| # taz.de -- 230-233 Tag FDLR-Kriegsverbrecherprozess: 500 Stockschläge Strafe | |
| > Die Zweitvernehmung eines Ex-Majors ergibt nur am Rande neue | |
| > Erkenntnisse. Zum Beispiel über das Ausmaß körperlicher Bestrafung. | |
| Bild: Werden brachial bei Stange gehalten: FDLR-Kämpfer. | |
| STUTTGART/BERLIN taz | Wenn ein Soldat der im Kongo kämpfenden ruandischen | |
| Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) Straftaten | |
| begeht, kommt er vor ein Militärgericht. „Mord“, „Totschlag“, | |
| „Körperverletzung“ steht als erstes auf der Liste der „Vergehen gegen die | |
| menschliche Person“ im Militärstrafgesetzbuch der FDLR, das während der | |
| zweiten Vernehmung eines der wichtigsten Zeugen im Prozess gegen | |
| FDLR-Präsident Ignace Murwanashyaka und seinen Vize Straton Musoni vor dem | |
| OLG Stuttgart auf eine Leinwand gebeamt wird. | |
| Danach wird es abenteuerlicher. Artikel 8 des Kodex betrifft „Folter“, | |
| danach kommt „Vergiftung“ und schließlich „Aberglaube“. Und als nächs… | |
| wird aufgelistet: „Vergewaltigung“, „Abtreibung“ und „Kindesmord“. | |
| Major R, ein ehemaliger Kommandant der FDLR-Militärpolizei, hat selber ein | |
| Militärstrafgesetzbuch nach Stuttgart mitgebracht. „Ja, es wurde | |
| umgesetzt“, bestätigt er. Er war ja selbst Ankläger in Militärgerichten. | |
| Major R ist schon einmal in Stuttgart als Zeuge aufgetreten, im Oktober | |
| 2012. Anderthalb Jahre später, im Mai 2014, erinnert er sich zuweilen | |
| anders als damals, was irgendwann einen Richter auf die Palme bringt. Die | |
| Vernehmungen ehemaliger FDLR-Kämpfer in diesem Prozess waren zu Beginn des | |
| 2011 begonnenen Hauptverhandlung oft nicht lang genug, damit auch die | |
| Verteidigung ihr Fragerecht voll ausüben konnte. Daher müssen sie nochmal | |
| geladen werden - Jahre später. | |
| Ob das zur Wahrheitsfindung beiträgt? Major R ist jedenfalls souverän | |
| genug, um das alles zu durchschauen. | |
| ## Lapidare Antworten | |
| „Ist Ihnen eine Person namens Amani bekannt?“ fragt Murwanashyakas | |
| Verteidigerin Ricarda Lang. | |
| „Ja“, antwortet R. | |
| „Verbinden Sie mit ihm außergewöhnliche Ereignisse?“ | |
| „Ja“, antwortet R. | |
| „Welche?“ | |
| „Viele“, antwortet R und grinst. | |
| R‘s lapidare Art verrät viel, auch wenn er vielen Fragen einfach ausweicht. | |
| Er ist auch einer der wenigen Zeugen, die sichtlicht unbeeindruckt sind, | |
| wenn Ignace Murwanashyaka - immerhin sein ehemaliger Präsident - selbst | |
| Fragen stellt. Murwanashyaka sagt, ihm sei vorgeworfen worden, er habe bei | |
| einer seiner Reisen aus Deutschland zur Truppe im Kongo zwei | |
| rückkehrwillige FDLR-Leutnants zu je 500 Stockschläge verurteilt, und einer | |
| sei daran gestorben. „Ist Ihnen dieser Vorfall bekannt?“ fragt er, | |
| sekundiert von seiner Verteidigerin. | |
| „Meiner Meinung nach ist es eine Lüge“, antwortet R. „Nach all unseren | |
| Gesetzen gab es keine Strafe von 500 Stockschlägen. Die Höchststrafe war | |
| 300.“ Die Richter auf der Richterbank gucken sich verblüfft an. | |
| ## Unleserliches Militärstrafgesetzbuch | |
| Später wird über die Bedeutung verschiedener Anzahlen von Stockschlägen | |
| weiter diskutiert. Das führt zu viel Verwirrung. Irgendwann nämlich sagt R, | |
| es sei doch möglich gewesen, eine Strafe von 500 Stockschlägen zu vergeben. | |
| Aber nur im alten Strafgesetzbuch - nicht mehr im neuen, vom Februar 2005. | |
| Was mit weniger als 150 Stockschlägen bestraft wird, ist eine | |
| „Ordnungswidrigkeit“, darüber ist es eine „Straftat“, versucht ein | |
| Vertreter der Bundesanwaltschaft an einer anderen Stelle die Verwirrung | |
| aufzulösen. Was das bringen soll, bleibt offen. Eigentlich geht es darum, | |
| dass die eingeführten Kopien von Artikeln des Militärstrafgesetzbuches | |
| schwer lesbar sind, und es gibt von dem Kodex unterschiedliche Versionen. | |
