# taz.de -- Schlagloch Menschen und Maschinen: Automatisch in die Zukunft | |
> Es ist faszinierend, was Maschinen alles können. Sie sind die große | |
> Chance für die Menschheit. Sie dürfen nur nicht Einzelnen gehören. | |
Bild: Kuka KR Agilus, angeblich schnellster Roboter der Welt. | |
Gelegentlich spiele ich Tischtennis, in einer Halle, in der seit bald 75 | |
Jahren dem schnellsten Sport auf Erden gefrönt wird. Letzte Woche sah ich | |
einen drahtigen älteren Spieler Bälle retournieren, die ihm eine Maschine | |
millimetergenau auf die Rückhand spielte. Mein Trainer winkte ab: „Das ist | |
gar nichts. Schau dir mal auf YouTube an, [1][wie Timo Boll gegen einen | |
Roboter spielt].“ | |
Tatsächlich: Ein Kuka-Roboter fordert in einem werbeästhetisch | |
aufbereiteten Clip den einst weltbesten Spieler, Timo Boll, heraus. Der | |
Roboter besteht aus einem langen, orangefarbenen Arm mit verschiedenen | |
Gelenken auf einem statischen schwarzen Unterbau. Bemerkenswert, wie | |
einfach diese Sportart aussieht, wenn man über die nötige Geschwindigkeit | |
und Schlagpräzision verfügt. | |
Der Roboter drückt die Bälle meistens nur zurück, nutzt die Geschwindigkeit | |
des menschlichen Gegners zur Beschleunigung, trifft zum perfekten | |
Zeitpunkt, platziert den Ball millimetergenau. Bald schon führt er 6:0, und | |
Timo Boll gerät ins Schwitzen. Ein Kantenball und mehrere Netzroller später | |
hat ein erleichtert wirkender Timo Boll mit 11:9 gewonnen. Wahrlich, denkt | |
sich der Betrachter, das unterscheidet den Mensch von der Maschine: Er hat | |
das Glück auf seiner Seite. | |
## Taktische Gerissenheit | |
Am Sonntag im Schauspiel in Hannover bestärkten Constanze Kurz und Frank | |
Rieger, Sprecher des Chaos Computer Clubs, in einem Podiumsgespräch meine | |
Faszination, auch wenn sie zugleich einige Illusionen entlarvten. Der Clip | |
sei teilweise ein Fake, als Werbung konzipiert von der Augsburger Firma | |
Kuka, einem Pionier der Roboterentwicklung in der Automobilproduktion. Die | |
Ballwechsel, die man sehen könne, hätten zwar stattgefunden, aber von einem | |
kompletten Tischtennisspieler sei der Roboter noch ein wenig entfernt. | |
Seine neuen Arme seien aufgrund spezieller Gelenkkonstruktionen enorm agil | |
und verfügten über leistungsfähige Kraftsensoren. Und was mir als Glück | |
vorgekommen war, sei nichts anderes die taktische Gerissenheit des | |
erfahrenen Timo Boll, der erkannt habe, dass die Maschine aufgrund | |
begrenzter Reichweite Netzroller nicht erreichen könne. Zudem, je mehr man | |
übt, desto mehr Glück hat man bekanntlich. Exemplarisch sei die | |
Herangehensweise der Ingenieure und Programmierer, die bei Robotern nicht | |
nach einer Kopie menschlicher Fähigkeiten strebten, sondern eigene | |
technische Lösungen suchten. | |
So ist dieser Kuka-Roboter auf einem Standbein völlig unbeweglich, obwohl | |
Beinarbeit, wie einem jeder halbwegs geübte Tischtennisspieler erklären | |
würde, das A und O bei diesem Sport ist. Da der Roboter schneller als der | |
Mensch sein kann, dessen Reaktionszeit, ob sie nun bei 0,015 oder 0,020 | |
Sekunden liegt, über ein gewisses Limit hinaus nicht verbessert werden | |
kann, und da er längere Arme hat, muss er sich nicht aufgrund von genauer | |
Beobachtung und antrainiertem Instinkt vor jedem Schlag in eine günstige | |
Position bewegen. Auch wenn der Roboter dieses Spiel noch verloren hat, die | |
Ebenbürtigkeit ist in diesem Bereich schon so gut wie hergestellt, in | |
anderen (siehe etwa Schach) sind Automaten den Menschen bereits weit | |
überlegen. | |
## Das Ende der Arbeit | |
Das im letzten Herbst erschienene Buch von Constanze Kurz und Frank Rieger, | |
„Arbeitsfrei. Eine Entdeckungsreise zu den Maschinen, die uns ersetzen“, | |
ist nicht nur eine informative Einführung in die Automatisierung | |
verschiedener Branchen, sondern auch eine Anregung, sich entscheidende | |
Fragen über die Zukunft unserer Gesellschaft zu stellen. Es kann keinen | |
