# taz.de -- 253.-254. Tag FDLR-Kriegsverbrecherprozess: Prozess fast geplatzt | |
> Ignace Murwanashyaka treibt das Verfahren an den Rand des Scheiterns: | |
> seine Hauptverteidigerin ist nicht da. Erst nach einer Woche taucht sie | |
> auf. | |
Bild: Reichen 30 Tage, um sich in mehrere hundert solche Ordner einzuarbeiten? | |
STUTTGART taz | Im Kriegsverbrecherprozess gegen die beiden ruandischen | |
Milizenführer Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni vor dem OLG Stuttgart | |
geht es bei Wiederaufnahme der Verhandlung nach der Sommerpause drunter und | |
drüber. Der Grund sind die Krankmeldungen der beiden Verteidiger des | |
Hauptangeklagten Murwanashyaka, Ricarda Lang und Richard Sauer. | |
Murwanashyaka und Musoni sind der Rädelsführerschaft einer terroristischen | |
Vereinigung angeklagt. In ihrer Funktion als Präsident und 1. Vizepräsident | |
der ruandischen Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung | |
Ruandas) sollen sie außerdem für die von der FDLR begangenen | |
Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Osten der | |
Demokratischen Republik Kongo verantwortlich sein. Seit Mai 2011 wird ihnen | |
in Stuttgart der Prozess gemacht. | |
In Anbetracht der Schwere der vorgeworfenen Verbrechen haben die beiden | |
Angeklagten laut deutscher Strafprozessordnung Anrecht auf jeweils zwei | |
Pflichtverteidiger, die vom Staat bezahlt werden: Wenn einer beispielsweise | |
wegen Krankheit ausfällt, kann der andere theoretisch einspringen. Damit | |
kann das Verfahren auch bei längerem Krankheitsverlauf fortgeführt werden. | |
Das entspricht dem sogenannten Beschleunigungsgrundsatz: Das Verfahren soll | |
so zügig wie möglich durchgeführt werden, um unnötige U-Haftzeiten zu | |
vermeiden. | |
Doch am ersten Verhandlungstag nach der Sommerpause am 15. September sind | |
beide Verteidiger Murwanashyakas krankgeschrieben. Anwalt Sauer ist sogar | |
schon seit Mai nicht im Gerichtssaal anwesend. Offenbar hat er sich auch in | |
der einmonatigen Sommerpause nicht erholt. Zum 15. September meldete sich | |
ebenso Hauptverteidigerin Ricarda Lang krank. FDLR-Präsident Ignace | |
Murwanashyaka sitzt an diesem Tag also praktisch unverteidigt auf der | |
Anklagebank. | |
## „Ich bin ohne Verteidigung“, sagt der FDLR-Präsident | |
„Ich beantrage die Aussetzung des Verfahrens, da ich ohne Verteidigung | |
bin“, sagt Murwanashyaka zu Beginn des Verhandlungstages am 15. September | |
dem Gericht. Er wirkt nicht sehr verstört, eher gut vorbereitet und | |
gefasst. | |
Aber bereits vor der Sommerpause hatte das Gericht einen weiteren | |
Pflichtverteidiger ernannt: Rechtsanwalt Reinhard Engel. Dieser hatte, | |
findet der Senat, während den 30 Tagen Gerichtsferien Zeit, sich in das | |
Verfahren einzuarbeiten. Engel sitzt ebenfalls im Gerichtssaal – jedoch | |
nicht neben Murwanashyaka am Tisch der Verteidigung, sondern ein Stück | |
weiter hinten, noch jenseits von den beiden Verteidigern des zweiten | |
Angeklagten Musoni. | |
Murwanashyaka beschwert sich: „Rechtsanwalt Engel wurde gegen meinen Willen | |
als Pflichtverteidigung benannt. Er kann aber meine Interessen nicht | |
sachgerecht vertreten nach nur 30 Tagen Einarbeitungszeit, dafür ist das | |
Verfahren zu umfangreich“, erklärte Murwanashyaka auf seinem relativ gutem | |
Deutsch. Er beantragt, Engel als Zeugen zu laden, damit er bestätigen | |
könne, dass er nicht eingearbeitet sei. „Ich wünsche keinen Kontakt zu dem | |
Anwalt“, sagt Murwanashyaka. | |
Damit war das Dilemma für den Senat komplett. Denn der Vorsitzende Richter | |
Wolfgang Hettich konnte den Verhandlungstag 15. September nicht einfach | |
ausfallen lassen, in der Hoffnung, Frau Lang werde am folgenden | |
Verhandlungstag 17. September wieder erscheinen. Denn die | |
