# taz.de -- Griechenlands Sparpolitik: Unter Beobachtung | |
> Europa schaut auf die Verhandlungen in Brüssel – mit sehr | |
> unterschiedlichen Interessen. Reaktionen aus vier Schuldenstaaten. | |
Bild: Ist die griechische Wahl ein „Sieg für alle Opfer der Austerität“ �… | |
## Litauens Unverständnis | |
„Sollen jetzt deutlich ärmere Länder wie Lettland und Litauen die | |
Versprechungen von Tsipras finanzieren?“ Statements wie die von Manfred | |
Weber, CSU-Europaparlamentarier, kürzlich im Deutschlandfunk, werden in den | |
baltischen EU-Staaten gern gehört. | |
Auch ein sozialdemokratischer Politiker, wie Litauens Ministerpräsident | |
Algirdas Butkeviius hat keinerlei Verständnis für die Forderung Athens nach | |
einem Schuldenschnitt. Für Griechenland gebe es keine Alternative zur | |
Austeritätspolitik, sagte er dieser Tage im Interview. Im übrigen vermöge | |
er „auch wirklich nicht zu sehen“, was an der Politik der griechischen | |
Regierung links sein solle: Diese sei populistisch. | |
Ein Zufall ist es natürlich nicht, wenn die PolitikerInnen in Litauen – und | |
ähnlich in Lettland – jegliche Alternative zu einem fortgesetzten Sparkurs | |
und einer rücksichtslosen Austeritätspolitik ablehnen. Hatten sie ihren | |
eigenen Bevölkerungen doch im Gefolge der Wirtschafts- und Finanzkrise von | |
2008 einen solchen Kurs aufgezwungen. Sollte der sich nun als gar nicht so | |
alternativlos erweisen, hätten auch sie die Fragen zu beantworten, warum | |
sie selbst so bedenkenlos den neoliberalen Rezepten gefolgt sind. Dieses | |
führte unter anderem zu einem Hochschnellen der Rate derer, die | |
armutsgefährdet sind und zu einer beispiellosen Auswanderungswelle – ein | |
Achtel der LitauerInnen kehrten ihrem Land den Rücken. | |
Allerdings solle man nun Griechenland nicht die Tür vor der Nase | |
zuschlagen, warnt Butkeviius. Sondern erst einmal einige Monate abwarten, | |
um zu sehen, ob aus Athen auch realistischere Vorschläge kämen. | |
Kompromisse finden und Griechenland unbedingt in der Eurozone halten, der | |
sich Litauen erst zu Jahresbeginn angeschlossen hat: Das ist für Litauen | |
und die anderen baltischen Staaten nicht nur aus wirtschafts- und | |
finanzpolitischen Gründen wichtig. Man möchte auf keinen Fall riskieren, | |
dass Athen sich Moskau zu sehr nähert und aus der gemeinsamen EU-Front | |
gegen Russland ausbrechen könnte. REINHARD WOLFF, STOCKHOLM | |
## Frankreichs Solidarität | |
Die Franzosen seien Griechenland gegenüber „voller Nachsicht“, kommentiert | |
Les Echos eine Umfrage von Anfang Februar: 52 Prozent befürworten für Athen | |
längere Rückzahlungsfristen ohne Schuldenschnitt, 30 Prozent möchten den | |
Griechen generös die Schulden erlassen, nur 15 Prozent pochen auf Disziplin | |
und vereinbarte Termine. | |
Allerdings sind Griechenland und seine Schuldenprobleme bei Weitem nicht | |
eine Priorität der Franzosen und Französinnen. Innenpolitische Themen | |
stehen für sie im Vordergrund. Sie sagen sich zudem, ihr Land habe schon | |
genug Sorgen mit der eigenen Haushaltspolitik. In einigen Tagen werden sie | |
wissen, ob die Eurozone der Pariser Regierung noch einmal eine Frist | |
einräumt, das Defizit endlich doch noch auf 3 Prozent (des BIP) zu senken. | |
Frankreich kann sich ja allein schon aus diesem Grund der neuen Führung in | |
Athen gegenüber nicht groß schulmeisterlich aufspielen, Alexis Tsipras | |
Lehren erteilen und auf weitere Sparanstrengungen drängen. | |
Staatspräsident François Hollande hat aus diesem Grund auch wenig | |
Spielraum, zwischen Berlin und Athen eine Vermittlerrolle zu spielen. In | |
den Verhandlungen der Eurogruppe mit Griechenland steht der französische | |
Finanzminister Michel Sapin – trotz aller Herzlichkeit bei Auftritten mit | |
seinem griechischen Amtskollegen – zur kollektiven Forderung nach | |
Konzessionen. In diesem Verhandlungspoker kann Tsipras nicht Hollande gegen | |
Merkel ausspielen. Die Opposition hat es da leichter, klar Stellung zu | |
beziehen: „Tsipras hat keine Chance als Regierungschef in Athen. Wir müssen | |
den Griechen sagen: Ihr müsst die Schulden begleichen“, meint | |
konzessionslos der Parteichef der konservativen UMP Nicolas Sarkozy, der | |
allerdings zugleich für Änderungen im Funktionieren der EU plädiert. | |
Ein anderer früherer Staatspräsident, Valéry Giscard dEstaing, ist noch | |
härter, er empfiehlt den Griechen gleich einen „friendly exit“ aus der | |
Währungsgemeinschaft. Der Eintritt Griechenlands in die Eurogruppe sei - | |
wie er schon immer gesagt habe - ein Fehler gewesen. Jetzt sei eine | |
