# taz.de -- 224.-225. Tag FDLR-Kriegsverbrecherprozess: Musoni gibt Geschichtsu… | |
> Der 1. Vizepräsident der FDLR erläutert vor Gericht die Entstehung und | |
> Struktur seiner Miliz – und die lähmenden Machtkämpfe der frühen Jahre. | |
Bild: Straton Musoni vor Gericht, hier zu Prozessbeginn 2011. | |
BERLIN/STUTTGART taz | Straton Musoni, der 1. Vizepräsident der FDLR | |
(Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas), ist beim Oberlandesgericht | |
Stuttgart gesprächiger als sein Mitangeklagter, FDLR-Präsident Ignace | |
Murwanashyaka. Während letzterer grundsätzlich keine Aussagen macht, | |
allerdings sein Fragerecht an die Zeugen wahrnimmt, verzichtet Musoni auf | |
Fragen an die Zeugen, macht aber Aussagen. | |
Bereits vergangenes Jahr hatte Musoni in einer persönlichen Einlassung | |
ausführlich seinen Werdegang geschildert. Am 7. und 9. April setzt er dies | |
mit einer ausführlichen Schilderung der Geschichte der FDLR fort, auf die | |
eine vertiefte Diskussion um die genaue Machtverteilung zwischen | |
politischem und militärischem Flügel sowie um Machtkämpfe innerhalb der | |
ruandischen Hutu-Miliz folgt. | |
Musoni illustriert seine Geschichtsstunde mit Schaubildern und geht | |
chronologisch vor. Erstens: Die Zeit vor der FDLR-Gründung 2000. | |
## „Forces Spéciales“ in Kabilas Armee | |
Damals kämpften die ruandischen Hutu-Soldaten im kongolesischen Exil - die | |
aus Ruanda geflohenen Angehörigen der Armee FAR, die 1994 den Völkermord an | |
den Tutsi mitverübte - in Kongos Regierungsarmee für Kongos Präsident | |
Laurent-Désiré Kabila im „großen Kongokrieg“ gegen Ruanda und ruandisch | |
unterstützte Rebellen im Ostkongo. | |
Sie waren organisiert als „Forces Spéciales“ an der Kriegsfront, die sich | |
mitten durch den Kongo zog, und waren „abhängig von der Armee Kongos“ - | |
aber mit eigener Verwaltung. Ihr Generalstabschef war Tharcisse Renzaho, | |
während des ruandischen Genozids Gouverneur von Kigali und heute beim | |
UN-Ruanda-Tribunal verurteilt und inhaftiert. | |
Zweitens: Im Mai 2000 wurde die FDLR gegründet. Nicht, wie sie selbst | |
damals behauptete, in Ruanda, sondern im kongolesischen Lubumbashi; Musoni | |
und Murwanashyaka waren dabei. Generalstabschef Renzaho wurde | |
Exekutivsekretär und Vizepräsident. | |
Der Kommandeur der Forces Spéciales, General Aloys Ntiwirigabo - während | |
des ruandischen Völkermordes Leiter des Militärgeheimdienstes in Ruanda - | |
wurde FDLR-Präsident. Murwanashyaka wurde Kommissar für auswärtige | |
Angelegenheiten und Musoni Vertreter des „Regionalen Widerstandskomitees“ | |
in Europa. | |
„Ntiwiragabo kontaktierte Politiker im Ausland“, schildert Musoni, wie er | |
damals nach Lubumbashi kam. „Die Einladung bekam ich via Murwanashyaka, er | |
bat mich mitzugehen. Die Reisekosten wurden durch die Armeeführung | |
erstattet, die uns sagte, dass die Regierung von Kongo uns unterstützt“. | |
Murwanashyaka habe ein Jahr in Kinshasa verbracht. „Ich war 2001 im Kongo, | |
die Kosten wurden von der Regierung des Kongo getragen.“ | |
## Zivile Politiker rücken in die Führung nach | |
Drittens: Im Oktober 2000 rücken zivile Politiker in die FDLR-Führung auf. | |
So wurde Jean-Marie Vianney Higiro aus den USA Vizepräsident. | |
