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# taz.de -- 255.-263. Tag FDLR-Prozess: Das Verfahren ist verfahren
> Der Stuttgater Prozess gegen die beiden politischen Führer der FDLR
> steckt in Verfahrensgezerre und schlechter Stimmung fest.
Bild: Da war es noch friedlich im Gerichtssaal: rechts Ignace Murwanashyaka mit…
STUTTGART taz | Scheinbar nichts geht mehr im Prozess gegen Ignace
Murwanashyaka und Straton Musoni, Präsident und 1. Vizepräsident der im
Kongo kämpfenden ruandischen Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur
Befreiung Ruandas) vor dem Oberlandesgericht Stuttgart. Durchschnittlich
jeder zweite Verhandlungstag fällt aus, und wenn verhandelt wird, geht
mindestens die Hälfte der Zeit mit prozeduralem Streit, Anträgen und
Unterbrechungen drauf.
Das Beweisprogramm ist zwar „weit fortgeschritten“, wie der Vorsitzende
Richter sagt, und bei normalem Tempo müsste es noch dieses Jahr
abgeschlossen sein - aber so läuft das Verfahren bei höchstens einem
Viertel seines geplanten Tempos, und wie lange das so weitergeht, ist nicht
abzusehen.
Der nach richterlicher Zählung mittlerweile 36. Ablehnungsantrag der
Verteidigung gegen den Vorsitzenden, flankiert durch einen erneuten
Ablehnungsantrag gegen den Senat, hat diese Woche wieder einmal beide
geplanten Termine ausfallen lassen. Der Grund für die Wirren ist der nach
wie vor ungeklärte Streit zwischen dem Hauptangeklagten Murwanashyaka und
dem Senat.
Der FDLR-Präsident fühlt sich unverteidigt, da nach seinem zweiten
Verteidiger Sauer inzwischen auch seine Hauptverteidigerin Ricarda Lang
sich krankgemeldet hat und er den vom Senat ersatzweise bestellten neuen
Pflichtverteidiger Reinhard Engel ablehnt. Der Senat sagt, durch die
Bestellung eines neuen Pflichtverteidigers sei Murwanashyaka sehr wohl
verteidigt - ob der Angeklagte mit dem Verteidiger zusammenarbeitet oder
nicht, sei das Problem des Angeklagten.
## Von Pause zu Pause
Bei jeder Gelegenheit beantragt Murwanashyaka daher inzwischen die
Unterbrechung und Aussetzung des Verfahrens. Pflichtgemäß muss der Senat
dann eine Pause einlegen, um darüber zu befinden. Kommt er zurück und lehnt
eine Unterbrechung ab, was er immer tut, wird eine erneute Unterbrechung
zur Vorbereitung eines neuen Befangenheitsantrags gefordert.
Wenn diese nicht gewährt wird, da dafür die Mittagspause ausreiche, muss
stattdessen die Mittagspause verlängert werden und es kann bis zur Mitte
des Nachmittags dauern, bevor überhaupt eine kontinuierliche Fortsetzung
der Beweisaufnahme möglich ist.
Geht es nach dem Willen der Verteidigung, soll das jetzt ewig so
weitergehen, denn am letzten Verhandlungstag vor den Herbstferien kündigte
Hauptverteidigerin Lang an, dies sei jetzt ihr „letzter Tag“ - und nach
Ende der Herbstferien meldete sie sich krank und ward bis jetzt nicht
wieder gesehen.
## „Rechtsanwalt Engel ist ein Verbrecher“
Die letzten Verhandlungstage vor den Herbstferien hatten Anlaß zu einer
Reihe denkwürdiger Konfrontationen gegeben. Am 13. Oktober verkündete der
Vorsitzende Richter zu Beginn des Tages, Ersatzverteidiger Engel habe sich
krank gemeldet, und nach einigen Sekunden sagte der Berichterstatter des
Senats, Richter Ernst, an Lang gerichtet, er fände es „unangemessen“, dass
„Sie dann lächeln und mit Ihrem Mandanten solche Blicke austauschen“, wenn
ihr Kollege erkrankt sei.
Woraufhin Lang antwortete: „Mein Mandat möchte, dass ich Ihnen mitteile,
Rechtsanwalt Engel sei kein Kollege, sondern ein Verbrecher. Diese
Auffassung teile ich voll und ganz.“ Der Vorsitzende Richter ließ dies
ausdrücklich protokollieren.
Am 20. Oktober beantragte Rechtsanwältin Lang ihre Entpflichtung wegen
„eklatanter Verfahrensverstöße“ durch den Senat und kündigte an, sie wer…
nicht mehr an dem Verfahren teilnehmen und dies sei ihr letzter Tag. Es
folgten zwei Wochen Herbstferien.
