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# taz.de -- Flüchtlinge aus Syrien: „Es fehlen Beratungsstellen“
> Viele Syrer stellten sich darauf ein, in Deutschland zu bleiben, sagen
> Erik Mohns und Ramez Kabibo vom Verbindungsbüro Syrien.
Bild: Flüchtlinge aus Syrien beim "Anstoß der Begegnung" im Stadion von Union
taz: Herr Mohns, Herr Kabibo, was genau macht das Verbindungsbüro Syrien in
Berlin?
Erik Mohns: Das Verbindungsbüro gibt es seit Mitte 2013. Es ist ein Projekt
der Berghof Foundation, die mehrere friedensfördernde Projekte im Nahen und
Mittleren Osten durchführt. Das Büro wird zudem mit Mitteln des Auswärtigen
Amts gefördert. Ziel ist es, syrische Reformakteure logistisch und
technisch zu unterstützen.
Wen meinen Sie mit Reformakteuren?
Mohns: Darunter verstehen wir zivilgesellschaftliche und humanitäre
Initiativen und Vereine, die sich im Laufe der vergangenen Jahre entwickelt
haben, aber auch politische Akteure, die sich konstruktiv für eine
politische Lösung in Syrien einsetzen.
Und die Verbindung, die Sie herstellen, ist die zwischen diesen Akteuren
und dem Auswärtigen Amt?
Mohns: Nicht ausschließlich. Wir helfen syrischen Akteuren und Initiativen,
sich untereinander zu vernetzen, stellen aber auch Kontakte zu deutschen
Ministerien, Parteien, Stiftungen und möglichen Förderern her.
Geht es um syrische AkteurInnen hier in Deutschland oder gibt es noch
zivilgesellschaftliche Organisationen in Syrien?
Mohns: Es geht um beide. Bis März 2011 wurde jegliche Art von
Zivilgesellschaft, auch entsprechende Aktivitäten im Ausland, von der
syrischen Regierung engmaschig kontrolliert. Mit den im Frühjahr 2011
beginnenden Protesten gegen die Regierung in Syrien kam es auch in der
syrischen Diaspora zu Unterstützung derer, die dort demonstrierten. Es ging
darum, den Reformprozess und die Protestbewegung zu unterstützen, etwa mit
Hilfslieferungen wie Medikamenten oder Babynahrung. Die so entstandenen
Initiativen haben sich mittlerweile diversifiziert und professionalisiert,
es gibt etwa 30 bis 35 eingetragene Vereine in Deutschland. Syrische Ärzte
richten ihr Engagement auf die Unterstützung von Krankenhäusern, andere
Vereine fokussieren sich auf Bildung oder auf Flüchtlingshilfe.
Sie reden jetzt von Vereinen von SyrerInnen in Deutschland?
Mohns: Ja. Wir pflegen aber auch den Kontakt zu syrischen Organisationen in
Syrien und in den Nachbarländern, etwa in den Flüchtlingslagern in der
Türkei und Jordanien. Diese Organisationen wollen hier in Deutschland, in
den Niederlanden oder in Österreich Strukturen aufbauen, weil das
Vereinsrecht hier einfach ist und weil man sich verspricht, durch Aufbau
von organisatorischen Strukturen in europäischen Staaten auch finanzielle
Förderung für humanitäre und Entwicklungsprojekte zu erhalten.
Es geht also darum, eine entstehende Zivilgesellschaft in Syrien zu
fördern, die hier Unterstützer hat? Man hat nicht den Eindruck, dass die
friedliche Zivilgesellschaft in Syrien vor der Tür steht.
Mohns: Die Annahme, dass ziviles Leben stoppt, weil es einen Konflikt gibt,
ist nicht richtig. Es gibt weiterhin Akteure, die aufgrund des
Zusammenbruchs des syrischen Staates Verwaltungsaufgaben übernehmen. Der
syrische Konflikt ist wahrscheinlich der am besten dokumentierte Krieg, den
es je gab. Über Netzwerke wie Facebook oder YouTube kann man quasi in
Echtzeit verfolgen, was dort passiert. So weiß man relativ gut, was
Zivilakteure und lokale Komitees dort tun. Die wollen wir unterstützen –
und ihre Unterstützer hier.
Auch die syrischen Flüchtlinge hier?
