| # taz.de -- Netzkonferenz „re:publica“, 3. Tag: Die Katzen der ASCII-Ära | |
| > Hackerromantik, Vorschläge zur Weltverbesserung und Mönche von gestern: | |
| > Der dritte Tag der Internetkonferenz Re:Publica vom Geek-Rand aus | |
| > betrachtet. | |
| Bild: Ein bisschen wie in Watte: Der re:publica-Mittwoch. | |
| Am letzten Tag der re:publica ist die ganze Luft ist voll mit diesen weißen | |
| flauschigen Flocken, die sich immer im Mai aus irgendwelchen Bäumen über | |
| Berlin ergießen. Und auch die Konferenz ist wie in Watte gepackt. Alle | |
| haben sich schon etwas runtergefahren, die Räume sind leerer, viel mehr | |
| Leute trinken am Nachmittag bereits Bier, ein paar Drohnen sirren durch die | |
| Luft, und ständig laufen Menschen mit Rollkoffern vom Gelände, nicht viele, | |
| aber regelmäßig, wie dicke Tropfen aus einem undichten Wasserhahn. | |
| Um die nominellen Headliner in Saal 1 – Cory Doctorow erklärt die | |
| Notwendigkeit von Digital Rights Management, Anne Wiezorek dekliniert | |
| durch, [1][was #aufschrei gebracht hat] oder nicht, und es gibt eine | |
| Live-Schalte zu [2][Ai Weiwei] – sollen sich Andere kümmern. Wie bereits am | |
| [3][Montag] und [4][Dienstag] bewege ich mich lieber an den Geek-Rändern | |
| der re:publica. Und das habe ich heute dabei gelernt. | |
| 1. Das iPhone gab es im Film schon 1995. In [5][Johnny Mnemomic] zählt | |
| Keanu Reeves auf: „Sogo 7 Data Gloves, a GPL stealth module, one Burdine | |
| intelligent translator … Thompson iPhone.“ Das ist eines der zahlreichen | |
| Filmbeispiele, die Keren Elazari in ihrem Vortrag „Take a ride on the | |
| Cyberpunk Express train“ zeigt. So viel Enthusiasmus und Verve wie Elazari | |
| haben nicht viele Redner gezeigt. Mitreißend stellt sie dar, welchen | |
| Einfluss das Cyberpunk-Genre auf die Entwicklung des Hackers hatte, erzählt | |
| vom Werdegang der Hacker-Subkultur, von der DefCon und der Electronier | |
| Frontier Foundation, von V for Vendetta, Captain Crunch, Hacktivism und | |
| Cryptopartys. | |
| Spätestens mit dem [6][Stuxnet]-Vorfall 2010, bei dem iranische Atomanlagen | |
| virtuell attackiert wurden, seien wir nun in die „Cyberwarfare Area“ | |
| eingetreten, sagt Elazari, die fünfte Art des Krieges neben dem Land-, | |
| See-, Luft- und Weltraumkrieg. Und auch die fiktiven weiblichen | |
| Hackercharaktere, die Elazari als Vorbild dienten, stellt sie vor: Trinity | |
| aus der „Matrix“-Reihe und Angelina Jolie als Acid Burn in „Hackers“. | |
| 2. „Die Schriftart Century Gothic verbraucht 30 Prozent weniger Tinte als | |
| Arial.“ Diese wichtige Information steht in dem Buch „500 junge Ideen, | |
| täglich die Welt zu verbessern“, dessen [7][Webseite] der erste Treffer bei | |
| der Googlesuche von „Die Welt verbessern“ ist. Der zweite Treffer ist | |
| [8][Attac Halle], und danach bricht Felix Schwenzel seinen Vortrag [9][„10 | |
| Vorschläge um die Welt zu verbessern“] ab und fängt von vorn an. | |
| Es ist ein unterhaltsamer, manchmal lustiger, manchmal auch kluger Vortrag | |
| über alles Mögliche, aber je länger er dauert, desto zerfranster wird er, | |
| und die achte Sascha-Lobo-Anspielung ist auch nicht besser als der dritte. | |
| Weltverbesserungsideen beruhen fast immer auf Angst und Schuldgefühlen, | |
| lernen wir; dass der gute Wille auch eine schlechte Seite hat, und dass es | |
| in den meisten deutschen Städten unsinnig ist, Wasser zu sparen, weil die | |
