# taz.de -- Wahl in Nigeria: Buhari und die Hoffnung auf Wandel | |
> Eigentlich dürfte ein Ex-Militärdiktator beim dritten Anlauf im Alter von | |
> 72 Jahren keine Chance auf die Präsidentschaft haben. Aber die Wahl gilt | |
> als offen. | |
Bild: Präsident Goodluck Jonathan (links) und Muhammadu Buhari einigen sich sc… | |
LAGOS taz | Es wird der ultimative Showdown. Noch nie seit Ende der | |
Militärherrschaft in Nigeria vor sechzehn Jahren war ein Wahlausgang so | |
offen. Noch nie musste die seit der Demokratisierung 1999 regierende | |
People’s Democratic Party (PDP) ernsthaft um ihren Sieg fürchten. | |
Der wichtigste Herausforderer von Präsident Goodluck Jonathan ist Muhammadu | |
Buhari und hat schon mehrmals gegen Jonathan verloren. Diesmal jedoch sorgt | |
sein Oppositionsbündnis All Progressives Congress (APC) dafür, dass er auch | |
außerhalb seiner Hochburgen im muslimischen Norden punkten wird. | |
Ein 72-jähriger ehemaliger General aus der etablierten Elite, der Nigeria | |
schon einmal vor dreißig Jahren regierte, will also einen 57-jährigen | |
Amtsinhaber aus einfachen Verhältnissen an der Wahlurne stürzen. | |
Goodluck Jonathan kommt aus einer Bootsbauerfamilie im Dorf Otuoke im | |
Bundesstaat Bayelsa, mitten im sumpfigen Ölgebiet des bitterarmen | |
Nigerdeltas. Ein geborener Politiker war er nicht. Als Nigeria 1999 die | |
Militärherrschaft abschüttelte, nahm sich Bayelsas Gouverneur Diepreye | |
Alamieyeseigha den jungen Jonathan als Stellvertreter, weil er so loyal und | |
profillos war. | |
Aber nur sechs Jahre später war Jonathan der Provinzgouverneur und | |
Alamieyeseigha war in Großbritannien der Geldwäsche angeklagt. Seitdem weiß | |
Jonathans Umfeld, dass man diesen ruhigen, uncharismatischen Mann nicht | |
unterschätzen darf. | |
Nach kurzer Zeit wurde Jonathan Nummer zwei auf nationaler Ebene: als | |
Vizepräsidentschaftskandidat der PDP bei den Wahlen 2007 unter | |
Spitzenkandidat Umaru Musa Yar’Adua. Die PDP gewann, Jonathan wurde | |
Vizepräsident. Aber nur drei Jahre später war Jonathan der Präsident und | |
Yar’Adua war tot. | |
## Im Schatten anderer aufgestiegen | |
Jonathan, sagen seine Gegner, ist immer im Schatten anderer aufgestiegen | |
und musste sich nie anstrengen. Deshalb, folgern sie, ist seine Bilanz als | |
Präsident auch so mittelmäßig. | |
Im Wahlkampf gibt Jonathan den Zurückhaltenden. Seine Wiederwahl sei keinen | |
einzigen vergossenen Blutstropfen wert, hat er gesagt. Aber er schweigt, | |
wenn seine Frau und seine Getreuen scharfe persönliche Angriffe auf | |
Herausforderer Buhari fahren, oder wenn die ehemaligen Ölrebellen im | |
Nigerdelta mit neuem Krieg für den Fall eines Sieges Buharis drohen. | |
Er behauptet, er habe keine Zweifel an seinem Sieg, aber ein siegessicherer | |
Präsident würde sich nicht in der Schlussphase des Wahlkampfs ständig mit | |
drittklassigen traditionellen Monarchen und wenig bekannten Künstlern | |
treffen. Die Elite sieht darin einen Akt der Verzweiflung und eine für | |
Jonathan typische Entweihung des höchsten Staatsamts. | |
Buhari ist in fast jeder Hinsicht das Gegenteil Jonathans. Der | |
Karrieresoldat aus dem nördlichen Bundesstaat Katsina mischt schon seit | |
fast einem halben Jahrhundert in Nigerias Politik mit. Inzwischen | |
Generalmajor a. D. hat er sich durch seine kurze Zeit als Militärdiktator | |
