# taz.de -- re:publica 2014, der 1. Tag: Verfuckingnetzt euch! | |
> Mehr Speakerinnen, eine unecht aussehende Perücke und das Verhältnis von | |
> Sprache und Vorschriften: Eindrücke von Europas größter Netzkonferenz. | |
Bild: Ist Mike Bonnanno sein richtiger Name? | |
Was [1][letztes Jahr] galt, gilt immer noch: Der Versuch einer | |
allgemeingültigen Zusammenfassung von Europas größter Internetkonferenz | |
re:publica, die vom 6. bis zum 8. Mai in Berlin auf rund 15 parallelen | |
Bühnen stattfindet, ist so sinnvoll, wie einen Wackelpudding an die Wand | |
nageln zu wollen. Denn es gibt Tausende re:publicas, für jeden Besucher | |
eine, je nach Tagesplan, Vorlieben und Begegnungen. Aber jeder kann sich am | |
Ende des ersten Tages die gleiche Frage stellen: Was habe ich heute | |
gelernt? | |
1. Bei der re:publica 2014 gibt es so viele Helfer, wie es bei der ersten | |
re:publica 2007 Besucher gab, erzählt Johnny Haeusler zum Auftakt. Besucher | |
gibt es inzwischen ein paar mehr, nämlich 8.000, und das merkt man auch, | |
viel häufiger als 2013 kommt es vor, dass man nur noch einen Stehplatz | |
findet. Weitere Throw-away-facts aus [2][den Eröffnungsreden]: 40 Prozent | |
der Speaker sind inzwischen weiblich. Und rund 70 Panels werden zu | |
politischen Themen gehalten, was 20 Prozent der gesamten Veranstaltungen | |
ausmacht. | |
Um Überwachung geht es natürlich auch zu Beginn, und die Haltungen könnten | |
kaum gegensätzlicher sein: Tanja Haeusler zitiert Pharell Williams, | |
„Because I'm happy / Clap along if you feel / like a room without a roof“ | |
und sagt, sie glaube nicht, dass wir uns der Wahrheit nähern werden – sie | |
hofft aber, dass wir zusammen bisschen glücklicher sein können. Markus | |
Beckedahl sagt hingegen, Sicherheitsdienste sehen das, was Snowden | |
aufgedeckt habe, eher als Machbarkeitsstudie – und kündigt an: „Wir wollen | |
Strategien diskutieren, wie wir das Netz den kriminellen Geheimdiensten | |
wieder entreißen. Es ist unser Netz, lasst es uns gemeinsam zurück | |
erkämpfen.“ | |
2. Am 5. Mai war Tag der Hebamme. Das ist das einzige, was [3][vom Panel | |
„Gefahrengebiet Lokaljournalismus“] hängengeblieben ist. Und vielleicht | |
noch, dass das alles mit den Hyperlocal-Blogs eigentlich nur mit viel | |
Idealismus funktioniert. Nach 19 Minuten sagte der Moderator: „Oh, jetzt | |
kriegen wir vielleicht doch noch eine Kontroverse rein.“ Das sagt alles. | |
3. Man muss sich wenig Sorgen machen, sondern kann sich immer auf die | |
Inkompetenz der Anderen verlassen. Das verraten die Yes Men in [4][ihrer | |
Veranstaltung], die sich „Keynote“ nennt, aber in Wirklichkeit eine | |
Selbstpräsentation ihrer Arbeit ist. Die Yes Men, Mike Bonnanno und Andy | |
Bichlbaum, gehören zu den Stars am ersten re:publica-Tag, der riesige Saal | |
1 ist brechend voll. Die Yes-Men-Methode: Im Namen großer Organisationen | |
und Lobbygruppen falsche Pressemitteilungen rausgeben oder bei Konferenzen | |
Vorträge halten – und dabei immer genau so weit gehen, dass die Leute es | |
noch glauben. | |
Die beiden stellen ihre Plattform [5][Action Switchboard] vor, die schon | |
bald Aktivisten und Kampagnen vernetzen soll. Und dokumentieren den | |
verstörenden Hack einer Homeland-Security-Konferenz, auf der sie einen | |
Vortrag über die Abschaffung der fossilen Energien in den USA bis 2030 | |
gehalten haben – immer in Sorge, dass die absurd unecht aussehende Perücke, | |
