| # taz.de -- Flüchtlingskinder in Bremen: „Über einen Kamm geschoren“ | |
| > Als zunehmende Belastung bezeichnet die Gewerkschaft der Polizei in | |
| > Bremen straffällige unbegleitete Flüchtlingskinder. Alles Quatsch – sagt | |
| > nun ein Polizist. | |
| Bild: Flüchtlingsjugendliche benötigen vor allem bürgerschaftliches Engageme… | |
| taz: Herr Beck, die Gewerkschaft der Polizei hat Ende April das | |
| Sozialressort in Bremen zum Handeln aufgefordert angesichts der hohen Zahl | |
| krimineller unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge – ist das Problem | |
| wirklich so groß? | |
| Peter Beck: Die Gewerkschaft sollte sich an den Innensenator wenden. Der | |
| ist zuständig, wenn die Polizei zu wenig Kapazitäten hat – und sie hat | |
| tatsächlich zu wenig Kapazitäten. Aber: Ich habe elf Jahre lang am Bremer | |
| Hauptbahnhof gearbeitet und weiß, dass Kriminalität und jugendliche | |
| Intensivtäter dort kein neues Phänomen sind und jugendliche Taschendiebe | |
| aus dem Ausland auch nicht. Die gab es immer schon. Zum Jahrtausendwechsel | |
| waren das beispielsweise viele Jugendliche aus Sierra Leone. | |
| Ist die Zahl der kriminellen Flüchtlingsjugendlichen gestiegen? | |
| Das weiß ich nicht, aber das weiß ja offenbar keiner so genau. Da | |
| grassieren Zahlen von zwanzig bis vierzig extrem auffälligen Jugendlichen – | |
| ja, was denn nun? Sind es zwanzig, vierzig oder vielleicht doch nur | |
| fünfzehn? Und dann wird viel von der Anzahl der Straftaten geredet – aber | |
| wenn ich 200 davon habe, können die auch von nur zehn Intensivtätern | |
| begangen worden sein. | |
| In den Meldungen der Bremer Polizei werden als Tatverdächtige nicht | |
| Jugendliche genannt, sondern unbegleitete minderjährige Flüchtlinge – ist | |
| es in Ordnung, das so explizit zu erwähnen? | |
| Nein, weil das den Effekt hat, dass in der Öffentlichkeit alle | |
| unbegleiteten Flüchtlingsjugendlichen über einen Kamm geschoren werden – | |
| abgesehen davon, dass tatverdächtig oft mit straffällig gleichgesetzt wird, | |
| was natürlich nicht stimmt. Aber das Problem ist ein anderes. | |
| Welches denn? | |
| Die Polizei ist viel zu schlecht ausgestattet, es werden Stellen abgebaut | |
| und Wachen geschlossen. Und da die jugendlichen Flüchtlinge auch ein | |
| politisches Thema sind, das genauso in den Wahlkampf hineingetragen wurde | |
| wie die innere Sicherheit, wird das natürlich von der Polizei aufgegriffen, | |
| um Forderungen nach mehr Personal zu bekräftigen. | |
| Auf Kosten von Jugendlichen … | |
| Mich ärgert das auch sehr. Keiner schaut dabei, was hinter dem Begriff | |
| „UMF“ überhaupt steckt. Das sind Kinder, die auf sich allein gestellt sind, | |
| monatelang in der Zentralen Aufnahmestelle hocken oder in irgendwelchen | |
| Containerdörfern und wochenlang auf einen Amtsvormund warten müssen. Dass | |
| sich Jugendliche gleicher Herkunft und Sprache gruppieren, ist doch | |
| logisch. Jeder Jugendliche ohne vernünftige Betreuung und Beschäftigung – | |
| egal, wo er herkommt – kann in falsche Kreise geraten und Mist bauen. | |
| In Bremen befinden sich rund 700 unbegleitete Flüchtlingsjugendliche – kann | |
| man da nicht eher sagen: Es ist erstaunlich, dass nur so wenige von ihnen | |
| auffällig werden? | |
| Es wird zumindest viel zu wenig gesprochen über die meisten von ihnen – und | |
| die werden eben nicht straffällig. Meine Frau und ich haben einen | |
| 17-jährigen Pflegesohn aus Somalia. Er und seine Freunde haben | |
| unvorstellbare Dinge hinter sich. Die wissen, was sie hier für Chancen | |
| haben und nutzen sie. Aber hier mangelt es leider an allen Ecken und Enden. | |
| Wo sind da aus Ihrer Sicht die größten Baustellen? | |
| Vielen Jugendlichen fehlen berufliche Perspektiven, viele haben nicht | |
| einmal die Chance, hier einen Schulabschluss zu machen. Unser Pflegesohn | |
| wird im Januar 18 Jahre alt und macht momentan an der Allgemeinen | |
| Berufsschule einen Deutsch-Vorkurs. Ab dem Sommer ist es völlig offen, ob | |
| er überhaupt einen Platz im anschließenden schulischen Sprachkurs bekommen | |
| wird – und selbst wenn, muss er 2016 die Schule verlassen, da die | |
| allgemeine Schulpflicht in Deutschland für ihn endet. Natürlich hat er dann | |
| immer noch keinen Abschluss, muss sich aber für den Arbeitsmarkt bewerben. | |
| Und: Es mangelt vor allen Dingen an bürgerschaftlichem Engagement. Das muss | |
| gestärkt werden, denn Kinder und Jugendliche in Sammelunterkünfte zu | |
| stecken, geht genauso wenig wie deren Verteilung nach dem Königsteiner | |
| Schlüssel. Die können doch nicht einfach wieder weggeschickt werden! | |
| Aber woher sollen Wohnraum und Betreuung kommen? | |
| Die Flüchtlingszahlen werden nicht kleiner, die prognostizierten Zahlen | |
| sind ja auch nur Schätzungen, die in der Realität durchaus noch größer | |
| werden können. Dafür werden Notunterkünfte gebaut und Container errichtet, | |
| aber wo soll das denn enden – in einem riesigen Container-Lager irgendwo | |
| auf der grünen Wiese? Nein, die gesellschaftliche Akzeptanz für die | |
| Flüchtlinge muss gestärkt werden und die Einsicht, dass der Staat nicht | |
| „die da oben“ sind, sondern wir alle. Als wir die Vormundschaft für unseren | |
| Pflegesohn übernahmen, haben wir gesagt: Wir haben schon zwei Kinder und | |
| Platz für ein drittes – nehmen wir ihn doch gleich ganz bei uns auf. | |
| Und das sollten mehr Menschen tun? | |
| Ja. Die Jugendlichen haben sonst mit Institutionen und einem „Case Manager“ | |
| zu tun. Sie sind aber keine Fälle, sondern Menschen, die Zugewandtheit | |
| benötigen. Da stehen aber viele Ängste und Vorurteile im Weg. | |
| Wie kann man die aus dem Weg räumen? | |
| Erst einmal, indem man damit aufhört, ständig von den „kriminellen UMF“ zu | |
| reden und die Dinge differenziert zu betrachtet. Und dann muss Integration | |
| von beiden Seiten stattfinden. Mein Sohn lernt in der Schule viel über die | |
| deutsche Geschichte und das ist auch gut, aber über die Geschichte der | |
| Länder, aus denen die Flüchtlinge kommen, lernen wir kaum etwas – das muss | |
| sich ändern. | |
| 14 May 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Simone Schnase | |
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