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# taz.de -- FDLR-Kriegsverbrecherprozess vor Abschluss: Das Jüngste Gericht si…
> Seit 2011 läuft in Stuttgart das Verfahren gegen zwei Exilführer der
> ruandischen FDLR-Miliz. Die Beweisaufnahme ist fast abgeschlossen.
Bild: Ignace Murwanashyaka muss sich als mutmaßlicher Kriegsverbrecher vor Ger…
STUTTGART taz | Die Furchen haben sich tief eingegraben in das Gesicht von
Ignace Murwanashyaka. Mit höchster Konzentration beugt sich der 51-jährige
Ruander auf der Anklagebank zu seiner Anwältin Ricarda Lang herüber und
weist sie mit gestrecktem Zeigefinger wieder einmal auf eine sprachliche
Unstimmigkeit in einer Gerichtsakte hin.
Seine Augen stechen durch seine Brille, seine Mundwinkel sind leicht nach
unten verzogen. Nach fast vier Jahren Gerichtsverhandlung beschränkt sich
die Macht des Präsidenten der Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur
Befreiung Ruandas), einer der meistgefürchteten bewaffneten Gruppen in der
Demokratischen Republik Kongo, heute auf geflüsterte Hinweise auf
Übersetzungsfehler.
In sechs Wochen wird der Prozess vor dem 5. Strafsenat des
Oberlandesgerichts Stuttgart gegen Ignace Murwanashyaka und seinen
ehemaligen Vize Straton Musoni wegen Kriegsverbrechen der FDLR im Kongo in
sein fünftes Jahr gehen – falls er dann noch läuft. An diesem Montag geht
er in seinen 292. Verhandlungstag.
An keinem der Prozessbeteiligten ist diese Zeit spurlos vorübergegangen:
Die sechs Richter plus Protokollantin unter dem Vorsitzenden Jürgen
Hettich, der sein verschmitztes Lächeln nur noch selten zeigt; die
wechselnden Vertreter des Generalbundesanwalts unter Oberstaatsanwalt
Christian Ritscher, dessen Gesicht längst nicht mehr so oft rot anläuft wie
anfangs; die Verteidigerteams unter den beiden Pflichtverteidigerinnen der
ersten Stunde, Ricarda Lang und Andrea Groß-Bölting, die im Laufe der Jahre
immer flapsiger auftreten.
Der Saal 6 im OLG Stuttgart, ein weißgetünchter verschachtelter Raum mit
wenig Tageslicht und kaum Frischluftzufuhr, ist zu einer Art Salon mutiert,
wo man sich zweimal wöchentlich trifft und Rituale pflegt; wo man mal
herumalbert oder sich unvermittelt anschreit; wo man auch mal nicht sofort
merkt, dass die Richter mit ihrer üblichen Viertelstunde Verspätung in den
Saal geschlichen kommen.
Es stört ja auch keinen. Die Öffentlichkeit beschränkt sich in der Regel
auf die taz und die Beobachterin eines Konsortiums von
Menschenrechtsorganisationen. Man kennt sich, einschließlich der
Justizbeamten im Saal, der Polizisten an der Sicherheitsschleuse und des
ruandischen Gerichtsdolmetschers. Dass zwei der Anwesenden immer in
Handschellen hereingeführt werden, fällt kaum noch auf.
## Immer mit lila Hemd
Eines hat sich allerdings nicht geändert: Für Murwanashyaka geht es ums
Ganze. Ihm droht lebenslange Haft. Sein Mitangeklagter, der ehemals 1.
FDLR-Vizepräsident Straton Musoni, darf mit neun Jahren rechnen, erklärte
der Bundesgerichtshof im Dezember, als er Musonis Haftbeschwerde ablehnte.
Murwanashyakas Strafe dürfte deutlich darüber liegen, denn die Anklage
gegen ihn ist breiter gefasst.
Anders als Musoni, der schon vor Jahren seinen Austritt aus der FDLR
erklärt hat, ist Murwanashyaka nach wie vor der Präsident seiner
Organisation; erst im vergangenen Dezember wurde er von seinen Truppen im
Kongo im Amt bestätigt. Anders als Musoni, der sich jeden Morgen umguckt
und auch mal dem spärlichen Publikum zunickt, würdigt Murwanashyaka, wenn
er mit großen Aktenstapeln auf den gefesselten Handgelenken in den Saal
geführt wird, niemanden eines Blickes, manchmal nicht einmal seine
Anwältin.