die Bichlbaum dabei aufhatte, die gesamte Tarnung auffliegen lässt. | |
Aber natürlich tat sie das nicht, denn, wie gesagt, man kann sich immer auf | |
die Inkompetenz der Anderen verlassen. Und als dann ein Vertreter des | |
fiktiven Indianerstamm der Wanabis einen Rundtanz initiiert, bei dem man | |
seinen Nachbarn an den Gürtel fassen muss, machen alle | |
Homeland-Security-Konferenzteilnehmer mit, weil sie glauben, das wäre echt. | |
Großes Gelächter im re:publica-Saal! Schön wäre die Vorstellung, wie ein | |
Video von uns in einem halben Jahr auf einer Tea-Party-Konferenz gezeigt | |
wird, wo die beiden Jungs auf der Bühne dann erzählen, sie hätten sich auf | |
einer linksliberalen deutschen Hackerkonferenz als „Yes Men“ ausgegeben und | |
Quatsch erzählt. | |
4. Evgeny Morozov klingt wie ein weißrussisches Maschinengewehr, | |
nachgemacht vom einem amerikanischen Roboter. Er kombiniert eine | |
Klangfarbe, ein Sprechtempo, einen Akzent und keine Sprachmelodie auf eine | |
Art und Weise, dass es unmöglich ist, ihm länger als 20 Sekunden zu folgen. | |
Man kann seine Thesen zum Glück ja auch [6][nachlesen]. | |
5. Sprache lässt sich nicht durch Vorschriften ändern. Dass es deshalb im | |
Internet häufiger zu Reibereien kommt, ist bekannt. Doch das Modell eines | |
Sprachkomitees, welches sich Sprache einmal ausgedacht hat, sei nicht | |
richtig, sagt Anatol Stefanowitsch. Der Sprachwissenschaftler unterscheidet | |
zwischen den Sprachprogressiven, das sind die mit dem „_ “ „*“ oder „… | |
und den Sprachkonservativen, das sind die, die das [7][N-Wort] gerne | |
aussprechen, weil es doch früher „auch in Ordnung war“. | |
„Sprache entwickelt sich“, sagt Stefanowitsch, der sich eher zu den | |
Progressiven zählt. Doch in beiden Gruppen herrsche ein falsches | |
Verständnis von Sprachentwicklung vor. Egal, ob es um das N-Wort oder den | |
Unterstrich, das sogenannte Gendergap, geht: Egal welche Bedeutung für das | |
Wort [8][vom Urheber vorgesehen] war, nicht-diskriminierend, | |
nicht-sexistisch, es gilt, was der Rest der Sprachgesellschaft darunter | |
versteht. Und dann ist man mit dem N-Wort für die meisten doch ein Rassist, | |
obwohl es so ja „nicht gemeint war“, und mit dem Gendergap für die Mehrheit | |
mindestens ein Sprachpolizist. | |
Dass sich Sprache von oben verändert, sei zwar völlig aussichtslos, sagt | |
Stefanowitsch, trotzdem sollte man es versuchen, mindestens in seinen | |
Communitys. Dort versteht die Mehrheit der Sprachgemeinschaft, die | |
Bedeutung, die man kommunizieren will. Und das gelte auch für das Internet, | |
in dem wilde Diskussionen um Begriffe und deren neuen und alten Bedeutungen | |
ausbrechen. „Nur weil man im Internet mit allen reden kann, heißt es nicht, | |
dass man mit allen reden muss“. Manche Formulierungen seien eben nicht „für | |
die Öffentlichkeit gemacht“, sagt er. | |
6. Promis sind nötig, um seine Botschaft zu bewerben. Nur wer bezahlt die | |
Gage eigentlich? David Hasselhoff zieht beim Publikum, auch auf der | |
republica. „Computerexperte“ Mikko Hypponen stellt mit Hasselhoff das | |
Manifest [9][#digitalfreedom] vor. Überregionale Medien kündigen das Event | |
an, die Zuschauer springen von den Sitzen und lauschen Hasselhoffs Worten. | |
Er holt Anekdoten raus, die Begriffe „Knight Rider“, „Berliner Mauer“, | |
„peinliches Foto“ fallen. Am Ende sagt Hasselhoff, er habe immer für die | |
Freiheit gekämpft, nun kämpfe er für Netzfreiheit. Die Fans jubeln. | |
