# taz.de -- Religionssymbole an Schulen: Das Kopftuch ist frei | |
> Das Bundesverfassungsgericht spricht sich gegen pauschale Kopftuchverbote | |
> an Schulen aus. Zehn Fragen und Antworten zum Urteil. | |
Bild: Im Kern kommt es darauf an, was im Kopf drin ist, nicht, was darum herum … | |
Warum kippt Karlsruhe das Kopftuchverbot? | |
Zwei Pädagoginnen aus Nordrhein-Westfalen hatten geklagt, beide sind | |
Deutsche mit türkischem Migrationshintergrund. Eine arbeitete als Lehrerin | |
für muttersprachlichen Unterricht an verschiedenen Schulen. Nachdem 2005 in | |
Nordrhein-Westfalen ein faktisches Kopftuchverbot eingeführt wurde, wurde | |
sie gekündigt. Die zweite Frau arbeitete als Sozialpädagogin an einer | |
Gesamtschule. Sie ersetzte damals das Kopftuch durch eine rosafarbene | |
Baskenmütze, wurde aber dennoch abgemahnt, da sie die Mütze erkennbar als | |
Ersatz für ein Kopftuch getragen habe. In den Vorinstanzen waren die Frauen | |
noch gescheitert. Karlsruhe gab ihnen nun recht. | |
Was hat das Bundesverfassungsgericht entschieden? | |
Kopftuchverbote können nur noch ausgesprochen werden, wenn eine | |
„hinreichend konkrete“ Gefahr für den Schulfrieden und die staatliche | |
Neutralität droht. Das pauschale Kopftuchverbot im nordrhein-westfälischen | |
Schulgesetz muss darum geändert werden. Auch eine zweite Klausel, mit der | |
Darstellungen christlich-abendländischer Kulturwerte ausdrücklich von dem | |
Verbot ausgenommen wurden, erklärte Karlsruhe für verfassungswidrig. Die | |
Bevorzugung christlicher und jüdischer Symbole verstoße gegen das | |
Gleichheitsgebot. | |
Wie begründet Karlsruhe sein Urteil? | |
Lehrkräfte können sich auf ihre Religionsfreiheit berufen. Dass sie auf ihr | |
Kopftuch verzichten müssen, auch wenn es konkrete Probleme gibt, sei | |
unzumutbar. Weder Schulkinder noch ihre Eltern hätten einen Anspruch | |
darauf, nicht mit Lehrerinnen konfrontiert zu werden, die aus religiösen | |
Gründen ein Kopftuch tragen. Ein Kopftuch an sich habe noch keinen | |
werbenden oder missionierenden Effekt und das sichtbare religiöse | |
Bekenntnis einzelner Lehrkräfte beeinträchtige nicht die Neutralität des | |
Staates, denn dieser identifiziere sich dadurch noch nicht mit einem | |
bestimmten Glauben. | |
Was bedeutet das Urteil für den Schulalltag? | |
Ab sofort können Lehrkräfte in NRW in der Schule das muslimische Kopftuch, | |
die jüdische Kippa, das christliche Kreuz oder ein Nonnenhabit tragen. Dies | |
kann nur verboten werden, wenn es deshalb zu ernsthaften Konflikten kommt – | |
etwa wenn ältere Schüler oder Eltern auf muslimische Schülerinnen Druck | |
ausüben sollten, das Kopftuch zu tragen. Ob auch eine Islamfeindlichkeit | |
von Eltern und Schülern zu Kopftuchverboten führen kann, lassen die Richter | |
offen. Ein Verbot würde sich aber zunächst auf die konkrete Lehrkraft | |
beziehen. Erst wenn sich die Fälle häufen, könnten Verbote für ganze | |
Schulen, Schulbezirke oder das ganze Land ausgesprochen werden. Betroffene | |
Lehrerinnen sollen nicht entlassen, sondern versetzt werden. | |
Müssen jetzt alle Kopftuchgesetze in allen Bundesländern überarbeitet | |
werden? | |
Formal gilt das Urteil nur für Nordrhein-Westfalen. Nach dem ersten | |
Karlsruher Kopftuchurteil 2003 haben aber fast alle westdeutschen | |
Bundesländer per Gesetz präventive Kopftuchverbote für Lehrkräfte erlassen, | |
die zum Teil vergleichbar sind. In Baden-Württemberg gilt ein ähnliches | |
