# taz.de -- 292-297. Tag FDLR-Kriegsverbrecherprozess: Abgelehnt, abgelehnt, ab… | |
> Vor vier Jahren begann der Kriegsverbrecherprozess gegen die beiden | |
> FDLR-Miliz-Führer in Stuttgart. Jetzt geht das Verfahren endlich dem Ende | |
> zu. | |
Bild: Der Angeklagte Ignace Murwanashyaka beim Prozessauftakt am 4. Mai 2011. | |
BERLIN taz | So langsam sieht man Licht am Ende des langen Tunnels: Nach | |
vier Jahren neigt sich der Kriegsverbrecher-Prozess gegen die beiden | |
Rebellenführer vor dem Oberlandesgericht in Stuttgart jetzt dem Ende zu. | |
Seit dem 4. Mai 2011 sitzen dort die in deutschem Asyl lebenden Ruander, | |
Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni, auf der Anklagebank. Sie werden | |
beschuldigt, als gewählter Präsident und Vizepräsident für die | |
Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die ihre | |
ruandische Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) im | |
Osten der Demokratischen Republik Kongo begangen hat, verantwortlich zu | |
sein. | |
Vier Jahre lang verhandelt der 5.Strafsenat in Stuttgart schon die brutalen | |
Verbrechen im Kongo von 2008 bis 2009, während im afrikanischen Dschungel | |
der Krieg stetig weitergeht. Die UN-Mission im Kongo hatte zu Beginn des | |
Jahres Militärschläge gegen die FDLR vorbereitet. Zu diesen ist es jedoch | |
wegen Unstimmigkeiten mit Kongos Regierung nie gekommen. | |
Immerhin, die Rebellen sind nun wieder auf der Flucht, tief in den Wäldern. | |
Es geht nach über 20 Jahren Krieg auch für sie jetzt ums nackte Überleben | |
und das ihrer Organisation. Die FDLR ist ihrem „großen Führer“, wie selbst | |
die Kindersoldaten ihren Präsidenten Murwanasyhaka nennen, auch nach vier | |
Jahren vor Gericht und fünf-einhalb Jahren nach seiner Verhaftung 2009 noch | |
immer treu ergeben. Er wurde erst jüngst wieder im Amt bestätigt. Ein Akt, | |
um dem Führer in Einzelhaft im Stammheimer Hochsicherheitsgefängnis kurz | |
vor dem Urteil Mut zu machen? | |
## Todesstoß für die maroden FDLR-Truppen? | |
Ein eindeutiges Urteil in Stuttgart - das würde umgekehrt der ohnehin | |
schlechten Moral in den FDLR-Truppen jetzt den Todesstoß versetzen. Viele | |
würden vermutlich desertieren, weil ihnen im Falle einer Verurteilung klar | |
würde, dass ihr „Führer Ignace" nicht so schnell wieder aus dem Gefängnis | |
frei kommt. Daran glauben sie nämlich bis heute. | |
Als Ignace Murwanashyaka im November 2009 verhaftet worden war, hatten in | |
nur wenigen Wochen mehr als 300 seiner Kämpfer entmutigt die Waffen | |
niedergelegt. Die FDLR umfasst heute noch rund 1.300 Kämpfer. Jeder | |
Einzelne, der sich ergibt, ist ein kleiner Schritt in Richtung Frieden. So | |
hoffen UN-Mitarbeiter im Kongo, dass der Senat in Stuttgart den | |
vierjährigen Prozess jetzt zu Ende bringt. Dies würde auch im Dschungel zu | |
der im UN-Sicherheitsrat beschlossenen „Neutralisierung“ der FDLR | |
beitragen. | |
Deswegen hatte es der Hauptangeklagte Murwanashyaka am 294. Verhandlungstag | |
gar nicht eilig, mit der ellenlangen Verlesung tausender SMS-Nachrichten zu | |
Ende zu kommen. Kleinkariert nahm der promovierte | |
Wirtschaftswissenschaftler Murwanashyaka jeden Übersetzungsfehler akribisch | |
auseinander. | |
Der vom Gericht angeheuerte Übersetzer für die ruandische Sprache | |
Kinyarwanda, in welcher die SMS ursprünglich verfasst waren, machte dabei | |
gern mit. Auch er hat kein Interesse daran, dass das Verfahren bald zu Ende | |
geht. Bei Tagessätzen von mehreren hundert Euro hat sich der Ruander | |
Thierry Kambanda in knapp 300 Verhandlungstagen ein kleines Vermögen | |
verdient. | |
