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# taz.de -- Schlagloch Automation: Selbstlenkende Gesellschaft
> Dobrindts Vision der schönen neuen Automatenwelt ist alt – und
> unheimlich. Doch sie wird noch viel schneller kommen als wir es
> befürchten.
Bild: Die selbstfahrenden Autos sind schon unter uns: demnächst auch ohne Pseu…
Selbstlenkende Pkws und Laster? Absurd. Wer will das schon? So die Stimmen
am abendlichen Tisch. Aber ich werde keine Wette gegen die Prognose des
Auto-und-Internet-Ministers Dobrindt wagen, dass in zehn Jahren autonome
Autos über teilprivatisierte Autobahnen brausen. Denn erstens kommt es
dümmer, und zweitens, als man denkt. Vor allem aber schneller.
Vor fünfzehn Jahren las ich zwei Bücher von Bill Gates. Das erste hieß „The
Road Ahead“. Da ging es um PCs, die mich so gut kennen, dass sie mir
automatisch alle Bücher, CDs oder Filme anbieten, die zu mir passen; um
Stadtpläne, die mir sagen, ob die Toiletten in der Lieblingspizzeria sauber
sind, und ob irgendwo in der Stadt eine Single-Frau wohnt, die meine
Vorliebe für nächtliches Schachspielen teilt; um Autos, die mir nahelegen,
jetzt gleich rechts abzubiegen; um Smart Homes mit Fernsehern, die merken,
wie mir die Werbung gefällt. Ich fand das komisch – eine Fehleinschätzung.
Das zweite Buch hieß „Business@the speed of thought“: ein Programm für
„reibungslosen Kapitalismus“, der Produktion, Logistik, Finanzwesen
rationalisiert – und die Bedürfnisweckung dazu: denn wir Menschen hätten zu
lange in einem System gelebt, in dem wir „gar nicht wissen, was uns fehlt“.
Bill Gates hat sich vom digitalen Acker gemacht, aber mit Amazon, Google
und Facebook sind wir on the road ahead zur reibungslosen Fusion von
kapitalistischem Wachstumsdrang und technologischer Machbarkeitsfreude gut
vorangekommen.
Und nun sollen im Herbst die ersten „Tablets auf Rädern“, wie sie der
fortschrittspopulistische Minister nennt, auf der Autobahn Nürnberg–München
überholen üben. Offen ist nur noch, ob die Software von Google kommt oder
vom Fraunhofer-Institut.
Digitalisierung, so schwärmt der Mann im besten Alter, „ist ein unendlicher
Prozess, den wir mit dauerhaftem Engagement gestalten müssen“, wenn wir
nicht wie die „Amish People“ werden wollten, sondern ein „digitales
Wirtschaftswunder an der Weltspitze“ entfachen. Denn nur „Menschen mit
Internetanschluss haben 1.000 Wünsche“.
## Nur Franz Alt mault
Selbstlenkende Zalando- und Amazon-Container auf staufreien Logistiktrassen
– die Internationale der Internethändler freut sich, nur Franz Alt mault:
fahrerlose Mobilität, da sollte man doch lieber in die Bahn investieren.
Vielleicht wird das Ganze ja auch ein Flop, aber für einen Augenblick war
es wieder da: das Ohnmachtsgefühl angesichts eines Beschleunigungswahns,
den Investoren und Regierungen vorantreiben, für dessen Kollateralschäden
die Ministerien für Soziales und Gesundheit zuständig sind, der umso
schneller Blüten und Blasen treibt, je stärker die Wachstumsraten
schrumpfen.
Ein starker politischer Wille, die Lebenswelten verändernde und Menschen
ausforschende Trias Google/Amazon/Facebook mit ihren nachgeordneten
Algorithmen-Lieferanten zu regulieren, ist auch nach Snowden nicht in
Ansätzen erkennbar; unterdessen werden immer mehr Lebensbereiche von
riskanten Netzwerken abhängig, sind Black-outs abzusehen, endogene und
cyberwarinduzierte.
## Ohnmächtiges Nichtstun
„Es ist schrecklich, aber der Zug ist abgefahren …“ – dieser Satz eines
Parlamentariers über die Massentierhaltung ist umstandslos anwendbar auf
die Ohnmacht angesichts der Pervertierung des Internets. „Ja, aber man kann
doch nicht einfach resignieren“ – auch diesen Satz habe ich oft gehört:
nachdem die kämpferischen Referate verhallt waren.
Und was folgt daraus? „We need regulation!“ So forderte es der radikale
Internetdissident Andrew Keen („Das digitale Debakel“) vor ein paar Tagen
auf der Digital-Life-Design-Konferenz, einer Messe von großen Investoren
und hungrigen Start-ups.
Ihr Motto hieß „It is only the beginning“, es herrschte der notorische
Goldgräberoptimismus, aber am Rande klangen selbst dort die absehbaren
Folgen an: Arbeitslosigkeit, Zerfall des Sozialen, Ende des Mittelstands,
Ausforschung. Und dies: Damit wir in der digitalen Welt wettbewerbsfähig
bleiben, so EU-Kommissar Oettinger, müssten wir unsere Kinder darauf
vorbereiten, mit 1.000 Euro im Monat auszukommen.
## Die Zukunft vor 50 Jahren
Und auf dem Berliner Festival „Transmediale“ der Internetkünstler stellte
Evgeny Morozov gegen Hoffnungen auf subversive Kraft und Open Source die
nüchterne Erkenntnis: Solange Daten und Algorithmen Privateigentum einiger
Konzerne blieben, werde ihr Produkt nicht Allgemeinwohl sein, sondern
Profit, und dagegen gebe es nur eine effektive Form des Widerstands: in die
Politik zu gehen. Und dann verwies er auf Griechenland. – Spätestens an
dieser Stelle wird es still und – ein wenig – betroffen, auf
Insider-Kongressen und in abendlichen Runden. Dann dämmert die alte
Wahrheit: Kritische Idee ohne ein durchsetzungsfähiges Interesse hinter
ihnen bleiben folgenlos.
Vor fünfzig Jahren veranstaltete die IG Metall einen Kongress zur Zukunft
der Automation; sehr früh ging es da um die Folgen der Automatisierung, für
die Gesellschaft und die Arbeiter. Gleichzeitig dachten in einem
Max-Planck-Institut Jürgen Habermas und Carl-Friedrich von Weizsäcker über
die „Finalisierung der Wissenschaften“ nach – die Ausrichtung staatlich
geförderter Forschung am gesellschaftlichen Gedeihen.
Die Hoffnungen, die sich an diese Aufbrüche knüpften, gingen in den
folgenden Jahrzehnten zuschanden. Aber ohne eine politische Reaktivierung
dieser großen Institutionen mit öffentlichem Gewicht und mit
Verweigerungsmacht, ohne starke Gewerkschaften und wirtschaftlich wie
politisch unabhängige Universitäten und Forschungseinrichtungen, und ohne
Bündnisse mit ihnen, wird die Fahrt auf der road ahead sich weiter
beschleunigen. – Vorbei an den schönen alternativen Parallelwelten, den
Resolutionen im Netz, den kritischen Feuilletons, den flüchtigen
Occupy-Konjunkturen, politisch begleitet von Dialogen „der Politik“ mit
„den Bürgern“, an deren Ende eine Kanzlerin dann sagt: „Wir versuchen das
jetzt so zu ordnen, dass man daraus Handlungsalgorithmen ableiten kann.“
4 Feb 2015
## AUTOREN
Mathias Greffrath
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Digitalisierung
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