Strafprozessordnung sieht eine maximale Aussetzung der Hauptverhandlung von | |
30 Tagen vor, dann muss der Prozess weiter gehen - oder ganz von vorne neu | |
aufgerollt werden. Nach den Sommerferien zwischen 15. August und 15. | |
September sind diese 30 Tage bereits ausgeschöpft. | |
Droht der erste Prozess nach dem 2002 in Deutschland eingeführten | |
Völkerstrafgesetzbuch, das das deutsche Strafrecht an das Rom-Statut des | |
Internationalen Strafgerichtshofs anpasst, jetzt wegen | |
verfahrenstechnischer Hürden zu platzen? Der mittlerweile seit fast | |
dreieinhalb Jahren andauernde Prozess nähert sich eigentlich dem Ende. | |
Derzeit werden noch einige Zeugen aus Ruanda geladen, die meisten sind | |
ehemalige Offiziere und Funktionäre der FDLR, die bereits schon einmal | |
ausgesagt haben. | |
Immerhin, es ist ein umfangreiches Verfahren, das sich mit den komplexen | |
Kriegsverhältnissen weit weg im kongolesischen Dschungel auseinandersetzt. | |
Murwanashyaka hat sich mehrfach beschwert, dass es ihm unter den | |
Aktenbergen, die angeblich bis unter die Decke reichen, in seiner Zelle in | |
der Haftanstalt Stammheim zu eng werde. Digital umfassen allein die | |
Beweismittel mehrere Terrabyte Speicherplatz. | |
## Tauziehen im Gerichtssaal | |
Nach Beratung beschließt der Senat, den Antrag Murwanashyakas auf | |
Aussetzung des Verfahrens abzulehnen, aus Fürsorgepflicht. Stichwort: | |
Beschleunigungsgrundsatz. Es müsse vorangehen. Engel sei ein erfahrener | |
Anwalt und das Verfahren könne vorerst auf das Wesentliche beschränkt | |
werden, so Hettich. Rechtsanwalt Engel bleibe damit Verteidiger. Basta. | |
Murwanashyaka versucht sich zu wehren. Er fordert eine Unterbrechung, um | |
einen Antrag vorzubereiten, was Richter Hettich vorerst ablehnt, da er mit | |
dem Verfahren jetzt fortfahren möchte. Dann will Murwanashyaka dem | |
Beweisprogramm widersprechen. Wieder muss der Senat sich zum Beschluss | |
zurückziehen. Wieder lehnt er es ab. Erst dann kann es richtig losgehen. | |
Im Folgenden werden einige Übersetzungsfehler bei beweisrelevanten | |
Dokumenten wie dem Statut der FDLR/FOCA-Militärodnung mit Hilfe einer | |
Übersetzerin durchgekaut. Doch dann wird der Prozess erneut unterbrochen. | |
Musonis Verteidigerin Andrea Groß-Bölting kommt Murwanashyaka zu Hilfe. | |
Sie nutzt die Mittagspause, um neue Anträge zu schreiben. Nach der | |
Mittagspause beantragt sie, den Vorsitzenden Richter Hettich wegen | |
Befangenheit abzulehnen, da er trotz Murwanashyakas Einwände das Verfahren | |
vorantreibt: Damit sei die Unparteilichkeit und Unabhängigkeit des Senats | |
fraglich, daher gebe es die Besorgnis der Befangenheit. Murwanashyaka habe | |
offensichtlich keine Verteidigung, damit werde gegen die Rechte des | |
Angeklagten verstoßen, so Groß-Bölting. | |
Auch sie und ihren Mandanten Musoni würde eine eventuelle Aussetzung des | |
Verfahrens betreffen. Musonis Prozess müsste abgetrennt werden - das wurde | |
vor der Sommerpause bereits einmal beantragt, aber vom Senat abgelehnt. | |
Oder er müsste gemeinsam mit dem von Murwanashyaka von vorne aufgerollt | |
werden, mit einem neuen Senatsvorsitzenden. | |
Damit würden sich die U-Haftzeiten für die beiden Angeklagten verlängern, | |
da das Verfahren womöglich erneut Jahre dauern würde. Sollte das Urteil die | |
beiden mit Höchststrafe zu lebenslänglich verknacken, wäre das jedoch egal | |
- die U-Haftzeiten werden angerechnet. Viel zu verlieren gäbe es für die | |
beiden Angeklagten nicht mehr, wenn sie erst nach noch mehr Jahren Prozess | |
verurteilt werden würden. | |
## Ein abgekartetes Spiel? | |
Der ganze Ablauf des Verhandlungstages lässt die Frage aufkommen, ob dies | |
nicht ein abgekartetes Spiel ist, das Verfahren an die Wand zu fahren. | |