## Jeder Tag zählt | |
So diskutierten die beiden jede Grammatik-Konstruktion dieser komplexen | |
afrikanischen Sprache mehrfach durch, warfen sich die Bälle gekonnt hin und | |
her: „Wenn die SMS nachlässig geschrieben war und zwei Buchstaben vergessen | |
wurden, dann kann das auch...“, wirft Murwanashyaka eine weitere | |
Übersetzungsoption ein. Er ist hochkonzentriert. Jeder Tag zählt jetzt - | |
nicht für ihn als Privatperson, sondern für das Überleben seiner | |
Organisation. | |
Am letzten Tag der SMS-Verlesungen merkte man allen Verfahrensbeteiligten | |
an: Es ist endgültig die Luft draußen. Die Richter machen müde Gesichter, | |
dösen zum Teil mit geschlossenen Augen. Staatsanwalt Christian Ritscher war | |
übel gelaunt, polierte ausführlich seine Brillengläser und hatte immer | |
wieder Probleme, die Augen offen zu halten. Auch die Verteidigung musste | |
kaum mehr eingreifen. Denn was die Angeklagten an der Übersetzung | |
einzuwenden hatten - das machten sie schon gekonnt selbst. | |
Erleichterung war daher zu spüren, als der vorsitzende Richter Jürgen | |
Hettich die Verlesung zu Ende brachte und dann Übersetzer Kambanda förmlich | |
entließ - ein klares Signal: Er wird von jetzt an nicht mehr benötigt. | |
## Im Staffellauf auf der Zielgeraden entgegen | |
Am 295. Verhandlungstag läutete Hettich dann eine neue Phase des Verfahrens | |
ein: Er will die Beweisaufnahme jetzt abschließen. Doch zuvor muss der | |
Senat seine Beschlüsse zu mehreren hundert Anträgen, die in den vier Jahren | |
überwiegend von der Verteidigung gestellt worden waren, verkünden. Wieder | |
eine ätzende Prozedur. | |
Richter Hettich ratterte wie im Schnellfeuer die Entscheidungen herunter: | |
Die Ladung von weiteren Zeugen, die erneute Übersetzung von | |
Telefongesprächen und SMS, die Beschaffung einer Landkarte des Kongo im | |
anderen Maßstab, die Gegenüberstellung unterschiedlicher Aussagen von | |
FDLR-Experten - die Verteidigung hatte in den vergangenen vier Jahren keine | |
Gelegenheit ausgelassen, Beanstandungen zu machen und Anträge zu | |
formulieren. Auch Dutzende Befangenheitsanträge gegen Richter Hettich | |
persönlich. Geduldig hatte dieser jahrelang alles mit sich machen lassen, | |
oftmals sogar mit zu viel Nachsicht. Jetzt verlas Hettich nicht nur | |
Beschlüsse, sondern auch Leviten: abgelehnt, abgelehnt, abgelehnt. | |
## Unmögliche Entlastungszeugen | |
Die Verzögerungstaktik der Verteidigung scheint nicht länger aufzugehen. | |
Sechs Prozesstage geht das jetzt schon so. Immer wieder nennt der Richter | |
als Begründung der Ablehnung: den Beschleunigungsgrundsatz. Basta. | |
Auf der Liste der von der Verteidigung beantragten, noch zu ladenden | |
Entlastungszeugen steht so gut wie die ganze aktive zivile Führung der FDLR | |
im Kongo sowie General Omega, der im Nord-Kivu den FDLR-Sektor kommandiert. | |
Diese Männer aus dem Kriegsgebiet nach Deutschland einfliegen zu lassen, | |
ist ohnehin eine abstruse Idee, werden sie derzeit doch von Kongos | |
Regierungsarmee gejagt. | |
Aber nein, es muss jetzt Schluss sein - so lautet die unterschwellige | |
Botschaft zwischen den Zeilen von Richter Hettich, als er im Stakkato | |
Beschlüsse zitiert. Sobald diese alle durch sind, wird die Verteidigung | |
noch einmal Gelegenheit haben, dazu Stellung zu nehmen. Doch dann beginnen | |
vor oder zumindest direkt nach den Pfingstferien die Plädoyers - damit in | |
Deutschlands erstem Verfahren nach dem 2002 eingeführten | |
Völkerstrafgesetzbuch endlich das Urteil fallen kann. | |
4 May 2015 | |
## AUTOREN | |
Simone Schlindwein | |
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