# taz.de -- Syrien-Tagebuch Folge 1: „Denn Worte sind stärker“ | |
> In Syrien brauchen friedliche Oppositionelle Geduld. Zum Beispiel die | |
> Gruppe in Kafranbel. Sie kämpft seit 2011 für Demokratie. | |
Bild: Ohne Worte: Cartoon der Aktivistengruppe. | |
Die Kleinstadt Kafranbel liegt in der Provinz Idlib im Nordwesten Syriens. | |
Der Ort hat inzwischen dank seiner bunten, oft humorvollen politischen | |
Plakate internationale Bekanntheit errungen. Der Leiter der | |
Aktivistengruppe, Raed Fares, saß bereits mehrfach im Gefängnis. Am 29. | |
Januar 2014 wurde auf ihn ein Anschlag verübt, den er nur knapp überlebte. | |
Im Folgenden berichtet Fares über die neuesten Aktivitäten seiner Gruppe. | |
Für den Gedenktag an den Beginn der Revolution am 18. März 2011 haben wir | |
verschiedene kleinere Veranstaltungen geplant. Aber das ist uns nicht so | |
wichtig, wir konzentrieren uns vor allem auf langfristige Aktivitäten. So | |
hat das Frauenzentrum Mazaya, das zu unserem großen Netzwerk in der Region | |
gehört, am Internationalen Frauentag am 8. März mehr als 100 Frauen für ihr | |
außergewöhnliches Engagement seit Beginn der Revolution geehrt. | |
Momentan konzentrieren wir uns auf Bildung im Allgemeinen, insbesondere | |
aber auf die von Kindern. Unser Ansatz basiert auf einem alternativen | |
System, das sich von dem des herrschenden Baath-Regimes unterscheidet. Wir | |
haben viele psychologische Hilfszentren für Kinder gegründet und | |
mittlerweile gibt es mehr als acht kleine Bildungszentren in der Region. | |
Außerdem haben wir Sekundarschulen ausgestattet. Wir wollen auch eine | |
medizinische Berufsfachschule für alle Fachrichtungen und eine weitere für | |
die Ausbildung von Lehrern eröffnen. Für Letztere bemühen wir uns um eine | |
Lizenz für eine europäischen Universität. | |
Die Militarisierung und die Veränderung der Herrschaftsverhältnisse in der | |
Region haben natürlich auch Einfluss auf die Dynamik der Proteste. Wir | |
werden ständig durch das Assad-Regime bombardiert. Aber auch andere | |
Faktoren zählen. Zu den wichtigsten gehört die Sympathie, die wir innerhalb | |
der Bevölkerung haben. | |
## Kugeln auf Worte | |
Im Moment kontrolliert die Nusra-Front (der syrische Ableger von al-Qaida, | |
d. Red.) das Gebiet. Daher müssen wir sehr vorsichtig sein und unsere | |
Aktionen genau planen. Dasselbe gilt auch für das Assad-Regime, das wie die | |
Nusra-Front der autoritären Schule angehört. Beide reagieren mit Kugeln auf | |
Worte. | |
Aber trotz ihrer militärischen Übermacht haben wir die Nusra-Front schon | |
einmal besiegt. Eines unserer Graffitis übermalten sie mit schwarzer Farbe | |
und schrieben Koranverse darüber. Ihre Gewalt bekämpfen wir mit Worten. Wir | |
haben ihre Parolen weiß überstrichen und unser Graffiti wieder hingesprüht. | |
Am wichtigsten dafür, dass wir inzwischen international berühmt sind, ist | |
wohl unsere Beständigkeit. Dass wir weitermachen, trotz der schwierigen | |
Bedingungen vom ersten Protest 2011 bis heute. | |
## Worte statt Waffen | |
Hinzu kommt, dass wir Anteil nehmen an den Geschehnissen in der Welt und | |