Am 3. November eröffnet der Vorsitzende Richter den ersten Verhandlungstag
nach der Herbstpause mit der Mitteilung, Rechtsanwältin Lang habe sich am
Vortag krank gemeldet. Am Stuhl neben ihrem Platz hat Ersatzverteidiger
Engel Platz genommen, also am Tisch, der an den seines Mandanten
Murwanashyaka grenzt. Der schickt Engel allerdings später wieder nach
hinten, auf die letzte Bank im Verteidigerbereich.
Engel „als Mensch“ und „als Gottes Schöpfung“ akzeptiere er, sagt der
FDLR-Präsident, „als Rechtsanwalt nicht, deshalb möchte ich nicht, dass er
hier sitzt.“ Der Vorsitzende dazu: „Sie können ihm dann nicht zum Vorwurf
machen, dass er Sie nicht verteidigt.“
Was Murwanashyaka natürlich trotzdem tut und in einem erneuten Antrag, den
er sicherlich nicht alleine geschrieben hat, erklärt: „Durch die
verfassungswidrige Bestellung von Rechtsanwalt Engel bin ich in meinen
Grundrechten verletzt... der Vorsitzende hat einen rechtswidrigen Zustand
geschaffen.“ Einen ähnlichen, noch weit schärfer formulierten Antrag bringt
die Hauptverteidigerin des zweiten Angeklagten Musoni, Andrea Groß-Bölting,
nach der Mittagspause ein. Sie greift de Vorsitzenden scharf an und spricht
von „Sorge, dass der Vorsitzende den Schutz der eigenen Person über die
Rechte des Angeklagten stellt.“
## Unlautere Zusage an das Gericht?
Hintergrund dieses Vorwurfs ist der Umstand, dass der Bestellung Engels als
Pflichtverteidiger während der 30tägigen Sommerpause offenbar dessen Zusage
an den Senat vorherging, keine Aussetzung des Verfahrens zu beantragen.
Diese hätte nämlich unweigerlich dazu geführt, die Hauptverhandlung wegen
zu langer Unterbrechung komplett neu aufrollen zu müssen.
Die anderen Verteidiger aber sind der Meinung, ein neuer Verteidiger könne
sich nicht mal schnell in 30 Tagen in über drei Jahre Hauptverhandlung und
mittlerweile 199 Aktenordner einarbeiten; sie halten Engel genau wegen
seiner vor seiner Bestellung getätigten Zusage für untragbar und haben
wegen der Zusage eine Klage vor der Anwaltskammer angestrengt.
Engel selbst nimmt das alles gelassen hin, liest während der Verhandlung
die Stuttgarter Zeitung vom Vortag oder studiert Akten, die er mit
Filzschreibern markiert. „Ich sitze hier und muss mich beschimpfen lassen“,
beschreibt er resigniert seine Stimmung in einer Verhandlungspause.
Am 5. November - Lang ist immer noch krankgemeldet - setzt sich das Spiel
fort. Engels sitzt diesmal gleich hinten, nicht mehr neben seinem Mandanten
Murwanashyaka. Der beantragt nach weiterem Hin und Her eine Unterbrechung,
um sich „mit der Anwältin meines Vertrauens“ zu beraten, also Lang. Das
lehnt der Senat ab: Lang habe sich schließlich arbeitsunfähig gemeldet, der
Angeklagte könne stattdessen mit seinem Pflichtverteidiger Engel sprechen.
Darauf folgt ein Ablehnungsantrag gegen den Senat, der die Aussetzung der
folgenden Verhandlungswoche nach sich zieht.
## Murwanashyakas letzte Telefonate
In dem ganzen prozeduralen Wirrwarr geht unter, dass das Beweisprogramm
auch nach über drei Jahren immer noch so manche interessanten Erkenntnisse
zu Tage bringt. Zum Beispiel Gespräche zwischen dem Angeklagten
Murwanashyaka und dem italienischen Pater Matteo Zuppi von der katholischen
Gemeinde Sant‘Egidio kurz vor Murwanashyakas Verhaftung in Mannheim am 17.
November 2009. Am 13. Oktober sprachen die beiden über eine neue
Vermittlungsinitiative Sant‘Egidios zwischen der FDLR und Kongos Regierung.
„Ihre Reise ins Terrain ist immer willkommen“, sagt der FDLR-Präsident dem
Pater. „Es genügt, wenn Sie mir sagen, dass Sie diese oder jene Person
treffen wollen. Ich kann sogar den 2. Vizepräsidenten fragen, der
eigentlich die höchste Autorität im Terrain ist.“
Murwanashyaka macht sich in diesem Gespräch Sorgen über die Haltung der
Regierung des Kongo: „Die Kongolesen haben Angst, weil es heimliche
Abkommen mit Kigali gibt, die sie unterzeichnet haben. Das heißt, wenn sie
mit der FDLR zusammenarbeiten, verstoßen sie gegen diese Abkommen und
Kabila riskiert, getötet zu werden.“
Die UN-Mission im Kongo (Monuc), wirft Pater Matteo ein, müsse die
Sicherheit gewährleisten, wenn eine Sant‘Egidio-Delegation zur FDLR reist.
