam in den Niederlanden gut an. Aber Deutschland wurde | |
> skeptisch betrachtet. Das ist lange vorbei. Historiker Pekelder über die | |
> neue Gelassenheit. | |
Bild: Deutsch-niederländische Völkerfreundschaft | |
taz: Herr Pekelder, die deutsch-niederländischen Beziehungen waren Anfang | |
der 90er Jahre an einem Tiefpunkt angelangt. Diesen Tiefpunkt markierte | |
1993 der berühmt gewordene „Clingendael-Report“. Bei dieser Umfrage kam | |
heraus, dass jüngere Niederländer Deutsche mehrheitlich für arrogant, | |
nationalstolz und kriegssüchtig hielten. Wie kam es zu diesem Ergebnis? | |
Jacco Pekelder: Unser Geschichtsunterricht konzentrierte sich damals auf | |
die Nazizeit und die Besetzung der Niederlande durch die deutsche | |
Wehrmacht. Außerdem wurden immer noch gerne Nazi-Witze erzählt. Also zum | |
Beispiel: Wie macht ein Deutscher eine Auster auf? – Er klopft kräftig an | |
die Schale und brüllt dann: „Aufmachen!“ Solche Witze gab es zuhauf. Die | |
Kinder haben sie ständig wiederholt und haben auch den deutschen Befehlston | |
gerne nachgeahmt. So was prägt sich ein! | |
Aber das war doch auch schon vor 1993 so. Trotzdem war das Verhältnis | |
Anfang der 90er Jahre besonders schlecht. | |
In der Zeit kam Verschiedenes zusammen: Über den Mauerfall hatten wir uns | |
auch sehr gefreut. Dann aber wuchs die Unsicherheit vor einem zu großen | |
Deutschland, das den kleinen Niederlanden damals übrigens auch keine | |
Beachtung schenkte. Die Aversion nahm zu, als Anfang der 90er Jahre mehrere | |
deutsche Asylantenheime belagert und angezündet wurden. Tja, und dann kam | |
1992 auch noch die Übernahme des niederländischen Traditionsunternehmens | |
Fokker durch den Dasa-Konzern hinzu, der zu Daimler-Benz gehörte. Jürgen | |
Schrempp war damals Chef von Dasa. Er hat die Übernahme ziemlich hart | |
durchgezogen. Das hat unseren Nationalstolz stark angekratzt. | |
Die Aggression gegen Deutschland hat man dann auch im Fußball sehr stark | |
gespürt. | |
Ja, vor allem als Frank Rijkaard bei der WM 1990 Rudi Völler zweimal | |
angespuckt hat. Das war ein denkwürdiges Spiel, und es war niederländischen | |
Jugendlichen ein schlechtes Vorbild. Sie dachten danach, dass es okay sei, | |
antideutsch zu sein. | |
Sie selbst sind in den 70er Jahren in der Nähe der deutschen Grenze | |
aufgewachsen. Wie haben Sie als Kind das Verhältnis zum Nachbarland erlebt? | |
Das war sehr zwiespältig. Ich las zum Beispiel gerne die Jugendbuchreihe | |
„Snuf de hond“. Die Hauptfigur war ein Hund namens Snuf, der während des | |
Krieges einigen Widerstandskämpfern half. Das hat mich sehr beeindruckt. | |
Gleichzeitig habe ich mit großer Begeisterung die Kataloge vom | |
Spielzeuggeschäft im benachbarten – deutschen – Nordhorn studiert. Ich | |
wurde aber das Gefühl nicht los, dass diese Deutschen uns irgendwie | |
feindlich gesinnt sind. | |
Und wie war es später? | |
1988 habe ich mich, wie alle Holländer, sehr über den EM-Triumph gegen | |
Deutschland gefreut. Ich war damals Student in Utrecht und habe im | |
Stadtzentrum mitgefeiert. Es war wirklich eine große Party – obwohl es nur | |
ein Halbfinale war! Im Laufe der 90er Jahre aber wurden wir | |
selbstkritischer. Historiker nahmen damals die Kollaboration mit den | |
Deutschen während der Besatzungszeit unter die Lupe. | |
Es kam zum Beispiel heraus, dass rund 20.000 Holländer aus freien Stücken | |
in die Waffen-SS eingetreten waren. Also ungefähr genauso viele, wie im | |
Widerstand gewesen sind. Das gleicht sich also fast aus. Etwa zeitgleich | |
wurde auch die Geschichte des holländischen Sklavenhandels im 16., 17. und | |
18. Jahrhundert aufgearbeitet und rückte ins kollektive Bewusstsein. Uns | |
wurde klar, dass unsere Weste nicht so weiß war, wie wir bis dahin dachten. | |
Deshalb funktionierte es auch nicht mehr so gut, die eigene Identität in | |
Abgrenzung zu Deutschland zu konstruieren. | |
Ihr Buch setzt 1989 ein. Der Fall der Mauer wurde auch in den Niederlanden | |
als großer Einschnitt erlebt, oder? | |
Ja, wir haben uns sehr darüber gefreut. Auch über die Bilder von den | |
Trabbis und den auf der Mauer tanzenden Deutschen. Die Niederlande sind | |