uns nicht allein auf Syrien konzentrieren. Der Einfallsreichtum und die | |
Akribie, mit denen unser Medien-Team die Plakate gestaltet, und dass wir | |
sie auf Englisch verfassen, tragen ebenfalls zu unserem Erfolg bei. Der | |
Witz und der schwarze Humor haben sicherlich ihr Übriges getan. Und | |
natürlich auch, dass wir YouToube und Facebook nutzen. | |
Trotz all des Schmerzes und der zahllosen schrecklichen Momente, durch die | |
viele von uns seelisch vollkommen abgestumpft sind, habe ich auch einige | |
glückliche Momente erlebt. Etwa als wir kürzlich wieder ein | |
aussagekräftiges Graffiti an eine Wand in unserem Dorf sprühten. Wir haben | |
dafür unser Leben riskiert, es getan trotz der Brutalität der Nusra-Front. | |
Doch am Ende sind Worte stärker als Waffen. | |
Übersetzung: Jessica Siepelmeyer | |
17 Mar 2015 | |
## TAGS | |
Al-Nusra-Front | |
Idlib | |
Bürgerkrieg | |
Syrien-Tagebuch | |
Schwerpunkt Syrienkrieg | |
Jarmuk | |
Syrien-Tagebuch | |
Damaskus | |
Baschar al-Assad | |
Baschar al-Assad | |
Berlin | |
„Islamischer Staat“ (IS) | |
John Kerry | |
Hilfspaket | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kommentar Dschihadisten in Damaskus: Fassbomben, Typhus und jetzt der IS | |
Der Islamische Staat hat das Palästinenserviertel Jarmuk in Syriens | |
Hauptstadt erobert. Dem Assad-Regime kommt das gelegen. | |
Syrien-Tagebuch Folge 7: Ein Volk klebt vor dem Fernseher | |
Am 30. März 2011 hält Präsident Assad seine erste Rede seit Beginn der | |
Proteste gegen sein Regime. Viele werden enttäuscht. | |
Syrien-Tagebuch Folge 2: „Drei Jahre belagert“ | |
Die Bevölkerung hungert, in Feuerpausen verschwinden Menschen. Und es gibt | |
keine Hilfe. Ghouta bei Damaskus ist von der syrischen Armee abgeriegelt. | |
Vier Jahre Bürgerkrieg in Syrien: Steinmeier erwägt Dialog mit Assad | |
Außenminister Steinmeier will Druck auf Assad ausüben. Laut WHO ist die | |
Lage in Syrien dramatisch. Nun wurde womöglich erstmals eine US-Drohne | |
abgeschossen. | |
Krieg in Syrien: Irgendwie über Umwege reden | |
US-Außenminister Kerry stellt nun klar: Die USA werden nicht direkt mit | |
Assad verhandeln. Amnesty fordert eine Untersuchung der Bombardierung von | |
Al-Rakka. | |
Flüchtlinge aus Syrien: „Es fehlen Beratungsstellen“ | |
Viele Syrer stellten sich darauf ein, in Deutschland zu bleiben, sagen Erik | |
Mohns und Ramez Kabibo vom Verbindungsbüro Syrien. | |
Kommentar Syrischer Bürgerkrieg: Kampf gegen Symptome | |
Jetzt will US-Außenminister Kerry also auch mit Assad reden. Das ist nur | |
logisch, offenbart aber die Widersprüchlichkeit der Situation. | |
John Kerry zu Bürgerkrieg in Syrien: Verhandlungen mit Assad | |
Bisher wollten die USA nicht mit Assad verhandeln. Der Außenminister | |
erklärt nun in einem Interview, dass genau das aber „am Ende“ nötig sein | |
könnte. | |
Kommentar Syrienkonflikt: Flüchtlingspolitik mit langem Atem | |
Die UN-Organisationen müssen Geld für die Flüchtlinge erhalten. Syriens | |
Nachbarstaaten müssen sie integrieren. Sonst werden sie zu neuen | |
Palästinensern. |