| # taz.de -- Archäologie der Googlegedichte: Vergessliches Netz | |
| > Plötzlich schreibt jeder Google-Gedichte. Dabei sind Suchmaschinen-Poeme | |
| > schon über ein Jahrzehnt alt. | |
| Bild: Google vergisst ... Google vergisst nichts. | |
| Ein Gutes hat der Rechtstreit zwischen Bettina Wulff und Google doch. Er | |
| lenkte aller Augen auf die Autovervollständigungsfunktion der Suchmaschine. | |
| Was die Menschen dann dort als Suchvorschläge sahen, waren nicht nur | |
| ehrabschneiderische Beleidigungen, sondern halbe, ganze Sätze, die mit | |
| etwas Glück recht poetisch daher kommen. | |
| Das ist Spannung, es ist ein Spiel, es macht Spaß. Viele probieren es aus | |
| und teilen die mal banalen, mal bizarren, manchmal tiefgründigen und oft | |
| überraschenden Ergebnisse ihre Suche der Welt [1][zum Beispiel auf Twitter] | |
| mit. | |
| So lange es Google gibt, fragt man sich, warum nicht schon eher jemand | |
| drauf gekommen ist, suchmaschinengestützte Gedichte zu schreiben. Die | |
| Antwort lautet, dass schon jemand die Idee hatte: [2][Frank Sorge] nämlich. | |
| Der Berliner Autor und [3][Vorleser] schreibt schon lange Googlegedichte. | |
| Wie lange? „Ach, so fünf oder sechs Jahre bestimmt“, sagt er. | |
| Doch damit nicht genug. Bald ebenso lange benutzt er die Technik für | |
| Werkstätten zum kreativen Schreiben mit SchülerInnen. „Die | |
| Autovervollständigung ist da nur der Einstieg, der erste Schritt ins | |
| Googlegedicht.“ Nicht vordringlich um Zufallsfunde gehe es, sondern darum, | |
| die [4][Poesie in den Suchergebnissen] zu entdecken, sie zu sortieren, | |
| etwas Eigenes, Neues daraus zu schaffen. | |
| ## Zurück ins Jahr 2001 | |
| Wie er drauf gekommen ist? „Bov Bjerg hat bei meiner Lesebühne so eins | |
| vorgelesen. Und da hab ich's dann einfach selber auch mal gemacht.“ [5][Bov | |
| Bjerg], Schriftsteller und Kabarettist, findet es nicht sonderlich | |
| bemerkenswert, dass die Googlepoesie wieder aufkommt, sondern fragt sich | |
| eher, warum das so lange gedauert hat. | |
| Zu seinen bald 10 Jahre alten Variationen gehörte der [6][übersichtliche | |
| Blogbeitrag] genauso wie das große Dossier „[7][Hitler gegoogelt]“, oder | |
| die, selbstverständlich rein maschinelle, [8][Vertonung der Gedichte]! | |
| Das sind keine per Screenshot festgehaltenen Zufallsfunde, ein sehr | |
| überlegter Aufbau wird deutlich. Ganz flüchtiger Spaß ist absolut kein | |
| Hinderungsgrund, aber er ist hier nicht alles. Bjerg weist noch auf einen | |
| [9][Beitrag der futurzone] des ORF hin. Dort wird die Geschichte der | |
| suchmaschinengenerierten Gedichte sogar bis ins Jahr 2001 zurückverfolgt – | |
| gerade mal 12 Jahre vor der aktuellen Wiederentdeckung der Googlepoesie. | |
| Frank Sorge derweil antwortet auf die Frage, ob er die Methode weiter für | |
| die Schreibwerkstätten oder die Lesebühne verwenden will: „Sicher, wenn | |
| sich die Gelegenheit bietet, immer.“ Sind die Googlegedichte für Bov Bjerg | |
| Vergangenheit? „Nein, abgeschlossen sind Suchmaschinengedichte für mich | |
| nicht. Ich find's aber auch nicht so wahnsinnig interessant, alle zehn | |
| Jahre bei Null anzufangen.“ | |
| Bjerg hat noch Ideen, wie sich aus dem alltäglichen Raunen und Meinen des | |
| Netzes, das sich in den Suchmaschinen spiegelt eine Art Instant | |
| Theaterstück entwickeln ließe. Wann? „Sobald ich Zeit, also Geld habe, mach | |
| ich's.“ Und all die frisch gebackenen Googlepoeten und Twitterer so? Warten | |
| wir die nächste Woche ab – das Netz vergisst offenbar recht schnell. | |
| 28 May 2013 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://twitter.com/search/?q=%23Googlegedicht&s=hash | |
| [2] http://frank-sorge.de/ | |
| [3] http://brauseboys.de/ | |
| [4] http://suchmaschinenpoesie.blogspot.de/ | |
| [5] http://www.bjerg.de/ | |
| [6] http://bov.antville.org/stories/588153/ | |
| [7] http://jungle-world.com/artikel/2004/27/13190.html | |
| [8] http://bov.antville.org/stories/1017260/ | |
| [9] http://www.fuzo-archiv.at/artikel/298590v2 | |
| ## AUTOREN | |
| Daniél Kretschmar | |
| ## TAGS | |
| Gedicht | |
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