| Wasserwerke inzwischen selbst Wasser durch die Rohre jagen, um sie | |
| sauberzuhalten. | |
| „Es gab mal einen brasilianischen Lehrfilm, der die Leute erziehen wollte, | |
| in die Dusche zu pinkeln, um Wasser zu sparen. Das können wir hier auch. | |
| Aber nicht, um Wasser zu sparen“, sagt Schwenzel. Er sagt auch: „Also ich | |
| mag Sascha Lobo ja wirklich gerne, aber das mit dem Pathos ist Quatsch, | |
| glaube ich.“ Und was laut Schwenzel definitiv nicht verkehrt sein kann beim | |
| Weltverbessern: ein Apfelbäumchen pflanzen. | |
| 3. Digits macht wunderbaren Synthpop. Den Auftritt des Kanadiers bei der | |
| Party am Ende kriegt bloß fast niemand mit, weil er drinnen versteckt wird. | |
| 4. Die Katzen der ASCII-Art-Ära waren Kühe. Denn lange vor LOLCats und all | |
| den lustigen Memen der letzten Jahre, ja sogar schon vor dem Internet an | |
| sich, gab es [10][ASCII-Cows]. Sie sind genau so vergessen wie das | |
| [11][„Mr. T Ate My Balls“-Meme] der 90er. Zwei frühe Beispiele vom Panel | |
| [12][„Internet-Meme: Geschichte, Forschungsstand, Kontroversen“]. | |
| Hier wird auch von einer Evolution des Internets als Verbreitungsraum von | |
| Memen (macht euch keine Hoffnung, dass ich hier noch erkläre, was Meme | |
| sind, es gibt Google) gesprochen. In den frühen 90ern musste man immer noch | |
| selbst Webseiten aus selbstgestricktem HTML aufsetzen, wenn man Inhalte | |
| verbreiten wollte, inzwischen gibt es zahlreiche Memräume mit eingebauten | |
| viralen Mechanismen, wie etwa das Retweeten bei Twitter. | |
| Danach geht es noch um Imageboards – auch „Facebook, so ein | |
| Fotosharingforum“ wird erwähnt – und um Meme-Erklärseiten, aber es bleibt | |
| doch alles ein wenig unbefriedigend deskriptiv und lexikalisch. Letztlich | |
| war die Veranstaltung nur eine Art Teaser für das vermutlich Ende Juni | |
| erscheinende [13][Memforschungsbuch] der Referenten. Bis dahin bleibt | |
| erstmal hängen, dass Meme auf finnisch Meemi heißen. | |
| 5. Als der Buchdruck noch ganz neu war, haben eifrige Mönche alle Exemplare | |
| einer Buchauflage nochmal einzeln auf Fehler durchgesehen. Sie konnten das | |
| Konzept, dass diese Bücher automatisch alle gleich aussehen müssen, einfach | |
| nicht nachvollziehen. Ob das wirklich stimmt, weiß [14][Michael Seemann] | |
| zwar nicht, aber seine Geschichte ist so schön, dass sie bitte einfach wahr | |
| sein soll. | |
| Kathrin Passig hatte es schon etwas früher am Tag ausgesprochen: Die | |
| Entscheidung der re:publica-Macher, den Platz für eigene Gespräche zwischen | |
| den Konferenzsälen weitaus größer zu machen als die Räume selbst, ist | |
| richtig. Die besten Dinge hört man eben hier. In der Luft ist jetzt noch | |
| mehr von dem Baumflauschzeug, das … ach, ich google das jetzt einfach mal: | |
| [15][Pappelflaum] ist das also. Danke, Internet. | |
| 6. Adenosin gibt dem Körper das Signal: Du wirst gerade müde. Koffein | |
| unterdrückt Adenosin für eine begrenzte Zeit. In [16][Besser Leben für | |
| Geeks] ging es um Ernährungs- und Lebenstipps im Fahrwasser der | |
| Quantified-Self-Bewegung. Die Informationsdichte von Matthias Bauer ist | |
| enorm hoch: Zucker ist historisch gesehen keine wichtige Energiequelle, die | |
| Pflanzenzucht dafür ist erst in der Neuzeit aufgekommen. Fructose wird | |
| insulinunabhängig verstoffwechselt – in der Leber. Die | |
| Ernähungswissenschaft lag nach dem Zweiten Weltkrieg am Boden, weil die | |