Viertens: Die FDLR hat damit eine neue Struktur: „drei politische und drei | |
militärische Führer“. Zwei Präsidenten - Ignace Murwanashyaka (Zivilist) | |
und Aloys Ntiwiragabo (Militär). Zwei Vizepräsidenten - Jean-Marie Vianney | |
Higiro (Zivilist) und Paul Rwarakabije (Militär). Zwei Exekutivsekretäre: | |
Félicien Kanyamibwa (Zivilist) und Tharcisse Renzaho (Militär). „Man sagte, | |
es gibt zwei Präsidenten, einen internen und einen externen“, schildert | |
Musoni das; „das hat kein Mensch so richtig verstanden. Spätestens ab | |
diesem Zeitpunkt gab es große Probleme bei der Teilung zwischen Zivilisten | |
und Militär.“ | |
Ab 2003 war schließlich nur noch Murwanashyaka Präsident. „Die FDLR war ab | |
2003 unerwünscht“ im Kongo, erinnert sich Musoni: zuvor hatte Kongos | |
Regierung in Vereinbarung mit Ruanda versucht, die ruandischen | |
Hutu-Soldaten zu repatriieren und sie auf der Luftwaffenbasis Kamina | |
gesammelt, wo sie meuterten und sich unter Führung des späteren | |
FDLR-Militärchefs Sylvestre Mudacumura nach Ostkongo zu den dortigen | |
Hutu-Milizionären in den Wäldern durchschlugen. | |
## Putschversuch gegen Murwanashyaka in Holland | |
Fünftens: Ab Ende 2003 gab es viele Änderungen und 2004 entstand die | |
Struktur der FDLR, wie sie bis 2009 Bstand hatte. Rwarakabije desertierte | |
und ging zurück nach Ruanda, sein Nachfolger als 2. Vizepräsident wurde | |
Rumuli (Gaston Iyamuremye, der heutige faktische FDLR-Präsident). Vianney | |
Higiro „wollte Präsident werden und versuchte einen Putsch gegen | |
Murwanashyaka, wodurch er das Amrt des Vizepräsidenten verlor; nach dem | |
Putsch wurde ich Vizepräsident“, erinnert sich Musoni. Sein Amr bekam er | |
provisorisch am 4. Juni 2004; gewählt wurde er erst später. | |
„Ich war auf der Versammlung in Holland, wo es den Putschversuch gab“, sagt | |
Musoni. „Es wurde diskutiert, Murwanashyaka abzusetzen und Higiro ins Amt | |
zu bringen... Es wurde eine Versammlung in Frankreich gemacht als | |
Kontraversammlung.“ Später sagt er aber, das sei in Brüssel gewesen, und es | |
gibt auch Vrwirrung darüber, ob das Treffen in Holland in Amsterdam oder | |
Utrecht stattfand. | |
„Etwa eine Woche wusste man nicht, wer der Präsident war“, sagt Musoni. | |
„Murwanashyaka war bereit, aufzugeben, wenn die Amt und das Comité | |
Directeur im Kongo den Putsch akzeptiert wähtten, aber die Armee lehnte den | |
Putsch ab.“ Später heißt es, sechs Monate lang sei die Organisation während | |
dieses Machtkampfes handlungsunfähig gewesen. | |
Murwanashyakas Kritiker warfen ihm damals vor, weiterhin in Kontakt mit dem | |
nach Ruanda desertierten Paul Rwarakabije zu stehen. Das Oberkommando unter | |
Mudacumura und auch Rumuli stellten sich aber hinter Murwanashyaka und | |
setzten durch, dass er im Amt blieb. | |
Sechstens: Die Statuten und Texte der FDLR entstehen ab 2004. Das Comité | |
Directeur (CD) besteht 50:50 aus Politikern (Comité Exécutif) und Militärs | |
(FOCA), tagt aber „nur alle sechs Monate“ und erstmals erst 2006, als | |
Murwanashyaka im Kongo war. „Nach dem Putsch“ (von 2004) war die Situation | |
chaotisch und ohne Vertrauen“, erinnert sich Musoni. | |
## Warum 2005 die Rom-Verhandlungen scheiterten | |
So war es auch nicht möglich, die Rom-Verhandlungen - als im Februar 2005 | |