„Innerhalb der Monuc gibt es viele Leute, die die FDLR verstehen“, sagt
Murwanashyaka dazu.
Nach diesem Gespräch informiert der FDLR-Präsident Murwanashyaka den
FDLR-Militärchef im Kongo, General Sylvestre Mudacumura, per SMS über die
bevorstehende Anreise einer Sant‘Egidio-Delegation. „Das Treffen wird Ende
November stattfinden“, heißt es in einer zweiten SMS einige Tage später.
Es wird dazu nie kommen. Am 17. November 2009 werden Murwanashyaka und
Musoni in Deutschland verhaftet. Zuvor, wie aus weiteren Telefonaten
hervorgeht, hat Pater Matteo vergeblich versucht, den US-Sonderbeauftragten
Howard Wolpe zu überzeugen.
## „In jeder Einheit habe ich Leute“
In einem weiteren Telefonat, eher ein Monolog, gewährt Ignace Murwanashyaka
am 3. Juni 2009 gegenüber seinem Kabinettsdirektor David Mukiza tiefe
Einblicke in sein Amtsverständnis als FDLR-Präsident. „Der Führer, seine
Aufgabe ist, die Einheit der Mannschaft zu gewährleisten. Alles andere ist
Nebensache“, sagt er. Jeder solle seine Arbeit machen und sich auf seine
Aufgabe beschränken.
Murwanashyaka spricht sich gegen eine offenbar zu diesem Zeitpunkt in der
FDLR kursierende Überlegung aus, zum Schein in einen Entwaffnungsprozess
einzuwilligen, um sich zu reorganisieren - „Kamina Zwei“ heißt diese
Überlegung, in Anlehnung an die erste gescheiterte Demobilisierung
ruandischer Hutu-Kämpfer im Kongo 2002. „Ich bin nicht für diese
Vorgehensweise“ sagt er.
Er traut offenbar den Verfechtern dieser Idee nicht und verdächtigt so
manchen Kollegen in der FDLR-Führung, eigentlich einfach abhauen zu wollen:
„Die Leute, die müde sind, kenne ich... Wer auf seiner Meinung beharrt, sag
ihm: Ruf den Präsidenten an, du bis Mitglied im Direktionskomitee, du
kannst selber anrufen, frag ihn selber.“
Der FDLR-Präsident betont auch, was seine Verteidigung in diesem Verfahren
ansonsten immer abstreitet: dass er alles weiß, was seine Kämpfer im Kongo
tun. „In jeder Einheit habe ich Leute, die umgehend nach den Aktionen mich
sofort informieren“, sagt Murwanashyaka. Es seien nicht die
Militärkommandanten im Kongo, die ihn in Deutschland informierten:
„Stattdessen bin ich derjenige, der sie benachrichtigt.“
Und er äußert noch einmal die gedrückte Stimmung, die an der FDLR-Spitze
verbreitet scheint in dieser Zeit Mitte 2009 nach mehreren großen
Militäroperationen gegen sie. „Wir befinden uns in schweren Zeiten in
unserem Kampf, sehr schweren Zeiten. Es ist der Zeitpunkt gekommen, wo
Leute ihre Hoffnung verlieren. Aber wenn diese Zeit zu Ende geht, werden
gute Zeiten kommen.“ An anderer Stelle führt er aus: „Der Kampf wird uns
dort hinbringen, wo wir wollen, aber nur die wenigsten werden dort
ankommen.“
## Massakerdetails plätschern dahin
All diese Dinge werden von den Verfahrensbeteiligten im Stuttgarter
Gerichtssaal kaum gewürdigt - so sehr scheinen sie von den Verfahrensfragen
in Anspruch genommen zu sein. Der Vorsitzende Richter ist von Groß-Böltings
Antrag gegen ihn, in dem sie ihn praktisch der Lüge und des Selbstschutzes
bezichtigt, sichtlich getroffen und findet danach kaum seine Stimme wieder.
Reihum wird dann ein sehr langer Beschluss des Internationalen
Strafgerichtshofs verlesen, in dem es im Allgemeinen um die Niederschlagung
des ICC-Verfahrens gegen FDLR-Exekutivsekretär Callixte Mbarushimana geht
und im Detail in dieser Phase um das Massaker von Busurungi, das die FDLR
in der Nacht zum 10. Mai 2009 verübte und das der Hauptpunkt der deutschen
Anklage ist.
Von aufgeschlitzten Bäuchen von Schwangeren ist die Rede, von aufgespießten
männlichen Genitalien und anderen Greueltaten. Der Gerichtssaal ist
ungerührt.
13 Nov 2014
## AUTOREN
Dominic Johnson
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OLG Stuttgart
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