Solche Trickspiele kennt man aus Murwanashyakas politischen Spielchen als | |
FDLR-Präsident. Aus einer vermeintlichen Schwächeposition eine Stärke zu | |
machen – das ist Murwanashyaka Handschrift. | |
Wieder muss der Senat sich zurückziehen. Als die fünf Richter zurückkehren, | |
erklären sie, dass per Vorsitzendenanordnung das Verfahren fortgeführt | |
werden soll, bis über den Befangenheitsantrag beschlossen wurde. In diesem | |
Fall müssen die übrigen vier Richter über den Vorwurf der Befangenheit von | |
Hettich entscheiden. Dies werde zwischen den Gerichtstagen geschehen. | |
Erst einmal geht es weiter mit den zermürbenden Übersetzungsdiskussionen. | |
Vorsitzender Hettich muss sich sputen. An diesem Tag muss noch etwas | |
Ordentliches und Prozessrelevantes behandelt werden, sonst macht er sich | |
verdächtig ein Scheinverfahren zu halten, nur um die 30 Tage Regelung nicht | |
zu überschreiten. | |
Zum Ende gibt sich Richter Hettich zumindest vorübergehend geschlagen: Den | |
Prozesstag 17. September setzt er aus. So ist 22. September der nächste | |
reguläre Verhandlungstag. | |
Da ist erstmal alles wieder im Lot. Verteidigerin Lang ist erschienen, | |
offenbar gesund genug, um den aus Ruanda geladenen Zeugen zu vernehmen. | |
Aber dazu kommt es bis zur Mittagspause nicht. Wieder zieht | |
Verfahrensstreit die Verhandlung in die Länge. Ricarda Lang sagt, sie sei | |
zeitlich und gesundheitlich nicht in der Lage, ihren neuen Kollegen Engel | |
einzuarbeiten. Es bleibt spannend. | |
22 Sep 2014 | |
## AUTOREN | |
Simone Schlindwein | |
## TAGS | |
FDLR | |
Kongo-Kriegsverbrecherprozess | |
OLG Stuttgart | |
Ignace Murwanashyaka | |
Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess | |
OLG Stuttgart | |
OLG Stuttgart | |
FDLR | |
FDLR | |
FDLR | |
FDLR | |
FDLR | |
FDLR | |
FDLR | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
273. Tag FDLR-Kriegsverbrecherprozess: Die Weihnachtsansprache | |
FDLR-Vizepräsident Straton Musoni betont zum Abschluss des letzten | |
Verhandlungstages 2014 noch einmal seine und Murwanashyakas Unschuld. | |
264.-271. Tag FDLR-Kriegsverbrecherprozess: Als die FDLR Ruanda angriff | |
Der letzte Zeugenauftritt eines Ex-FDLR-Kämpfers führt tief in die | |
Geschichte zurück, findet aber in einem sich ständig wiederholenden | |
Verfahrensstreit statt. | |
255.-263. Tag FDLR-Prozess: Das Verfahren ist verfahren | |
Der Stuttgater Prozess gegen die beiden politischen Führer der FDLR steckt | |
in Verfahrensgezerre und schlechter Stimmung fest. | |
57.-59. Tag FDLR-Unterstützerprozess: „Die taz ist wie BILD“ | |
Die von der taz veranlasste Sperrung der FDLR-Homepage war 2009 eines der | |
Themen, über die sich Sympathisanten mit ihrer Führung austauschten. | |
234.-252. Tag FDLR-Kriegsverbrecherprozess: Der Bundesrichter erinnert sich | |
Vor der Sommerpause 2014 werden frühere Zeugenaussagen überprüft. Und der | |
Richter, der die Angeklagten 2009 als Erster vernahm, sagt aus. | |
Ultimatum an ruandische Miliz im Kongo: Gnadenfrist für die FDLR | |
Im Oktober wollen die Staaten der Region der Großen Seen entscheiden, ob | |
sie die ruandische Hutu-Miliz FDLR mit Gewalt zur Entwaffnung zwingen. | |
230-233 Tag FDLR-Kriegsverbrecherprozess: 500 Stockschläge Strafe | |
Die Zweitvernehmung eines Ex-Majors ergibt nur am Rande neue Erkenntnisse. | |
Zum Beispiel über das Ausmaß körperlicher Bestrafung. | |
229. Tag FDLR-Kriegsverbrecherprozess: Die Staatsanwältin | |
Kongolesische Opfer der FDLR wurden vor diesem Prozess von Deutschen | |
vernommen. Die zuständige Staatsanwältin beschreibt die Umstände. | |
Drei Jahre FDLR-Kriegsverbrecherprozess: Im Dschungel der Beweismittel | |
Der Prozess gegen die beiden ruandischen FDLR-Milizenführer in Stuttgart | |
geht in sein viertes Jahr. Eine Zwischenbilanz. |