Er trägt ein lila Hemd und einen Rosenkranz um den Hals. Er lässt sich mit
„Dr. Murwanashyaka“ anreden. Wenn seine alten SMS-Nachrichten verlesen
werden und er mit seinen Beanstandungen der Übersetzung fertig ist,
signalisiert er den Richtern durch eine herrschaftliche Handbewegung, dass
sie zur nächsten Textnachricht übergehen dürfen, so als ob er ihnen das
Wort erteilt und nicht umgekehrt. Zumindest auf den paar Quadratmetern um
ihn herum ist er Präsident.
## Reden in der dritten Person
Da sein zweiter Pflichtverteidiger seit fast einem Jahr nicht mehr mitmacht
und Murwanashyaka den vom Senat benannten Nachfolger nicht akzeptiert,
schreibt der Ruander viele seiner Anträge mittlerweile selber, mit
Bleistift, und verliest sie auch in holprigem Deutsch, wobei er Pausen
einlegt, um Fehler mit Radiergummi zu korrigieren. Er spricht von sich
selbst in der dritten Person: „der Angeklagte“. Er spricht manchmal sehr
leise. Wenn sich die Staatsanwälte in ihren roten Roben auf der anderen
Seite des Saals beklagen, sie hätten vieles nicht verstanden, tönt seine
Verteidigerin Lang: „Das sind die Folgen von fünf Jahren Isolationshaft.“
Der FDLR-Präsident sitzt in Stuttgart-Stammheim ein, im einst für die
RAF-Häftlinge errichteten Hochsicherheitstrakt; seit fast einem Jahr
weigert er sich wegen der scharfen Überwachung, jeglichen Besuch zu
empfangen. Für den Ruander, den seine Vertrauten als einen tiefgläubigen
Menschen beschreiben, ist dieser Prozess eine Prüfung, die er durch innere
Stärke überstehen will.
Seit einigen Wochen ist es Murwanashyakas persönliche Vergangenheit, die
der Stuttgarter Senat Revue passieren lässt. Zwei voluminöse Dateien mit
von Murwanashyaka selbst archivierten SMS-Nachrichten aus der Zeit von 2006
bis 2009, einmal aus dem Kongo nach Mannheim und einmal umgekehrt, verlesen
die Richter in Übersetzung, insgesamt wohl einige tausend Textnachrichten.
## "Viele waren bei der Messe"
Es ist wie ein Kriegstagebuch der FDLR: Lageberichte von der Front,
Austausch über Versammlungen und Reisen, Nachrichten über Telefonguthaben
und den Umgang mit Satellitentelefonen. Das Geschehen reicht von 2007, als
die FDLR sich fast täglich Kämpfe mit den kongolesischen Tutsi-Rebellen von
Laurent Nkunda lieferte und von Kongos Armee zum Teil unterstützt wurde,
bis 2009, als Kongos Regierung die Seiten wechselte und gemeinsam mit
Ruandas Regierungsarmee gegen die FDLR kämpfte.
Die Dateien enden kurz vor der Verhaftung der beiden Exilführer in ihren
Wohnungen in Mannheim und Neuffen am 17. November. „Wir grüßen Sie,
Exzellenz“, schreibt ein FDLR-Funktionär aus dem Kongo seinem Präsidenten
in Deutschland am 24. August 2009. „Der Feind hat uns am Sonntag schon
wieder unerwartet besucht. Viele von uns waren bei der Messe. Wir sind
jetzt im Wald.“
Murwanashyakas Schreiben dienen vor allem dazu, die Miliz zu Wachsamkeit
vor dem Feind, Misstrauen gegenüber Freunden und zu innerer Geschlossenheit
anzuhalten. „Wir können den Kongolesen nicht vertrauen, sie planen
gemeinsam mit Kigali, uns zu zerstören“, erklärt der Präsident dem
Oberkommandierenden für Nord-Kivu, General Omega, bereits am 20. November
2008. Zuvor hat er monatelang alle Vermittlungsversuche abgelehnt und immer
wieder gesprächswillige FDLR-Vertreter als Verräter ohne Mandat
gebrandmarkt.
Es gibt Kritik daran in den eigenen Reihen. „95 Prozent der Leute hier im
Exekutivkomitee bezichtigen Sie des radikalen Extremismus“, schreibt der 2.