Mohns: Seit Herbst 2013 unterstützen wir auch syrische Staatsbürger, die
nach Deutschland und insbesondere nach Berlin kommen, bei allen nötigen
Schritten, etwa beim Jobcenter. Das ist insbesondere die Aufgabe von Herrn
Kabibo und einem weiteren Mitarbeiter. Wir haben gerade eine
arabischsprachige Webseite gelauncht, mit der wir syrischen Flüchtlingen in
Deutschland die nötigen Informationen bereitstellen wollen. Und wir wollen
die neu Ankommenden und die Leute, die von hier aus nach Syrien aktiv sind,
in Kontakt bringen.
Den Kontakt gibt es nicht?
Mohns: Viele der Syrer, die schon lange hier leben, haben zwar Netzwerke
nach Syrien hinein, aber nicht unbedingt zu denen, die jetzt nach
Deutschland kommen. Und das starke zivilgesellschaftliche Engagement der
lange hier lebenden Syrer gilt nicht notwendigerweise den Leuten, die jetzt
hierher kommen. Viele gehen davon aus, dass es denjenigen, die nach
Deutschland kommen konnten, vergleichsweise gut geht, während es denen, die
noch in Syrien oder den Nachbarstaaten leben, an allem fehlt. Ich glaube
aber, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis die bestehenden Vereine
versuchen werden, auch die Syrer, die jetzt kommen, stärker in ihre Arbeit
zu integrieren. Ich glaube, dass viele der Flüchtlinge dazu auch willens
sind, hier in den humanitären Initiativen mitzuarbeiten. Man sieht kaum
eine Chance auf einen Friedensschluss in Syrien in den nächsten Jahren.
Deshalb ist man bereit, sich hier in Deutschland zu engagieren.
Ramez Kabibo: Viele der Flüchtlinge sind darauf eingestellt, dass sie hier
lange bleiben werden. Vor allem die, die Kinder haben, richten sich darauf
ein. Sie sind sehr bemüht, Deutsch zu lernen, Arbeit zu finden, sich zu
integrieren.
Herr Kabibo, viele Flüchtlinge aus Syrien sind hoch qualifiziert: Klappt es
mit der Anerkennung der Berufsabschlüsse?
Kabibo: Ja. Sowohl schulische wie akademische Abschlüsse werden anerkannt.
Ärzte etwa finden hier schnell Arbeit. Abiturzeugnisse werden ohne
Studienkolleg anerkannt und ermöglichen so den direkten Zugang zur Uni.
Natürlich waren die deutschen Behörden zunächst auf die vielen Flüchtlinge
nicht vorbereitet. Aber sie versuchen die Menschen zu unterstützen. Man
kann nicht alle Probleme auf einmal lösen.
Wo gibt es denn Probleme?
Kabibo: Es fehlen passende Beratungsstellen, die den neu ankommenden Syrern
erklären können, welche Möglichkeiten es gibt, hier ein Studium aufzunehmen
oder in den Beruf zu kommen. Die Beratung der Jobcenter, wo die Flüchtlinge
ja zunächst hingehen müssen, ist auf diese hoch qualifizierte Klientel
nicht eingestellt. Auch diese Lücke versuchen wir mit unserer Webseite zu
schließen.
Mohns: Oft läuft die Informationsvermittlung unter den Flüchtlingen über
eigene Netzwerke, wie in vielen migrantischen Communities. Häufig bleiben
dabei aber relevante Informationen auf der Strecke. Und wir haben auch das
Gefühl, dass von staatlicher Seite Informationen für Flüchtlinge nicht in
der Sprache zur Verfügung stehen, die die Leute verstehen. Das bedeutet
nicht nur, dass arabischsprachige Angebote nicht in ausreichender Form
vorhanden sind. Auch wenn man die auf Deutsch vorhandenen Texte übersetzt,
würden die Menschen sie nicht unbedingt verstehen. Wir haben auf der
Webseite versucht, solche Informationen und Texte in verständliche Sprache
zu übersetzen. Außerdem kann man über die Seite bundesweit
Unterstützungsinitiativen finden. Auch die wollen wir auf diese Weise
miteinander vernetzen – denn man kann ja auch viel voneinander lernen.
Wird es die Seite auch auf Deutsch geben?
Mohns: Ja, und wir wollen auch eine App für Smartphones entwickeln, weil
die meisten Leute sich die nötigen Informationen über ihre Mobilgeräte
holen.
17 Mar 2015
## AUTOREN
Alke Wierth
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