Scheidung ohne Streit, „im gegenseitigen Einvernehmen und Interesse“ | |
unumgänglich. RUDOLF BALMER, PARIS | |
## Irlands Strebertum | |
Auf den ersten Blick ist Irland das Gegenteil von Griechenland. Die | |
Regierung in Dublin hat nach Syrizas griechischem Wahlsieg lauthals | |
verkündet, dass man kein Interesse an einer Schuldenkonferenz habe. „Unsere | |
Schulden sind erträglich“, sagte Finanzminister Michael Noonan. „Wir könn… | |
sie uns leisten und sie zurückzahlen.“ | |
Die Botschaft ist an Brüssel und Berlin gerichtet: Wir sind die | |
Musterknaben und haben alles umgesetzt, was die Troika von uns verlangt | |
hat. Deshalb wird uns Gutes widerfahren. | |
Doch so einfach ist es nicht. „Das quietschende Rad bekommt das Öl“, | |
schrieb der Kolumnist Fintan O'Toole. Irland hat 214 Milliarden Euro | |
Schulden, rund 100 Milliarden weniger als Griechenland, zahlte aber voriges | |
Jahr fast genauso viel für den Schuldendienst – 7,5 Milliarden, das sind 40 | |
Prozent der Einkommenssteuer. Die Folge ist eine knallharte | |
Austeritätspolitik. | |
Die Dubliner Regierung beobachtet genau, was in Griechenland passiert, und | |
die Wähler tun es auch, denn es ist ein Testfall für die | |
Austeritätspolitik. Ein Scheitern Syrizas liegt im Interesse der irischen | |
Regierung. Gewählt wird im nächsten Frühjahr, und laut Umfragen liegt Sinn | |
Féin, der politische Flügel der inzwischen aufgelösten | |
Irisch-Republikanischen Armee (IRA), vor den beiden konservativen Parteien, | |
die das Land seit der Staatsgründung vor knapp hundert Jahren abwechselnd | |
regiert haben. Darüber hinaus hat das linke Bündnis Anti-Austerity-Alliance | |
starken Zulauf, es gibt Proteste gegen die geplanten Wassergebühren. | |
Maria Karagianni von Syriza sagte auf einer dieser Demonstrationen in | |
Dublin, die Proteste seien eine „Inspiration für Griechenland“. Umgekehrt | |
gibt Syrizas Wahlsieg den der linken Opposition Auftrieb. Jack O'Connor, | |
Präsident der Gewerkschaft Siptu, begrüßte Syrizas Wahlsieg und versprach | |
Unterstützung der Forderung nach einer Schuldenkonferenz. Der linke | |
Abgeordnete Richard Boyd-Barrett beschrieb die griechische Wahl als „Sieg | |
für alle Opfer der Austerität“. Wenn die Iren im nächsten Jahr ebenfalls | |
eine Anti-Austertäts-Regierung wählen, wird Irland vielleicht doch zum | |
Griechenland Nordeuropas. RALF SOTSCHECK, DUBLIN | |
## Spaniens Angst | |
Ein Aufatmen geht durch die Presselandschaft. Die größte spanische | |
Tageszeitung El País und auch die portugiesische O Público feiern, dass | |
Griechenland jetzt nicht mehr fordere, sondern nur noch bitte. Täglich | |
hämmerten die Medien auf Griechenlands Finanzminister Yanis Varoufakis ein. | |
Die Regierungen in Madrid und Lissabon – beide konservativ – taten es ihnen | |
gleich. Denn ein Verhandlungserfolg der Griechen ist zugleich eine | |
Niederlage der Regierungen auf der Iberischen Halbinsel. | |
Wahlprogramme, wie das von Spaniens Ministerpräsidenten Mariano Rajoy, der | |
2011 versprach, Arbeitsplätze zu schaffen, das Gesundheits- und | |
Bildungswesen bei der Sparpolitik nicht anzutasten und keine Steuern zu | |
erhöhen, blieben auf der Strecke. Die Umfragewerte der Regierungsparteien | |
in Portugal und Spanien sinken. | |
„Griechenland ist nicht Spanien“, erklärt Rajoy gerne. Doch in Spanien | |
droht eine Partei es Syriza gleich zu tun, und die Wahlen im Herbst zu | |
gewinnen. Podemos – wir können – heißt die Formation, die aus der | |
Protestbewegung gegen die Austerität entstand. Jeder noch so kleine Erfolg | |
Athens wird Podemos weiteren Auftrieb bescheren. | |
26 Milliarden Euro schulde Griechenland Spanien. „Hätten wir dieses Geld | |
nicht an Griechenland geborgt, hätten wir die Arbeitslosenhilfe um 50 | |
Prozent oder die Renten um 38 Prozent erhöhen können“, erklärte der | |
spanische Außenminister José Manuel García-Margallo zu Beginn der | |
Verhandlungsrunde in Brüssel. | |
Nicht alle teilen diese Rechnung. Denn über 20 Milliarden davon flossen | |
nicht aus der Staatskasse, Spanien bürgt nur für griechische Kredite. Und | |
so mancher aus den Protestbewegungen oder Podemos rechnet ganz anders. Die | |
Bankenrettung in Spanien hat bisher rund 60 Milliarden Euro gekostet. „Mit | |
diesem Geld hätten auch Arbeitslosengeld und Renten erhöht werden können“, | |
sagte der bekannte spanische Wirtschaftswissenschaftler Vicenç Navarro. Die | |
Worte der Regierung seien ein gescheiterter Versuch zu manipulieren. REINER | |
WANDLER, MADRID | |
20 Feb 2015 | |
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