Verbot auch an Kindertagesstätten, in Berlin im gesamten öffentlichen | |
Dienst. Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Berlin haben jetzt | |
angekündigt, mögliche Gesetzesänderungen zu prüfen. | |
Muss Bayern jetzt seine Kreuze in Klassenzimmern abhängen? | |
Nein. Beim Kopftuch geht es um die persönliche Religionsfreiheit der | |
Lehrerin. Beim Kruzifix ordnet dagegen der Staat an, ein Symbol | |
anzubringen, identifiziert sich also mit einer Religion. Dies hat das | |
Bundesverfassungsgericht 1995 beanstandet. An bayerischen Grundschulen gilt | |
aber immer noch eine Kruzifixpflicht. Die Kreuze müssen heute allerdings | |
abgenommen werden, wenn sich einzelne Eltern daran stören. | |
Was sagen die Parteien dazu? | |
Die Grünen freuen sich über das Urteil. „Kopftuch, Kippa und Schleier | |
gefährden den Schulfrieden nicht“, sagte ihr kirchenpolitische Sprecher, | |
Volker Beck. Auch die Linken-Abgeordnete Christine Buchholz begrüßte die | |
Entscheidung „in Zeiten, in denen Islamhasser wie ’Pegida‘ die Rechte von | |
Muslimen einschränken wollen“. Aus der SPD lobte Aydan Özoguz, die | |
Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, den Richterspruch. „Damit wird | |
die gesellschaftliche Diskussion aber nicht zu Ende sein“, prophezeite sie. | |
Die Union zeigt sich gespalten. „Das Urteil bestätigt, dass die | |
Religionsfreiheit in unserem Land ein hohes Gut ist und alle Religionen | |
gleichbehandelt werden“, sagte ihre Integrationsbeauftragte Cemile Giousof | |
(CDU) der taz. „Gleichwohl darf es keinen Unfrieden in die Schulen tragen, | |
und man muss berechtigte Fragen und Sorgen von Eltern und Schülern ernst | |
nehmen.“ Das Kopftuch dürfe nicht missionarisch benutzt werden. | |
Ihr Parteikollege Wolfgang Bosbach bedauert das Urteil. Und die CSU beharrt | |
darauf, dass das Christentum im Freitstaat privilegiert bleibt. „Bayern ist | |
und bleibt ein christlich geprägtes Land, daran lassen wir nicht rütteln“, | |
polterte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer. | |
Wie reagieren die Kirchen? | |
Aus den christlichen Kirchen kommt Zustimmung. „Im Kern kommt es darauf an, | |
was im Kopf drin ist, nicht, was darum herum ist“, hieß es aus der | |
Evangelischen Kirche im Rheinland. Auch die Katholische Bischofskonferenz | |
lobte das Karlsruher Urteil als „starkes Signal für die Glaubens- und | |
Bekenntnisfreiheit“. | |
Wie reagieren die Muslime? | |
Die muslimischen Verbände haben das Urteil einhellig begrüßt, ebenso viele | |
muslimische Einzelpersonen wie die Publizistin und Islamwissenschaftlerin | |
Lamya Kaddor. Die Lehrerin Fereshta Ludin, die 2003 mit ihrer Klage vor dem | |
Bundesverfassungsgericht noch gescheitert war, zeigte sich ebenfalls | |
erleichtert: „Es geht hier nicht ums Siegen oder Triumphieren. Aber ich | |
freue mich nach dieser langen Zeit, dass die Gerechtigkeit hergestellt | |
ist“, erklärte die afghanische Diplomatentochter. | |
Was sagen die Lehrer? | |
Während die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) das Urteil | |
begrüßte, äußerte sich der Verband Erziehung und Bildung skeptisch. Aber | |
auch die GEW-Landesvorsitzende in NRW, Dorothea Schäfer, fürchtet, „dass | |
der Druck auf muslimische Schülerinnen, die sich selber gegen ein Kopftuch | |
entscheiden, durch Lehrerinnen, die aus religiösen Gründen ein Kopftuch | |
tragen, erhöht wird“. | |
13 Mar 2015 | |
## AUTOREN | |
Daniel Bax | |
Christian Rath | |
