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# taz.de -- Die Wahrheit: Spott über Gott
> Libérté toujours wie bei „Charlie Hebdo“? In Deutschland bleiben 100
> Prozent Kunstfreiheit immer noch ein frommer Wunsch.
Dass das Massaker von Paris ein Anschlag auf die Presse- und
Meinungsfreiheit war, darin sind sich im Augenblick alle Kommentatoren
einig. Ganz falsch ist das gewiss nicht; es ist nur leider nicht sehr
präzise.
Mit Maschinenpistolen niedergemäht wurden ja keine Leitartikler, die vor
den Gefahren des Salafismus für die Demokratie warnen, keine Reporter, die
der Finanzierung islamistischer Terrormilizen hinterherrecherchieren, keine
islamkritischen Straßendemonstranten oder muslimfeindlichen Internettrolle.
Die abscheuliche Tat galt ausdrücklich den Mitarbeitern eines
Satiremagazins. Eines Satiremagazins, das sich in der Vergangenheit immer
wieder die Freiheit herausgenommen hat, in schroffen Strichzeichnungen und
mit nur wenigen Worten den Islam, den Propheten Mohammed und den Koran zu
verspotten – eines Satiremagazins, das traditionell auch mit anderen
Weltreligionen und dem politischen Personal Frankreichs auf eine rabiat
komische Weise umspringt, die im harmoniesüchtigen Deutschland nur in
Ausnahmen denkbar ist und mit Sicherheit auch kein so großes Publikum
fände, schon gar nicht wöchentlich.
## Zu Recht umstritten
Mit diesem Programm ist Charlie Hebdo auch in Frankreich umstritten gewesen
– mit Absicht und völlig zu Recht, wenn man Streit nicht, wie in
Deutschland üblich, von vornherein schlecht findet. Satire nimmt unernst,
macht sich lustig, gibt ihre Gegenstände der Lächerlichkeit preis, selbst
wenn es sich dabei um die Herzensangelegenheiten anderer Leute handelt. Im
besten Fall macht sie sich Freunde bei denen, die darüber lachen, und
Feinde bei jenen, über die gelacht wird.
Dieses Ziel unterscheidet sich durchaus von denen, für die die
Pressefreiheit gewöhnlich in Anspruch genommen wird; daher werden
satirische Bilder und Texte in Deutschland meist auch von der Kunstfreiheit
geschützt. Dennoch kann und darf Satire nicht damit rechnen, dass ihre
Feinde plötzlich mit dem Raketenwerfer vor der Tür stehen, um sie
auszulöschen.
Sie lebt davon, dass sie als Satire erkannt wird; vielleicht nicht sofort
und von jedem, aber irgendwann oder von irgendwem. Ob aus Jux oder in
bester aufklärerischer Absicht – sie will als mehrdeutiges Spiel gewürdigt
werden, das die Grenzen zwischen Ernst und Unernst ständig verschiebt und
durchlöchert, Bedeutung schillern lässt und somit der Interpretation
bedarf. Ob es um Modetorheiten geht oder um die großen weltanschaulichen
Fragen – Satire fordert dazu auf, Ambivalenz nicht unbedingt auflösen zu
müssen, sondern auch einmal aushalten, ja lustvoll genießen zu können.
## Kühne Witze
Den Terroristen von Paris und, so es sie gibt, ihren Sympathisanten braucht
man mit solchen Sophistereien selbstverständlich nicht zu kommen. Ihre
Botschaft ist völlig eindeutig: Mit dem Islam treibt man keinen Scherz,
sonst wird daraus blutiger Ernst. Doch auch bei uns, wo die Komik seit
jeher in keinem großen Ansehen steht, wird zu prüfen sein, ob die
plötzliche Liebe der Landsleute zur Satire und ihrer Freiheit, kühne Witze
über jedwede Autorität zu machen, die nächsten Wochen überdauert.
In den Auseinandersetzungen der Vergangenheit sah es jedenfalls so aus, als
wären große Teile der deutschen Presse eher daran interessiert gewesen,
religionskritischen Satiren und Karikaturen den Status des komischen
Kunstwerks abzusprechen. Die rhetorische Figur dahinter lautete regelmäßig:
Satire darf meinetwegen alles, aber das ist eindeutig keine Satire, darüber
kann ich nicht lachen; darum ist es nichts weiter als eine geschmacklose
Provokation von Leuten, die sich zu weit aus dem Fenster lehnen und
mutwillig unsere Freiheit missbrauchen; wer bei einem so ernsthaften Thema
wie den religiösen Gefühlen mit dem Feuer spielt, darf sich über den
Flächenbrand nicht wundern, der ihm möglicherweise nicht nur die Finger
verbrennt, sondern auch alles andere; also: selber schuld!
## Schmutzige Satire
Interessant wird es deshalb sein zu sehen, wie sich die freie Presse nach
den Morden in der Charlie-Hebdo-Redaktion zu ihrer schmutzigen kleinen
Schwester, der Satire, verhält und damit auch zum Spott über alles, was
Menschen hierzulande lieb und wert ist. Werden Deutschlands Journalisten
jetzt nicht nur das Recht der hiesigen Karikaturisten und Satiriker
verteidigen, den Islamismus tüchtig aufs Korn zu nehmen, sondern auch jenes
Recht, hässliche und geschmacklose Dinge über alle möglichen Sachen zu
sagen, die ihnen selber heilig sind?
Werden sie mitsamt den Politikern, die jetzt unter dem Druck der
furchtbaren Geschehnisse von einem „Attentat auf unsere Grundwerte“ reden,
das Recht auf Spott über Gott und Allah und ähnliche Halluzinationen als
einen dieser Grundwerte verteidigen? Es wäre auf jeden Fall ein großes
Wunder. Und wie das mit Wundern so ist: Wir sollten einfach einmal naiv
daran glauben und uns gleichzeitig darüber lustig machen.
9 Jan 2015
## AUTOREN
Mark-Stefan Tietze
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