| meisten der führenden Köpfe Deutsche und Österreicher waren – das hat | |
| Folgen bis heute. | |
| Der so gesunde Saft „glücklicher Äpfel von sonnenbeschienen Hängen“ hat | |
| anteilig mehr Fructose als Cola, und fast so viel Zucker. Die Süße von Club | |
| Mate stammt wiederum vom Glucose-Fructose-Sirup – der wird hergestellt aus | |
| Mais- oder Weizenstärke, die wiederum meist aus Monokulturen stammt, von | |
| „gleichgeschalteten einreihigen Zwergmaispflanzen“. „Echtes Getreide“ �… | |
| nicht Reis, Mais, Hirse – „hat kein Interesse vom Menschen gegessen zu | |
| werden“ und wehrt sich mit seinen Klebereiweißen, die bei den meisten | |
| Menschen den Darm angreifen. | |
| Die Kurzfassung: Zucker und Koffein sind nicht gut, Getreide essen ist | |
| Quatsch, Fleisch und Fett sind viel gesünder als ihr Ruf, Massentierhaltung | |
| ist natürlich trotzdem schlecht, und die Menschheit hat durch Monokulturen | |
| und die Abhängigkeit von Kunstdünger mittelfristig ein Riesenproblem. | |
| 7. Im re:publica-WLAN wurden 1,7 Terabyte Daten bewegt. Und es war wirklich | |
| bis zum Ende stabil, was den Technikern den größten Applaus bei der | |
| Abschlussveranstaltung einbrachte. Weitere verlesene Fun Facts beim Finale: | |
| 6.800 verschiedene Geräte waren online auf der re:publica, davon 66,9 | |
| Prozent von Apple. Der Live-Stream-Router der re:publica heißt Regina. Und | |
| 2,5 Kilometer Kabel wurden verlegt, was mir extrem wenig vorkommt. (Edit: | |
| Tage später wurde ich darauf hingewiesen, dass 2,5 Kilometer nur die Länge | |
| der extra verlegten Netzwerkkabel ist. So kommt es hin) | |
| So halssteif die Eröffnung war, so beschwingt ist die Verabschiedung. | |
| Johnny Haeusler kann vermutlich wenig besser als so etwas sonnig | |
| wegmoderieren – vielleicht gerade noch Internetkonferenzen organisieren. | |
| Das haben er und der Rest des Teams dieses Mal jedenfalls wieder unter | |
| Beweis gestellt – egal, wieviel politische Impulse nun konkret von der | |
| re:publica ausgegangen sind. | |
| Was man hier, ein gewisses Interesse an gewissen Themen vorausgesetzt, in | |
| drei Tagen gebündelt an Impulsen bekommt, auch und gerade zu Dingen, von | |
| denen man vorher noch gar nichts wusste, ist großartig. [17][Am Ende singen | |
| dann viele Hundert Menschen gemeinsam „Bohemian Rhapsody“]. | |
| 9 May 2013 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.spiegel.de/netzwelt/web/aufschrei-was-von-der-twitter-aktion-geg… | |
| [2] http://www.youtube.com/watch?v=29tk6vQXV64 | |
| [3] /Netzkonferenz-republica-1-Tag/!115847/ | |
| [4] /Netzkonferenz-republica-2-Tag/!115920/ | |
| [5] http://www.imdb.com/title/tt0113481/?ref_=ttqt_qt_tt | |
| [6] http://de.wikipedia.org/wiki/Stuxnet | |
| [7] http://weltverbessern.net/ | |
| [8] http://www.attac-netzwerk.de/halle/tipps-zum-weltverbessern/ | |
| [9] http://www.re-publica.de/sessions/10-vorschlaege-um-welt-verbessern | |
| [10] http://instinct.org/cows/ascii-cows1.html | |
| [11] http://knowyourmeme.com/memes/ate-my-balls | |
| [12] http://www.re-publica.de/sessions/internet-meme-geschichte-forschungsstand… | |
| [13] http://www.oreilly.de/catalog/internetmemekgger/ | |
| [14] http://mspr0.de/ | |
| [15] http://de.wikipedia.org/wiki/Pappelflaum | |
| [16] http://www.re-publica.de/sessions/richtig-essen-richtig-schlafen-und-lasst… | |
| [17] http://www.youtube.com/watch?v=TAQhxBXbNhE | |
| ## AUTOREN | |
| Michael Brake | |
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