Hypponen ruft zu europäischen Alternativen auf, europäischen Suchmaschinen | |
und Clouddiensten. Die Botschaft kommt an. Mikko Hypponen ist Chief | |
Research Officer von F-Secure, einem finnischen Unternehmen für | |
IT-Sicherheit und Antivirenprogrammen. Einer privaten Aktiengesellschaft, | |
die durchaus ein Interesse hat für „Europäische Produkte“ zu werben. Einen | |
Hasselhoff kann sich Hypponen für seinen re:publica-Auftritt locker | |
leisten. | |
7. 90 Prozent der re:publica-Besucher haben Abitur. Das ergibt die Session | |
von Mitorganisator Johnny Haeusler, wo das Publikum live per Web-Device | |
über wichtige Fragen der Menschheit abstimmen kann. Also auch über die | |
allerwichtigste von allen, das Ergebnis: 219:165 für Katzen (gegen Hunde). | |
8. Sascha Lobo ist jetzt offiziell nicht mehr lustig. Das ist schon seit | |
knapp einem Jahr [10][in seiner Spiegel-Online-Kolumne] so und jetzt auch | |
bei seinem jährlichen re:publica-Vortrag, der 2014 nicht mehr | |
„Überraschungsvortrag“ heißt, sondern [11][„Rede zur Lage der Nation“… | |
Hier rekapituliert er nochmal all das, was aus Lobo, dem | |
Interneterklärbären, Lobo, den Internetmahner, gemacht hat: Snowdens | |
Enthüllungen, die ersten Dementi, die scheibchenweise Enthüllung, Merkels | |
Neuland, Snowdens Asylanträge, Gauck ist besorgt, das Rumgeeier der | |
deutschen Politiker, das Supergrundrecht, und, und, und, und das waren erst | |
der Juni und der Juli. Eine Viertelstunde lang wird das Trauerspiel von | |
Lobo ausgebreitet, und selten klang es so komisch, denn Lobo kann gar nicht | |
anders, seine gesamte Verbalrhetorik baut darauf auf, auf Timing, auf | |
Übertreibungen und wenn er etwa Hans-Peter Friedrichs USA-Besuch als | |
„erfolgloseste Reise seit Odysseus“ bezeichnet, wird natürlich gelacht. | |
Lobo mahnt aber nicht nur, er beschimpft sein Publikum auch: „Ihr twittert | |
über Netzpolitik, ihr überweist nicht.“ Die Bekassine, der Vogel des Jahres | |
2013, würde mehr Spendengelder erhalten als das Internet, als die Leute, | |
die sich bei Vereinen wie der Digitalen Gesellschaft über Jahre an zäher | |
Lobbyarbeit versuchen. Und: Kaum jemand würde sich noch für das NSA-Thema | |
interessieren, also nicht mal ein bisschen. Dabei müssen wir alle | |
aufpassen, dass Überraschung nicht Normalität wird: „Ihr müsst einsehen, | |
dass wenn in einem Raum, in dem Tyrannosaurus auf Speed ist, der bunte | |
Pudel da vorne vielleicht NICHT Priorität hat.“ | |
Auch die Bundesregierung und die Aufklärungsausschüsse kriegen noch ihr | |
Fett weg, es geht um Herrschaft und Kontrolle, um Demokratie und Edward | |
Snowden, um den Kampf für die freie, offene Gesellschaft. Spendet, handelt, | |
verfuckingnetzt euch, sagt Sascha Lobo. Nein, er will wirklich nicht mehr | |
lustig sein. Er bekommt dafür langen, lauten Applaus. | |
6 May 2014 | |
## LINKS | |
[1] /Netzkonferenz-republica-1-Tag/!115847/ | |
[2] http://re-publica.de/session/welcome | |
[3] http://re-publica.de/session/kiez-gefahrengebiet-lokaljournalismus | |
[4] http://re-publica.de/session/opening-keynote-republica-media-convention | |
[5] http://yeslab.org/actionswitchboard/ | |
[6] http://evgenymorozov.com/writings.html | |
[7] /!114886/ | |
[8] /!109029/ | |
[9] http://campaigns.f-secure.com/digitalfreedom/ | |
[10] http://www.spiegel.de/thema/spon_lobo/ | |
[11] http://re-publica.de/session/rede-zur-lage-nation | |
## AUTOREN | |
Svenja Bednarczyk | |
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