# taz.de -- 274. Tag FDLR-Kriegsverbrecherprozess: Asyl für einen Völkermörd… | |
> Der ruandische Exbürgermeister Grégoire Ndahimana, vom | |
> UN-Völkermordtribunal zu 25 Jahren Haft verurteilt, wurde im Kongo von | |
> der FDLR gedeckt. | |
Bild: Weltjustiz: Ein Richter des UN-Völkermordtribunals für Ruanda im Gerich… | |
STUTTGART taz | Grégoire Ndahimana ist ein verurteilter Strafgefangener des | |
UN-Völkermordtribunals für Ruanda. Der ehemalige Bürgermeister der | |
ruandischen Gemeine Kivumu organisierte im April 1994 während des | |
Völkermordes an Ruandas Tutsi mehrere Massaker. | |
Eines davon gehört zu den schlimmsten Einzeltaten des Genozids: Die | |
Zerstörung der Kirche von Nyange per Bulldozer am 15. April 1994 – mit | |
2.000 geflohenen Tutsi darin. Sie wurden bei lebendigem Leibe begraben, | |
viele davon bereits schwerverletzt als Opfer vorheriger Angriffe. | |
Wer überlebte, wurde gejagt und getötet. Ndahimana war einer von mehreren | |
ruandischen Amtsträgern, die diesen Bulldozereinsatz anordnerten. | |
Nach dem Völkermord war Ndahimana einer von Millionen ruandischer Hutu, die | |
aus Ruanda flohen – nach Zaire, später Demokratische Republik Kongo. Er | |
blieb dort und tauchte unter. Das UN-Tribunal (ICTR) stellte Haftbefehl | |
gegen ihn aus als ein Mitglied der höchstrangigen Kategorie gesuchter | |
Völkermordverbrecher; die USA lobten 2008 ein Kopfgeld von 5 Millionen | |
US-Dollar für seine Ergreifung aus. | |
Am 12. August 2009 ging die Meldung um die Welt, Ndahimana sei im Osten der | |
Demokratischen Republik Kongo gefasst worden. Im Rahmen von | |
Militäroperationen gegen die ruandische Hutu-Miliz FDLR (Demokratische | |
Kräfte zur Befreiung Ruandas) habe Kongos Armee ihn gestellt. Er wurde | |
umgehend in UN-Obhut gegeben und an das UN-Tribunal im tansanischen Arusha | |
überstellt. | |
Die Festnahme galt damals als ein selten eindeutiger Beweis für das, was | |
Ruandas Regierung den flüchtigen Hutu-Kämpfern in der FDLR im Kongo seit | |
jeher vorwirft: dass sie Völkermordtäter in ihren Reihen aufgenommen haben | |
und ihnen Schutz bieten. Aber die FDLR dementierte damals, mit Ndahimana | |
irgendetwas zu tun gehabt zu haben. | |
Am ersten Verhandlungstag des Jahres 2015 im laufenden Prozess gegen | |
FDLR-Präsident Ignace Murwanashyaka und seinen 1. Vizepräsidenten Straton | |
Musoni in Stuttgart, am 12. Januar, wird nun Beweismaterial präsentiert, | |
woraus hervorgeht, dass das FDLR-Dementi nicht der Wahrheit entspricht. | |
## „Kennt jemand diesen Mann?“ | |
Murwanashyaka erfährt von Ndahimanas Festnahme in Deutschland noch am Tag | |
der Verkündung, dem 12. August 2009. Er erhält eine E-Mail von einer | |
französischen FDLR-Adresse. „Kennt jemand diesen Mann“, lautet die | |
Betreffzeile. Eine weitere Mail kommt am späten Nachmittag aus Paris von | |
FDLR-Exekutivsekretär Callixte Mbarushimana. „Ich kenne diesen Mann echt | |
nicht“, schreibt er. | |
Zwei Stunden später, kurz vor 19 Uhr, ruft der verantwortliche | |
FDLR-Kommandeur Pacifique aus Nord-Kivu bei Murwaashyaka an. „Er wurde | |
nicht festgenommen“, klärt der Kommandant den Präsidenten auf. „Er hat si… | |
gestellt.“ | |
Und noch eine Stunde später schickt der oberste FDLR-Militärchef im Kongo, | |
Sylvestre Mudacumura, eine SMS an den Präsidenten, in der er über die | |
Festnahme von „Ex-Bürgermeister Grégoire“ informiert. Er sei an das | |
UN-Tribunal überstellt worden. „Die anderen“, beschwert sich Mudacumura, | |
„sollen ebenfalls diese Intention haben, aufgrund des vielen Geldes. Wer | |
lockt sie?“ | |
Murwanashyaka schreibt am nächsten Tag an Mbarushimana in Paris: „Die Leute | |
haben mir gesagt, dass er sich mit einigen Kongolesen wegen der 5 Millionen | |
Dollar verständigt hatte.“ | |
Zuvor an diesem 13. August hat der FDLR-Präsident eine Presseerklärung | |
entworfen. „Grégoire Ndahimana war kein Mitglied der FDLR“, steht da. Er | |
war „ein einfacher Flüchtling“. Außerdem habe er sich freiwillig gestellt, | |
anders als in den Meldungen zu lesen sei. Die Verhandlungen dazu mit den | |
kongolesischen Behörden hätten schon vor Monaten begonnen. | |
Mbarushimana überarbeitet den Entwurf am nächsten Tag: Ndahimana „war nie | |
Mitglied der Strukturen der FDLR und deshalb war er kein Mitglied der | |
Organisation“, heißt es jetzt, etwas sibyllinisch. | |