Vizepräsident Victor Byiringiro am 24. September 2007. Murwanashyaka lässt
sich sechs Tage Zeit mit der Antwort. „Einige von unseren Kollegen sind
müde und denken, dass es eine magische Lösung gibt“, schreibt er. „Mein
Team hier in Europa arbeitet Tag und Nacht.“
## Nicht nur gebetet
Jede von Murwanashyakas Kurznachrichten endet mit den Buchstaben THT –
Abkürzung für „Twese hamwe tuzatsinda“ (Gemeinsam werden wir siegen), eine
alte Parole der Völkermordmilizen aus Ruanda. Oft findet sich vor „THT“ die
Floskel: „Unsere Mutter BM und der Größte Umucunguzi mögen euch beistehen�…
BM steht für „bikira mariya“, die Jungfrau Maria; „Umucunguzi“ ist das
ruandische Wort für Retter und gleichzeitig die Einzahl für die
FDLR-Bezeichnung ihrer eigenen Kämpfer, „Abacunguzi“. Das religiöse
Selbstverständnis wird sehr deutlich. Als Anfang 2009 der Krieg naht,
schreibt Murwanashyaka an General Omega: „Die Dinge werden sich in nächster
Zeit tatsächlich ändern. Aber die Himmlischen werden dabei eine Rolle
spielen. Wir müssen dafür beten.“
Die FDLR hat dann, glaubt man der Anklage sowie allen
Menschenrechtsberichten aus jener Zeit, nicht nur gebetet, sondern vor
allem zahlreiche Verbrechen begangen, aus Rache. Das schwerste war der
Überfall auf das ostkongolesische Dorf Busurungi, das die FDLR in der Nacht
vom 9. zum 10. Mai 2009 dem Erdboden gleichmachte, wobei laut Anklage
mindestens 96 Zivilisten erschossen, erstochen, erschlagen oder zerhackt
wurden.
UN-Berichte, wonach Murwanashyaka in jener Nacht intensiven SMS-Kontakt zu
seinen Generälen vor Ort gehabt habe, lassen sich durch die in Stuttgart
verlesenen SMS nicht erhärten: Immer wieder gibt es Lücken in den Dateien,
die darauf hindeuten, dass Murwanashyaka nicht seinen gesamten Textverkehr
archiviert hat.
Am 16. Mai allerdings schreibt der FDLR-Präsident dem obersten
Militärkommandanten General Mudacumura: „Es ist notwendig, dass ihr uns
eine erschöpfende Liste des erbeuteten militärischen Materials zukommen
lasst, mit Einzelheiten von FARDC, die dort gestorben sind. Damit wir mit
offenkundigen Beweisen dementieren können, dass wir in Busurungi gegen
APR/FARDC (die ruandische/kongolesische Armee) gekämpft haben, und falls
Zivilsten während dieser Kämpfe gestorben sind, dass die Schuld bei den
FARDC liegt.“
## Das Busurungi-Massaker
In einer anderen SMS an General Omega vom 21. April 2008 schreibt der
Präsident: „Machen Sie die Operationen weiter, bis sie oben in Kinshasa
darum bitten, den Krieg einzustellen … Erbeuten Sie so viel Material, wie
es geht.“ Für die Anklage steht fest: Murwanashyaka hätte per Textnachricht
den Krieg beenden können, tat es aber nicht, sabotierte Friedensinitiativen
und verschleierte Verbrechen. Für die Verteidigung steht fest:
Murwanashyaka hatte keine Befehlsgewalt, er erteilte keine Einsatzbefehle,
sondern höchstens Empfehlungen und achtete ansonsten auf die Disziplin.
Vergangene Woche hat die Bundesanwaltschaft auf Anregung des Senats
eingewilligt, das Verfahren in der Mehrheit der Angeklagepunkte
einzustellen. Von ursprünglich 16 Punkten sind jetzt noch viereinhalb
übrig, darunter allerdings die schwersten, wie eben das Massaker von
Busurungi, über dessen Ablauf zahlreiche Zeugen detailliert ausgesagt
haben. Für die Verteidigung ist das schon ein vorweggenommener Sieg, der
zeigt, dass die Beweise in diesem Verfahren insgesamt nicht stichhaltig
sind. Für die Anklage ist es eine Konzentration auf das Wesentliche, die
hilft, einen Schuldspruch auf gesicherte Erkenntnisse zu gründen.
Zu Ostern ist mit der Beweisaufnahme zunächst Schluss, das Ende des
Prozesses ist in Sicht. Ostern war für die FDLR immer besonders wichtig. Im
Schlüsseljahr 2009 veröffentlichte Murwanashyaka eine Osterbotschaft an
„alle Ruander“ mit dem Satz: „Lieber im Kampf sterben als wie ein Hund
leben“. Den „Abacunguzi“ schrieb er: „Die Jungfrau Maria soll für uns
beten, damit wir alle Helden werden.“ Ein paar Wochen später schreibt ihm
jemand aus dem Kongo, manche in der Miliz fänden ihn „zu katholisch“.
Murwanashyaka antwortet: „Man soll für sie beten. Die Zeit wird kommen, wo
sie verstehen werden.“
23 Mar 2015
## AUTOREN
Dominic Johnson
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