unter Leitung der katholischen Gemeinde Sant‘Egidio ein nie umgesetzter | |
Plan zur freiwilligen Beendigung des Krieges der FDLR entwickelt wurde - | |
praktisch umzusetzen. | |
Bei diesen Verhandlungen spielte Musoni eine aktive Rolle, erklärt er: „Ich | |
war zuständig, wer und wieviele in Rom teilnehmen werden. Ich habe mit | |
Mudacumura oft telefoniert, wer kommen wird, und mit Murwanashyaka sowieso. | |
Am Ende wurde eine Delegation für Rom zusammengestellt von Mudacumura, er | |
gab mir die Namen, Murwanashyaka und ich haben die Namen zusammengetragen: | |
Murwanashyaka, ich, Hakizarera Christophe, der Name des Exektuvisekretärs | |
fällt mir nicht ein - er war aus Belgien - aus Kongo kamen der | |
Vizekommandeur, es waren drei bis vier Personen.“ | |
Aber „es gab kein Gremium, das den Rom-Prozess begleitet hat. Das Militär | |
und die Politik waren immer getrennt in der Frage.“ | |
In der Befragung wird nun darüber diskutiert, wer denn Entscheidungen zum | |
Rom-Prozess hätte fällen können. „Wenn das oberste Entscheidungsgremium, | |
der Nationalkongress, eine Entscheidung getroffen hätte: Wir legen die | |
Waffen nieder und gehen in Würde nach Ruanda zurück - wäre das Militär | |
daran nicht gebunden gewesen?“ fragt ein Richter. | |
„Das wäre eine Empfehlung an die Armee gewesen“, antwortet Musoni. „Da s… | |
50% im Kongress haben, wäre die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie auch | |
mitmachen. Aber die Entscheidungen waren nicht bindend.“ | |
„Haben Sie das Ihren Verhandlungspartnern in Rom gegenüber offengelegt?“ | |
wird er gefragt. „Haben Sie ihnen gesagt: Wir können hier über vieles | |
diskutieren, aber was die Herren im Kongo mit ihren Waffen machen, ist ihre | |
souveräne Entscheidung?“ | |
„Wir mussten ihnen das nicht sagen“, antwortet Musoni. „Denn Vertreter der | |
Armee waren auch in der Delegation. Aus diesem Grund durften wir | |
(Politiker) nicht alleine zu den Verhandlungen gehen.“ | |
## Der Präsident befehligt die Armee. Oder? | |
Wieder und wieder kehrt die Gerichtsverhandlung also zur Kernfrage zurück: | |
ob die zivile FDLR-Führung, die hier vor Gericht steht, tatsächlich | |
Befehlsgewalt über die Militärs im Kongo ausübte. Was Musoni jetzt sagt, | |
klingt nicht so. | |
Andererseits ist auch klar, dass der FDLR-Präsident sowohl den politischen | |
als auch den militärischen Flügel der Organisation anführt. Im | |
FOCA-internen Regelwerk wird „Abzug und Rückzug der Armee“ als eine | |
Zuständigkeit des Präsidenten genannt“, hält ein Richter Musoni vor. | |
„Ich habe diese Situation nie erlebt“, antwortet Musoni. Aber er gesteht | |
ein: Bei Rom würde diese Klausel den Präsidenten „autorisieren, im Namen | |
der Armee oder der gesamten Organisation zu unterschreiben, dass die Armee | |
entwaffnet wird.“ Aber das wäre trotzdem nur „eine politische | |
Entscheidung“, ohne Einfluss auf die Armee. | |
Der Widerspruch bleibt unaufgelöst, auch was einen von Musoni geschilderten | |
Ausnahmefall angeht, der in den FDLR-Regeln geregelt ist: „Wenn der | |
Präsident des Oberkommando und auch sein Vizepräsident ausfallen, kann der | |
Präsident der FDLR die Versammlung des Oberkommandos leiten.“ | |
25 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
Bianca Schmolze | |
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