## „Er war mein Sekretär“ | |
Dann, am Nachmittag des 14. August, ruft Murwanashyaka wieder im Kongo an: | |
bei FDLR-Kader „Santa Maria“, vermutlich Harerimana, der damalige | |
FDLR-Verwaltungschef des Distrikts Rutshuru in der ostkongolesischen | |
Provinz Nord-Kivu, zuständig für alle Zivilisten unter FDLR-Kontrolle in | |
diesem Distrikt. „Ich habe eine Frage an dich“, sagt der Präsident. | |
„Die Person, die festgenommen wurde, gehörte er zu deinen Mitarbeitern? | |
Stimmt es oder nicht?“ | |
„Ja, er war mein Sekretär“, antwortet Santa Maria. | |
„Als er wegging – hat er dir mitgeteilt, dass er gehen will?“ | |
„Nein, er hat uns alle überrascht.“ | |
„Gibt es unter deinen Mitarbeitern andere, die von Arusha gesucht werden?“ | |
„Nein.“ | |
Dann ärgert sich Murwanashyaka, dass Ndahimana ohne vorherige Absprache | |
gegangen ist. „Keiner hätte ihn abgehalten, aber es ist schade, weil der | |
ganze Schmutz auf die Organisation geschoben wird, weil sie sagen, dass wir | |
ihn versteckt haben“, sagt der Präsident. | |
„Jedenfalls“, soMurwanashyaka weiter, „ist die Position der Organisation | |
folgende: Wir kannten diese Person nicht, wir kannten sie in keinen | |
Strukturen, sie ist auch nicht in Kampfhandlungen gefangengenommen worden. | |
Er hat sich gestellt, er war Flüchtling wie jeder andere. Das ist das | |
Communiqué, das morgen veröffentlicht wird. Damit du davon nicht überrascht | |
wirst.“ | |
„Alles klar“, antwortet Santa Maria. | |
Ndahimana wurde übrigens 2011 vom UN-Tribunal in Arusha zu 15 Jahren Haft | |
verurteilt. Im Berufungsverfahren wurde die Strafe im Jahr 2013 auf 25 | |
Jahre erhöht. | |
## Der Schatten von Düsseldorf | |
Ansonsten hat die Weihnachtspause dem Prozess in Stuttgart offensichtlich | |
gutgetan. Die Stimmung im Gerichtssaal ist viel sachlicher geworden, die | |
Konzentration ist höher, es scheint neuer Schwung in die Verhandlung zu | |
kommen. | |
Und neue Verdächtigungen. So beantragt die Verteidigung von Straton Musoni | |
am Ende dieses Tages in einem Antrag, dem sich die Verteidigung von Ignace | |
Murwanashyaka anschließt, den kompletten Senat des Oberlandesgerichts | |
Düsseldorf, der im Dezember 2014 drei FDLR-Mitglieder wegen Unterstützung | |
einer terroristischen Vereinigung verurteilt hatte, als Zeugen zu laden, | |
ebenso die Anwälte der dortigen Angeklagten. | |
Sie sollen beweisen, dass die Angeklagten – die alle geständig waren und | |
daraufhin allesamt anch den Schuldsprüchen des 5. Dezember entweder Haft | |
auf Bewährung oder Haftverschonung erhielten – Falschaussagen machten, um | |
aus der Haft zu kommen. | |
Das Verfahren in Düsseldorf, so Rechtsanwältin Andrea Groß-Bölting, sei | |
„von Unwissenheit geprägt“ gewesen. Eine vertiefte Klärung des | |
terroristischen Charakters der FDLR sei nicht erfolgt, weil die Angeklagten | |
ja geständig waren. Hätten die Angeklagten auf Entlastungszeugen bestanden, | |
hätte die U-Haft fortgedauert. | |
Maßgebliches Beweismittel zur Feststellung des terroristischen Charakters | |
der FDLR sei in Düsseldorf der sogenannte „Annex 18“ des UN-Berichts von | |
2009 gewesen - jener ominöse Befehl der FDLR-Führung an ihre Truppe, eine | |
„humanitäre Katastrophe“ unter der Zivilbevölkerung anzurichten, um den | |
Preis des von Kongos Armee gegen sie geführten Krieges hochzutreiben und | |
die internationale Gemeinschaft dazu zu zwingen, stattdessen Verhandlungen | |
anzustreben. | |
Ob es diesen Befehl tatsächlich gab, ist in vielen Zeugenbefragungen in | |
Stuttgart Thema gewesen, und es liegen darauf unterschiedliche Antworten | |
vor. Die Verteidigung möchte jetzt beweisen, dass „Annex 18“ ein Produkt | |
des ruandischen Geheimdienstes ist und „dass Ruandas Geheimdienst vom | |
Mossad ausgebildet wurde“. | |
Der Antrag enthält eine ausführliche Schilderung des Prozessgeschehens von | |
Düsseldorf aus Sicht der Stuttgarter Verteidigung. FDLR-Präsident | |
Murwanashyaka hört dabei sehr aufmerksam, sehr angestrengt und sehr finster | |
zu. So als sei ihm das alles neu. So als würde er, wenn er denn könnte, den | |
Düsseldorfer Angeklagten ins Gesicht springen – seinen unbotmäßigen | |
Untergebenen, die ihn verraten haben. | |
12 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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