zwischen 1983 und 1985 dauerhaft ein Image als stahlharter, aber | |
unkorrumpierbarer Autokrat mit eiserner Faust geschaffen. | |
Angesichts des Ausmaßes verschwundener öffentlicher Gelder in Nigeria unter | |
Jonathan sind viele Nigerianer überzeugt, dass das Land eine neue | |
Buhari-Radikalkur brauche. Und als Exgeneral gilt Buhari auch als besser | |
verortet, um die terroristische Sekte Boko Haram auszulöschen. Sein Image | |
ist aber nicht nur positiv. Nigerianer vergessen zwar schnell, doch sie | |
vergeben selten. Buharis Hinrichtungen von Gegnern während seiner | |
Herrschaft belasten sein Image. | |
Ob es für Buhari reicht, darauf mit dem Hinweis zu reagieren, dass er nicht | |
die Vergangenheit ändern könne, wohl aber die Zukunft? Immerhin zieht kein | |
Politiker so gigantische Menschenmengen an. Buhari verkörpert den Wandel, | |
den viele Nigerianer herbeisehnen. | |
Das liegt nicht ausschließlich an ihm selbst, sondern daran, dass Nigerias | |
Opposition es diesmal geschafft hat, geeint aufzutreten. Das | |
Schlüsselereignis war, als im November 2013 fünf | |
PDP-Bundesstaatsgouverneure aus der Regierungspartei austraten und sich | |
Buharis Bündnis APC anschlossen. Die persönlichen Dramen dahinter sind der | |
Kern zum Verständnis dessen, was sich heute in Nigeria abspielt. | |
Beispielhaft ist der Fall Chibuike Amaechi, Gouverneur von Rivers, | |
Nachbarstaat von Jonathans Heimat Bayelsa. Jonathan und Amaechi waren lange | |
persönlich befreundet. Aber erst entzweite sich Amaechi mit der First Lady, | |
dann schlug 2012 Nigerias Oberstes Gericht die einträglichen Ölquellen von | |
Soku der Region Bayelsa statt Rivers zu. Das vergab Amaechi dem Präsidenten | |
nie. | |
Heute ist Amaechi der Wahlkampfmanager von Buhari. Seine Enttäuschung über | |
Jonathan treibt den Eifer voran, mit dem er den Machtwechsel herbeiführen | |
will. Deshalb ist jetzt das Niger-Flussdelta, bisher unumstrittene | |
PDP-Hochburg, plötzlich umstritten. | |
## Krumme Geschäfte | |
Das Gleiche gilt für Lagos, Nigerias größte Stadt. In Lagos und dem Umland | |
war die PDP einst tief verwurzelt. Aber heute ist es eine | |
Oppositionshochburg. Der erste Gouverneur von Lagos nach der | |
Demokratisierung, Bola Tinubu, gilt als ein Architekt des | |
Oppositionsbündnisses APC. | |
Die Beziehung zwischen Jonathan und Tinubu ist eine Art Hassliebe. Bei den | |
letzten Wahlen 2011 war klar, dass Jonathan gewinnen würde, und so stellte | |
sich Tinubu samt seiner Partei ACN (Action Congress of Nigeria) hinter ihn. | |
Die Belohnung, sagt man, war viel Geld von der Zentralregierung für die | |
Modernisierung der Megalopole Lagos und staatliches Gewährenlassen für | |
Tinubus weitreichende private Geschäftsinteressen. | |
Davon hat Tinubu profitiert – aber Jonathan nicht. Denn Tinubu sieht keinen | |
Grund, weiter den Präsidenten zu stützen. Er hat sich stattdessen der APC | |
angeschlossen, um für sie als „Königsmacher“ im Südwesten Nigerias zu | |
agieren. So bleibt er als graue Eminenz Strippenzieher in Lagos, das mit | |
seiner riesigen Wählerschaft durchaus die Wahl entscheiden könnte. | |
Präsident Jonathan ist dagegen machtlos. Er reiste in jüngster Zeit ständig | |
nach Lagos, aber zu Tinubu fiel seinem Wahlkampfteam nichts Besseres ein, | |