Zweifel geben, dass die meisten Tätigkeiten voll automatisiert werden | |
können. | |
Dort, wo die vorhandenen technischen Möglichkeiten noch nicht in der | |
Produktion umgesetzt sind, wird der Kostenfaktor angesichts steigender | |
Rechen- und Speicherleistung bei gleichzeitig fallenden Preisen bald keine | |
prohibitive Rolle mehr spielen. In den Bereichen, in denen das bereits | |
erfolgt ist, sind Menschen nur noch im Management, in der Kontrolle und | |
Wartung tätig. Und natürlich werden sie für die Entwicklung und | |
Programmierung benötigt. | |
Auch wenn es politische und kulturelle Widerstände gibt, das Diktat der | |
Effizienzsteigerung und der globale Konkurrenzdruck werden zur | |
Automatisierung führen. Laut einer von Frank Rieger zitierten Studie werden | |
bis zum Jahre 2025 in den USA 47 Prozent der heute existierenden | |
Arbeitsplätze verschwinden. Das Mantra der konventionellen Ökonomen, | |
technologische Entwicklung schaffe neue Arbeitsplätze, ist nur ansatzweise | |
richtig, da die Automatisierung so gut wie keinen Bereich auslassen wird. | |
Da gleichzeitig die Konzentration von Vermögen enorm zunimmt – eine | |
logische Begleiterscheinung, denn der entscheidende Faktor bei einer (fast) | |
vollautomatisierten Produktion ist natürlich das Kapital –, müssen wir uns | |
bald die Frage stellen, ob wir einen neuen autoritären Feudalismus wollen | |
oder bereit sind, eine völlige Umgestaltung der Wirtschaft vorzunehmen. | |
## Die Allmende wird kommen | |
Es ist das Verdienst von Constanze Kurz und Frank Rieger, dass sie Mensch | |
und Maschine nicht in einem Konkurrenzverhältnis sehen, sondern darauf | |
hinweisen, dass uns eine der größten emanzipatorischen Chancen der | |
Geschichte bevorsteht. Ohne Lohnarbeit ist die seit Jahrhunderten stabile | |
Beziehung zwischen Arbeitskraft und Kapital erschüttert. Zudem gehen viele | |
Konsumenten verloren, auf deren Hamstern der Wachstumswahn unseres Systems | |
vertraut. | |
Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde wohl soziale Konflikte mindern, | |
aber nicht ausreichen, den Konsum all der Waren zu garantieren, die von | |
Maschinen erzeugt werden. Zumal sich die Frage stellen wird, wieso | |
Maschinenparks Einzelnen oder einer Gruppe von Investoren gehören sollen. | |
Logischer, einfacher und gerechter wäre ihre Vergemeinschaftlichung. | |
Mit anderen Worten: Die Automatisierung könnte zu einer neuen Form der | |
Allmende führen. Das steht leider nicht in dem Buch von Kurz und Rieger, | |
das haben sie am Sonntag in einer Matinee ausgeführt. Selten bin ich | |
beschwingter nach Hause gefahren. | |
14 May 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://www.youtube.com/watch?v=tIIJME8-au8 | |
## AUTOREN | |
Ilija Trojanow | |
## TAGS | |
Roboter | |
Constanze Kurz | |
Digitalisierung | |
Schwerpunkt Überwachung | |
re:publica | |
Journalismus | |
Journalismus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Schlagloch Automation: Selbstlenkende Gesellschaft | |
Dobrindts Vision der schönen neuen Automatenwelt ist alt – und unheimlich. | |
Doch sie wird noch viel schneller kommen als wir es befürchten. | |
CCC-Kongress 31C3 in Hamburg: Volle Kraft voraus | |
Der Chaos Computer Club präsentiert sich auf seinem Kongress gestärkt. Der | |
31C3 ist politische Plattform, Hackspace und Spielplatz für tausende | |
Besucher. | |
re:publica 2014, der 1. Tag: Verfuckingnetzt euch! | |
Mehr Speakerinnen, eine unecht aussehende Perücke und das Verhältnis von | |
Sprache und Vorschriften: Eindrücke von Europas größter Netzkonferenz. | |
Drohnen im Journalismus: Unter Beobachtung | |
Journalisten stehen auf Flugroboter, die Kameras tragen. Weil sie ihre | |
Drohnen nicht überall steigen lassen dürfen, fordern sie laxere Auflagen. | |
Roboter-Journalismus: Nachrichten aus der Maschine | |
Fußball, Wetter, Erdbeben: Zu einigen Themen produzieren Computer schon | |
jetzt eigene Nachrichtentexte. Für den Leser ist der Unterschied kaum | |
erkennbar. |