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# taz.de -- „Quantified Self“-Konferenz: Graf Zahl wäre im Paradies
> Brauche ich noch Freunde und wenn ja wie viele? Die
> „Quantified-Self“-Szene trainiert Effizienz durch Beziehungsabbau. Ein
> Ortstermin.
Bild: So ... und Du bist auch nicht mehr mein Freund...
AMSTERDAM taz | Es ist schon so, dass Fabio Santos in dem Konferenzsaal in
diesem Amsterdamer Hotel ein bisschen auffällt, als er mit seinem schwarzen
Anzug und dem weißen Shirt auf der Bühne steht.
Gar nicht, weil er noch nerdiger wäre als die anderen Selbstvermesser, die
sich am Wochenende in den Niederlanden treffen, um sich bei ihrem
europäischen Jahrestreffen auszutauschen. Eher im Gegenteil. Santos, der
aus Brasilien stammt, der Tänzer ist und als Model gearbeitet hat, er legt
den Gedanken des Quantified Self, der Selbstverbesserung durch Zahlen, nur
etwas radikaler aus.
Andere Leute erzählen davon, wie sie ihren Schlaf aufzeichnen, wie sie
ihren Schrittzähler übers Internet mit dem Kühlschrank verbinden, sodass
der sich zur Strafe automatisch ausschaltet, wenn sie nicht genug gelaufen
sind, oder wie sie jahrelang jedes Buch, das sie lasen, in eine Tabelle
eintrugen.
Santos wiederum hat in Rio de Janeiro eine Quantified-Self-Gruppe aufgebaut
und sagt jetzt Sätze wie: „Ich habe gemerkt, dass ich nicht nur mit meinen
Kunden, sondern auch mit meiner Mutter proaktiv kommunizieren sollte.“
Santos vermisst Freundschaften. Im Sinne von: vermessen. Das mag in Zeiten
von Facebook gar nicht so ungewöhnlich erscheinen. Aber wie er da
Tortendiagramme und Balken aufruft, die das Verhältnis zu seinen Bekannten,
zu Freundinnen oder Verwandten in Zahlen übersetzen, wie er dann seine
Indices referiert (Anziehungs-Index, Karriere-Index, Freundschafts-Index),
mit denen er ermittelt, ob sich eine Interaktion für ihn in beruflicher
oder privater Hinsicht noch lohnt, da kommt er einem vor wie ein
McKinsey-Berater, der begonnen hat, sich selbst zu sanieren.
Effizienzgewinne durch gezielten Freundschaftsabbau.
## „Smile More“
Bei 27 Prozent seiner Freunde, mit denen er oft nur 30 Sekunden oder
weniger über soziale Netzwerke agiere, müsse er „wirklich aufpassen“, sagt
Santos. Diesen Prozentsatz möchte er radikal senken. Und stattdessen eben
wieder häufiger mit seiner Mutter reden, proaktiv.
[1][Optimierung des Selbst. Darum geht es in den Konferenzräumen in
Amsterdam.] Manchmal kommt es einem wie eine Selbsthilfegruppe der Anonymen
Alkoholiker vor, wenn da ein paar Menschen im Kreis sitzen und sich
erzählen, wie sie sich mit Tools und Apps und Spezialtricks selbst
überwachen, um sich schlechte Angewohnheiten abzugewöhnen. Einer gibt
„Smile More“ als Passwort in sein Smartphone ein. Ein anderer legt sich
tagsüber immer wieder schlafen, um das schnelle Aufstehen zu üben, wenn der
Wecker klingelt, damit er morgens nicht so lange liegen bleibt.
Und dennoch oder gerade deswegen: Die Quantified-Self-Szene, die unter dem
Motto „Selbsterkenntnis durch Zahlen“ in Kalifornien entstanden ist und
mittlerweile nicht nur in Amsterdam, sondern auch in München, Berlin,
Mailand oder eben Rio de Janeiro ihre Ortsgruppen hat, sie
professionalisiert sich. Länger schon läuft das Geschäft für kleine
Start-ups oder große Konzerne wie adidas oder Nike bei Joggern oder
Fitnessstudiobesuchern, die ihre Herzfrequenz messen, Schritte zählen und
den Kalorienverbrauch. Es kommen spezialisiertere Anwendungen dazu, die die
Muskelermüdung prüfen und dann empfehlen, wie lange man pausieren sollte,
bevor man wieder Gewichte hebt oder laufen geht. Auch so etwas wird in
Amsterdam präsentiert.
Auch in den Medizinmarkt wachsen die Ideen von Quantified Self hinein. Vor
zwei Jahren noch stellte Caspar Addyman auf der Konferenz in Amsterdam eine
App vor, mit der sich Alkoholkonsum festhalten lässt. Was für ein Quatsch,
dachte eine Frau im Publikum, die an Parkinson leidet. Bis sie mit Addyman
auf eine Idee kam, wie man daraus eine Anwendung machen konnte, die
Parkinson-Kranken hilft.
In diesem Jahr demonstrierten die beiden nun ihr Projekt, das von der
britischen Gesundheitsbehörde finanziert wurde. „Quantified Self wird
mittlerweile sehr ernst genommen“, sagt Addyman, der businesspunkige grüne
Haare hat. Er ist damit eine der auffälligsten Figuren auf der Konferenz.
Messgeräte, die in den ersten Jahren noch den Freakfaktor erhöhten, sind
weggeschrumpft. Herzfrequenzmesser etwa trägt man heutzutage bequem wie
eine Uhr am Arm.
12 May 2013
## LINKS
[1] http://quantifiedself.com/amsterdam/
## AUTOREN
Johannes Gernert
## TAGS
Quantified Self
Körperkult
Körper
Amsterdam
re:publica
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