traditionellerweise ein antikommunistisches Land. Wir sind halt eine alte | |
Handelsnation und können mit einem System wenig anfangen, das nicht auf | |
freiem Handel basiert, sondern auf Vorschriften, Vorausberechnungen und | |
Plänen. Für solche Vorgaben sind wir zu pragmatisch und zu | |
freiheitsliebend. | |
Wir fanden es daher gut, dass sich diese Freiheit nun auch auf Osteuropa | |
ausdehnte. Aber wir waren auch verunsichert. Wir wussten zum Beispiel | |
nicht, wie es mit der Nato weitergeht. Die Anbindung an die USA war für | |
unser Sicherheitsgefühl immer sehr wichtig gewesen. Auch weil sich die | |
größeren EWG-Länder den USA unterordnen mussten. Das war für ein kleines | |
Land sehr beruhigend. Nun aber war die Zukunft der Nato unklar, und es war | |
auch unklar, ob es dem wiedervereinigten Deutschland gelingen würde, sich | |
in Europa zu integrieren. | |
Fand man es auch problematisch, dass die Bundesregierung von Bonn nach | |
Berlin zog – also weiter weg von Holland? | |
Das wurde tatsächlich so empfunden. Hinzu kam, dass Helmut Kohl erst 1995 | |
zum ersten Mal offiziell als Bundeskanzler in die Niederlande reiste. Da | |
war er schon dreizehn Jahre lang im Amt! Die Deutschen dachten wohl, dass | |
es mit den Holländern so gut läuft, dass man sich um das Verhältnis zu | |
ihnen nicht weiter kümmern muss. | |
Helmut Kohls Besuch war auch eine Reaktion auf den „Clingendael-Report“, | |
der als Warnung wirkte. Anschließend wurden vielerlei Maßnahmen ergriffen, | |
um das Verhältnis zu verbessern. | |
Es kamen auf einmal zahlreiche hochrangige Politiker zu Besuch. An den | |
Schulen wurde der Geschichtsunterricht über Deutschland ausgeweitet und | |
differenziert. Außerdem wurden Deutschland-Institute an niederländischen | |
Universitäten aufgebaut und universitäre und journalistische | |
Austauschprogramme eingerichtet. Und auch der niederländische Handel, vor | |
allem mit Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, wurde enorm gestärkt. | |
Sie haben ein Sachbuch geschrieben, das sich wie ein Entwicklungsroman | |
liest: Es beginnt mit der Krise in den 90er Jahren. Dann werden erfolgreich | |
Maßnahmen ergriffen, um das deutsch-niederländische Verhältnis zu | |
verbessern. Und nun sind die beiden Länder „the best of friends“. | |
Haha! Das ist doch schön! | |
Erstaunlich: Mittlerweile, so schreiben Sie, wünschen sich die Niederlande | |
sogar ein starkes Deutschland in Europa. Und man reagiert irritiert, wenn | |
sich Deutsche immer wieder für den Krieg entschuldigen. | |
Ja, ich mache das vor allem an der Rede von Joachim Gauck fest, die er am | |
5. Mai 2012 in Anwesenheit von Königin Beatrix in Breda hielt. Der 5. Mai | |
ist unser nationaler „Befreiungstag“ von den Deutschen. Gauck sprach damals | |
relativ lange über die Besatzungszeit und die deutsche Schuld, und das war | |
den Niederländern tatsächlich ein bisschen zu viel. Er hätte ruhig mehr | |
über unsere gemeinsame Zukunft in Europa reden können. | |
Und was müsste sonst noch verändert oder verbessert werden? | |
Ich würde mir eine differenziertere Berichterstattung über die Niederlande | |
in der deutschen Presse wünschen. Mit der zunehmenden Bedeutung von Europa | |
wurden immer mehr Journalisten nach Brüssel geschickt. Von dort aus | |
berichten sie nebenbei auch über die Niederlande. Bei uns gibt es deshalb | |
kaum noch deutsche Korrespondenten. Daher ist die Berichterstattung über | |
Holland in deutschen Medien quantitativ und qualitativ zurückgegangen. Das | |
finde ich sehr enttäuschend. | |
Sehen Sie Ihr Buch selbst auch als einen Beitrag, um das momentan recht | |
gute Verhältnis zwischen beiden Ländern zu fördern und zu festigen? | |
Ja, einen kleinen Beitrag wollte ich schon leisten! Zunächst einmal wollte | |
ich das Bewusstsein dafür schärfen, dass seit einigen Jahren wirklich eine | |
„neue Nachbarschaft“ zwischen den beiden Ländern entstanden ist. Aber ich | |
will auch deutlich machen, dass man eine gute Nachbarschaft pflegen muss. | |
3 Oct 2014 | |
## AUTOREN | |
Katharina Borchardt | |
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