# taz.de -- Juristischer Streit um den Hijab: Das Kopftuch, das ich meine | |
> Die Frau, die für ihr Kopftuch bis nach Karlsruhe zog, hat eine Biografie | |
> verfasst. Fereshta Ludin beschreibt eine Geschichte von | |
> Missverständnissen. | |
Bild: Fereshta Ludin will die Deutungshoheit über ihr Leben zurück. | |
Warum will sie das Kopftuch nicht abnehmen? Warum behauptet sie, Frauen im | |
Islam seien nicht unterdrückt? Warum arbeitet sie an einer Schule, die von | |
den Radikalen von Milli Görüs betrieben wird? Warum ist sie so stur? So | |
lauteten die misstrauischen Fragen an Fereshta Ludin – die Lehrerin, die | |
nicht unterrichten durfte, weil sie ein Stück Stoff um den Kopf gewunden | |
trug. | |
Dass die Fragen in der dritten Person gestellt wurden, war Teil des | |
Problems. Man traute ihr nicht über den Weg. Man unterstellte ihr eine | |
heimliche Agenda. „Es ging darum, mich zu politisieren“, sagt sie jetzt im | |
Gespräch mit der taz. Sie ist reifer geworden, das Gesicht einer Dame unter | |
einem locker gebundenen knalllila Kopftuch. Sie spricht immer noch leise, | |
aber sie macht Witzchen und lacht. Das war beim Interview vor zwölf Jahren | |
nicht möglich. „Ich stand unter Generalverdacht. Und ich war jung, ich | |
hatte dem wenig entgegenzusetzen.“ | |
Fünfzehn Jahre nachdem Fereshta Ludin anfing, vor Gericht darum zu kämpfen, | |
ihr Kopftuch in der Schule tragen zu dürfen, entschleiert sich die sonst | |
eher zugeknöpfte Muslimin in einem 350-Seiten-Buch: „Die Enthüllung der | |
Fereshta Ludin“ heißt es und erscheint am Donnerstag. Es ist ein Buch über | |
Missverständnisse, die es so zwischen MuslimInnen und der | |
Mehrheitsgesellschaft in Deutschland oft gibt – und zugleich eine | |
Ermutigung, sie zu überwinden. | |
Fereshta Ludin will die Deutungshoheit über ihr Leben zurück. Wie sehr sie | |
sich missverstanden fühlte, zeigt sich schon an ihrer Herkunft. Ludin | |
beschreibt ihr liberales Elternhaus, in das sie als jüngstes von fünf | |
Geschwistern hineingeboren wird. Der Vater, Ingenieur für Wasserbau, ist | |
erst Regierungsberater und dann Botschafter Afghanistans in Deutschland, | |
die Mutter ist Lehrerin und engagiert sich für Frauenrechte. In ihrem | |
Elternhaus gibt es absolut keinen Zwang zum Glauben, aber viele | |
Diskussionen im „Familienrat“, in dem auch die Jüngste eine Stimme hat. | |
Während die Familie die traditionelle Pilgerreise nach Mekka antritt, | |
besetzen die Russen Afghanistan, der Job das Vaters ist perdu. Die Familie | |
will eigentlich in die USA ausreisen, aber es gibt Probleme mit den Visa. | |
Also sucht der Vater in Riad einen Übergangsjob. Doch kurze Zeit später | |
stirbt der herzkranke Mann. Die Familie ist schockiert, die Zukunft völlig | |
ungewiss. Die älteren Geschwister Ludins haben mittlerweile in Deutschland | |
und den USA Familien gegründet. Ludin, entnervt von dem engstirnigen Islam | |
in Saudi-Arabien, überredet ihre Mutter, Asyl in Deutschland zu beantragen. | |
## Eingriff in die Freiheit | |
Wieso das Kopftuch? Nach dem Tod ihres sehr geliebten Vaters entwickelt die | |
junge Fereshta eine enge Beziehung zu Gott. Sie setzt sich mit dem Islam | |
auseinander – und es gefällt ihr nicht, was in Saudi-Arabien daraus gemacht | |
wird. Die diskussionsfreudige Jugendliche, die mit ihren großen Brüdern | |
einen Islam des Nachdenkens entwickelt hat, gerät mit Lehrerinnen in Streit | |
– so, als sie den dort üblichen Gesichtsschleier ablehnt. „Schon damals | |
begriff ich dies als einen Eingriff in meine persönliche Freiheit“, | |