als im Staatsfernsehen einen 30-minütigen Dokumentarfilm über die krummen | |
Geschäfte des Exgouverneurs endlos wiederholen zu lassen. Das ist kein | |
geeignetes Mittel, um Lagos für Jonathan zurückzuerobern, denn der | |
Präsident selbst gilt nicht gerade als sauber. | |
## Korruptionsanklagen fallengelassen | |
Jonathans Wahlkampfmanager ist Femi Fani-Kayode, dem Nigerias | |
Antikorruptionsbehörde EFCC schon 2008 wegen Korruption in Höhe von 300 | |
Millionen Dollar den Prozess machen wollte. Anfang 2014 sagte Fani-Kayode, | |
Präsident Jonathan sei „ein Präsident, der ständig sein eigenes Wort | |
bricht, der seine Partei zerstört und sein Land gespalten hat.“ Es werde | |
sich in Nigeria nichts zum Besseren ändern, solange Jonathan an der Macht | |
bleibe. | |
Im November 2014 erklärte Fani-Kayode plötzlich, er unterstütze Jonathan | |
und wurde dessen Wahlkampfmanager, woraufhin 38 der 40 Korruptionsanklagen | |
gegen ihn fallengelassen wurden. | |
Feni-Kayode ist der bekannteste, aber nicht der einzige korrupte Politiker | |
Nigerias, der gelernt hat, dass man nur Jonathan zu unterstützen braucht, | |
um vor Strafverfolgung sicher zu sein. Für Jonathan und seine PDP ist das | |
finanziell sehr lohnend. Ein einziges Fundraisingdinner des Präsidenten im | |
Dezember brachte umgerechnet fast 100 Millionen Euro ein. | |
Buhari, der seine Karriere auf den Kampf gegen Korruption gründet, kann da | |
nicht mithalten, von den Schatullen Tinubus und Amaechis abgesehen. Seine | |
Stärken sind andere: Er sorgt dafür, dass Jonathan im muslimischen Norden | |
kaum noch ein Bein auf den Boden bekommt. Während Buhari im Süden | |
problemlos Wahlkampf machen kann, werden Jonathans Wahlkampftouren im | |
Norden meist gewaltsam gestört. | |
## Wie im Feindesland | |
Der Präsident hat im Norden sogar Schwierigkeiten, Busfahrer anzuheuern. Er | |
lässt sich durch massive Armeekonvois schützen, als sei er in Feindesland. | |
Als hingegen Buhari in der Stadt Maiduguri auftrat, die vom Terror Boko | |
Harams gebeutelt ist, war der zentrale Platz so voll, dass der Exgeneral | |
gar nicht bis zur Bühne durchdrang. Seine größte Wahlkampfkundgebung im | |
Kriegsgebiet endete ohne ein einziges Wort von ihm. | |
Klar ist, dass Buhari im Norden abräumen wird, Jonathan aber nicht im | |
Süden. Entscheidend wird sein, ob Buhari diesmal tatsächlich den Südwesten | |
um Lagos für sich gewinnt. Wichtig wird auch der sogenannte Middle Belt um | |
die Hauptstadt Abuja, der weder eindeutig zum christlichen Süden noch zum | |
muslimischen Norden gehört. | |
Die Wahl zwischen Jonathan und Buhari ist auch eine zwischen verschiedenen | |
Gründen: ethnische Loyalität, Korruption, finanzielle Anreize. Es gibt | |
viele, die am Ende doch für Jonathan stimmen werden, aus Aversion gegen die | |
nördliche Elite und deren Haltung, sie hätten ein natürliches Recht auf die | |
Macht. In den ländlichen Gebieten und den städtischen Slums dreht sich | |
alles, wie immer, um den Magen: Der größte Geber zur rechten Zeit bekommt | |
die Stimme. | |
Der Autor ist Chefredakteur der nigerianischen Onlinezeitung [1][„The | |
Cable“] und schrieb diesen Text für die taz. Übersetzung aus dem | |
Englischen: Dominic Johnson | |
28 Mar 2015 | |
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[1] http://www.thecable.ng/ | |
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