| „Sie brauchen nicht verzweifelt zu versuchen, etwas zu erkennen, wenn Sie | |
| das nicht lesen können“, suggeriert der Vorsitzende Richter Hettich | |
| schließlich. „Ich kann das nicht lesen“, sagt R. | |
| ## „Unerhört!“ | |
| So verläuft die Befragung oft während dieser vier Tage: erst verheddert sie | |
| sich in Missverständnissen, dann verläuft sie im Sande, dann beschließt der | |
| Zeuge, dass er sich eigentlich nicht erinnern kann, oder die Beteiligten | |
| beschließen, dass ihnen die Antworten nicht weiterhelfen. | |
| „Diesem Zeugen halte ich gar nichts mehr vor“, sagt ein Richter schließlich | |
| genervt. „Mir reichen seine Widersprüche voll und ganz.“ Einer der | |
| Bundesanwälte fordert sogar, den Zeugen zu entlassen, weil er nichts zur | |
| Wahrheitsfindung beiträgt. | |
| „Das dürfen Sie nicht ernst nehmen“, sagt Ricarda Lang ihrem Mandanten | |
| Ignace Murwanashyaka. „Unerhört!“ findet das der Bundesanwalt. | |
| „Es reicht mir hier jetzt langsam“, sagt später die Verteidigerin. „Uns | |
| auch“, erwidert der Bundesanwalt. Es ist der Nachmittag des 21. Mai. | |
| Wenig später ist diese Zeugenvernehmung beendet. Und der Prozess gegen | |
| Murwanashyaka und Musoni quält sich allmählich seinem Ende entgegen. | |
| 13 Aug 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Dominic Johnson | |
| ## TAGS | |
| FDLR | |
| Ignace Murwanashyaka | |
| Kongo | |
| OLG Stuttgart | |
| Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess | |
| FDLR | |
| FDLR | |
| FDLR | |
| FDLR | |
| FDLR | |
| Kongo | |
| FDLR | |
| FDLR | |
| FDLR | |
| Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| 255.-263. Tag FDLR-Prozess: Das Verfahren ist verfahren | |
| Der Stuttgater Prozess gegen die beiden politischen Führer der FDLR steckt | |
| in Verfahrensgezerre und schlechter Stimmung fest. | |
| 253.-254. Tag FDLR-Kriegsverbrecherprozess: Prozess fast geplatzt | |
| Ignace Murwanashyaka treibt das Verfahren an den Rand des Scheiterns: seine | |
| Hauptverteidigerin ist nicht da. Erst nach einer Woche taucht sie auf. | |
| 234.-252. Tag FDLR-Kriegsverbrecherprozess: Der Bundesrichter erinnert sich | |
| Vor der Sommerpause 2014 werden frühere Zeugenaussagen überprüft. Und der | |
| Richter, der die Angeklagten 2009 als Erster vernahm, sagt aus. | |
| Ultimatum an ruandische Miliz im Kongo: Gnadenfrist für die FDLR | |
| Im Oktober wollen die Staaten der Region der Großen Seen entscheiden, ob | |
| sie die ruandische Hutu-Miliz FDLR mit Gewalt zur Entwaffnung zwingen. | |
| 229. Tag FDLR-Kriegsverbrecherprozess: Die Staatsanwältin | |
| Kongolesische Opfer der FDLR wurden vor diesem Prozess von Deutschen | |
| vernommen. Die zuständige Staatsanwältin beschreibt die Umstände. | |
| Massaker im Kongo: UNO hofiert Kriegsverbrecher | |
| FDLR-Oberst André Kalume befehligte vor fünf Jahren eines der schlimmsten | |
| Massaker im Kongo. Jetzt flog ihn die Uno als Unterhändler um die Welt. | |
| 226.-227. Tag FDLR-Kriegsverbrecherprozess: „Ignace, wir müssen reden“ | |
| Wie der Präsident und der Vizepräsident der FDLR sich am Telefon streiten | |
| und entfremden, wenige Monate vor ihrer Verhaftung. | |
| 224.-225. Tag FDLR-Kriegsverbrecherprozess: Musoni gibt Geschichtsunterricht | |
| Der 1. Vizepräsident der FDLR erläutert vor Gericht die Entstehung und | |
| Struktur seiner Miliz – und die lähmenden Machtkämpfe der frühen Jahre. | |
| 220-223 Tag FDLR-Kriegsverbrecherprozess: „Alle Häuser waren angezündet“ | |
| Ein ehemaliger hochrangiger Milizenkommandant schildert, wie die FDLR das | |
| kongolesische Dorf Mianga dem Erdboden gleichmachte. | |
| 99.-102. TAG KONGO-KRIEGSVERBRECHERPROZESS: Die Machtkämpfe in der FDLR | |
| Ja, FDLR-Soldaten hatten Macheten, bestätigt ein Ex-Kommandant ihrer | |
| Militärpolizei. Aber Präsident Murwanashyaka habe eine gemäßigte Linie | |
| vertreten. |