## TAGS | |
Religionsfreiheit | |
Bundesverfassungsgericht | |
Kopftuchverbot | |
Kopftuch | |
Kopftuchverbot | |
Uli Hoeneß | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Bundesverfassungsgericht | |
Bundesverfassungsgericht | |
Islam | |
Migration | |
Kopftuchverbot | |
Kopftuch | |
Kopftuch | |
Bundesverfassungsgericht | |
Religionsfreiheit | |
Muslime | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof: Kopftuchverbot bestätigt | |
Rechtsrefrendarinnen darf untersagt werden, in bayerischen Gerichten ein | |
Kopftuch zu tragen. Gegen das Verbot hatte eine Juristin islamischen | |
Glaubens geklagt. | |
Juristische Jahresbilanz der taz: „Bossi hat ein Genre begründet“ | |
Wenn wir uns in rechtlichen Fragen unsicher sind, rufen wir Christian Rath | |
an. Diesmal für seine Jahresbilanz 2015. | |
Schlagloch weißer Feminismus: Kopftuch inklusive | |
Säkularen weißen Mittelschichtsfrauen steht ein Besitzanspruch auf | |
Emanzipation nicht zu. Es fehlt eine Vision von Emanzipation, die | |
verbindet. | |
Muslima über das Kopftuch-Tragen: „Nur eine Verpackung, mehr nicht“ | |
Das Tuch gehört für viele muslimische Frauen zur Identität. Ein Gespräch | |
über Opferrollen, gute Ausländerinnen und die Emanzipation durch das | |
Verschleiern. | |
Klage gegen Kruzifix-Pflicht in Bayern: Karlsruhe vertrödelt heikles Urteil | |
Es wäre eine spannende Entscheidung geworden: Ein Lehrer hatte gegen die | |
Kruzifix-Pflicht in Schulen geklagt. Doch das Gericht wartete zu lange. | |
Juristischer Streit um den Hijab: Das Kopftuch, das ich meine | |
Die Frau, die für ihr Kopftuch bis nach Karlsruhe zog, hat eine Biografie | |
verfasst. Fereshta Ludin beschreibt eine Geschichte von Missverständnissen. | |
Kopftuchtragen in der Schule: „Schwarzer ist nicht sehr feministisch“ | |
Bringen Lehrerinnen, die ihr Haar verhüllen, Probleme in die Schule? Bisher | |
nicht, sagt Antidiskriminierungsexperte und Jurist Michael Wrase. | |
Migration in Schulbüchern: „Formuliere Zukunft für Ausländer“ | |
Wissenschaftler haben untersucht, wie Migration in Schulbüchern dargestellt | |
wird. Das Ergebnis: allzu oft aus der Sicht der Dominanz-Gesellschaft. | |
Köpfe mit und ohne Tuch: Ein wenig Stoff für hitzige Debatten | |
In Bremen und Niedersachsen sorgt der Verfassungsgerichtsbeschluss zu Niqab | |
& Co. für politische Verwerfungen | |
Kommentar Kopftuchurteil BVerfG: Was unter dem Tuch gedacht wird | |
Das Verfassungsgericht bürgert den Islam ein Stück mehr ein. Streiten | |
sollten wir über Fundamentalismus, nicht über ein Kleidungsstück. | |
Muslime zum Kopftuch-Verbot: Endlich Lehrerin sein dürfen | |
Viele Muslime freuen sich über die Aufhebung des Kopftuch-Urteils. Nun | |
hoffen sie auf eine Signalwirkung – auch für andere Berufsgruppen. | |
Reaktionen auf Kopftuchurteil: „Das war überfällig“ | |
Stärkung der Religionsfreiheit, ein richtiger Schritt: Die Reaktionen auf | |
die Entscheidung, Kopftücher nicht pauschal zu verbieten, sind fast überall | |
positiv. | |
Kommentar Neues Kopftuchurteil: Pegida wird jubeln | |
Das Verfassungsgericht erteilt der Ungleichbehandlung der Religionen in der | |
Schule eine Absage. Endlich. Aber es hat Türen für einen Kulturkampf | |
geöffnet. | |
Entscheidung Bundesverfassungsgericht: Kein pauschales Kopftuchverbot | |
Die Karlsruher Richter revidieren ihre Rechtsprechung: Künftig soll eine | |
„konkrete Gefahr“ als Grundlage für ein Kopftuchverbot bei Lehrerinnen | |
gelten. |