schreibt sie. | |
Doch setzt sie sich auch mit der Kleiderordnung im Islam auseinander. | |
„Schon immer hat es mich irritiert, wenn Frauen sich für fremde Männer | |
übertrieben hübsch machten“, schreibt sie. „Ich wollte mein | |
Selbstbewusstsein nicht daraus ziehen, wie mein Körper auf andere wirkte.“ | |
Sie entscheidet sich für einen Mittelweg, das Kopftuch. Sie ist zu dem | |
Schluss gekommen, dass Staat und Religion am besten getrennt werden und das | |
Kopftuch damit Privatsache ist. Und betreibt die Ausreise nach Deutschland. | |
„Ich kam aus sehr ideellen Gründen nach Deutschland“, sagt sie. „Ich | |
dachte, hier kann ich mich als Frau frei entfalten.“ | |
Falsch gedacht. Im Studium lernt sie, dass ihre KommilitonInnen sie für | |
unterdrückt halten, weil sie ein Kopftuch trägt. Im Seminar erklärt man | |
ihr, wie rückständig der Islam sei. Dass sie einen ganz anderen Islam kennt | |
und lebt, will dort niemand hören. Im Gegenteil, man findet sie verblendet. | |
Aus diesem Missverständnis kommt Ludin, kommt die Mehrheitsgesellschaft nie | |
wieder heraus. | |
Mehr noch, das alles führt auch dazu, dass Ludin nicht in den Schuldienst | |
übernommen wird. Sie weist immer wieder darauf hin, dass ihr Kopftuch nicht | |
für eine Benachteiligung der Frauen stehe. Die einzige Benachteiligung, die | |
sie erfährt, ist die durch den Staat. Die Kommunikation ist eine einzige | |
Katastrophe: Ludin möchte die Botschaft senden: Schaut, ich stehe für den | |
friedlichen, barmherzigen Islam mit eingebauten Frauenrechten. Die | |
Gesellschaft aber versteht nur: Kopftuch gleich Unterdrückung. Es ist wohl | |
eine der einschneidendsten Erfahrungen Ludins, dass alles, was sie denkt, | |
in Deutschland nicht zählt. | |
## Ohne Feministinnen | |
Sie gründet die „Muslimische Jugend“ mit, deren Homepage auch unter dem | |
Namen mujahid.de erreichbar war. Das alte Kommunikationsproblem: Gesendet | |
wird, dass es hier Menschen ernst meinen mit dem inneren Kampf um den | |
Islam. Herkömmliche Deutsche dagegen kennen Mudschahedin nur als bewaffnete | |
Kämpfer. Und weil die EmpfängerInnen der Signale in der Mehrheit sind, | |
haben die SenderInnen ein Problem. Sie nennen es Islamophobie. | |
Besonders, dass die Feministinnen sie nicht unterstützten, hat Ludin | |
getroffen. „Ich habe mich nicht für das Kopftuch eingesetzt, sondern für | |
das Selbstbestimmungsrecht der Frau. Gerade von Alice Schwarzer hätte ich | |
Solidarität erwartet. Aber sie hat nie mit mir gesprochen.“ | |
Fereshta Ludin, die heute immer noch an der Islamischen Grundschule in | |
Berlin unterrichtet, hat nach dem neuen Urteil aus Karlsruhe gewonnen. Ihr | |
Tuch löscht nun nicht mehr die Identität der Trägerin aus und bildet nicht | |
mehr die „abstrakte Gefahr“, die den Schulfrieden gefährden könnte. | |
„Abstrakte Angst“ nennt Ludin das. Gegen konkrete Angst kann man etwas tun, | |
davon ist sie überzeugt. „Friedenspädagogik“, sagt Ludin, sei ihr sehr | |
wichtig. „Und dass man den Schulfrieden, den man nicht gestört haben will, | |
gemeinsam gestaltet.“ | |
Es hat sich etwas geändert in den zwölf Jahren. Der Islam gehört mehr zu | |
Deutschland, und das ruft neue Ängste wach, die sich in | |
Pegida-Demonstrationen ausdrücken. Fereshta Ludin hat einen Schritt getan, | |
diesen abstrakten Ängsten eine konkrete Person entgegenzusetzen. Hätte sie | |
das schon vor 15 Jahren getan, die Debatte hätte einen anderen Ton gehabt. | |
1 Apr 2015 | |
## AUTOREN | |
Heide Oestreich | |
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