# taz.de -- Zwangsräumung in Bremen: Spontaner Protest unerwünscht | |
> Einem Mann droht Strafe, weil er eine Spontandemo gegen eine | |
> Zwangsräumung angemeldet hat. „Kriminalisierung von Protest" nennen das | |
> Juristen. | |
Bild: Sich als Anmelder zur Verfügung zu stellen, kann böse enden: Demo gegen… | |
HAMBURG taz | Weil Otto Schulte* eine Demo nicht rechtzeitig angemeldet | |
haben soll, hat die Bremer Staatsanwaltschaft einen Strafbefehl über 600 | |
Euro gegen ihn erlassen. Ausgangspunkt der Demo am 13. Juli 2021 war eine | |
Zwangsräumung. Einem Mieter, der seit 2019 in einer Wohnung im Bremer | |
Viertel lebte, war gekündigt worden, nachdem er wegen gesundheitlicher | |
Problemen nicht auf Briefe des Eigentümers reagiert hatte. | |
[1][Rund 60 Menschen versammelten sich spontan], um gegen die Räumung zu | |
protestieren, darunter auch Otto Schulte. | |
Nun wird Schulte von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, „nach | |
entsprechender Vorankündigung in sozialen Medien als Verantwortlicher die | |
Zusammenkunft von mindestens 60 Personen organisiert und koordiniert zu | |
haben“. Die Demo soll laut Strafbefehl den Zweck gehabt haben, „die | |
Zwangsräumung zu verhindern“. | |
Laut Bundesversammlungsgesetz müssen geplante Versammlungen mindestens 48 | |
Stunden vor Bekanntgabe angemeldet werden. Dies gilt allerdings nicht für | |
spontane Versammlungen, die auch vor Ort noch angemeldet werden können. | |
## Demo war längst unterwegs | |
Für Schulte ist klar: „Der Vorwurf ist konstruiert. Es war eine spontane | |
Ankündigung.“ Der erste Aufruf zur Kundgebung in den sozialen Medien sei | |
erst veröffentlicht worden, als der erste Streifenwagen bereits in der | |
Straße eingetroffen war. | |
Zu dem Zeitpunkt seien die Demonstrierenden schon seit gut 45 Minuten vor | |
Ort gewesen. Der Einsatzleiter der Polizei habe dann einen Ansprechpartner | |
unter den Protestierenden gesucht, sagt Schulte. Er habe sich „auf Bitte | |
des Einsatzleiters“ zur Verfügung gestellt, die spontane Kundgebung | |
anzumelden. | |
Für Schulte ist der Strafbefehl ein Versuch, „die Arbeit des Bündnisses zu | |
kriminalisieren“. [2][Das Bündnis „Zwangsräumungen verhindern“] setzt s… | |
nach eigenen Angaben dafür ein, Wohnraum zu erhalten und gemeinsam mit | |
Vermieter*innen und Mieter*innen Lösungen für Konflikte zu finden. | |
Es hatte bei Twitter spontan dazu aufgerufen, die Kundgebung zu | |
unterstützen. | |
Gegen den Strafbefehl hat Schulte Einspruch erhoben. Sein Anwalt Jan Lam | |
hält das Verfahren für „absurd“. Es könne nicht sein, dass die Polizei | |
jemanden darum bittet, als Versammlungsleiter zu agieren „und dann springt | |
jemand in die Bresche und sorgt für einen geordneten Ablauf und wird dafür | |
belangt“. | |
## Grundrecht der Versammlungsfreiheit | |
Das sei auch nicht im Sinne der Polizist*innen vor Ort, denn gerade bei | |
spontanen Versammlungen sei es wichtig, dass es | |
Versammlungsleiter*innen gibt, die für einen geordneten Ablauf | |
sorgen. „So etwas habe ich in dieser Art noch nie erlebt“ sagt Lam. Es gehe | |
bei dem Verfahren auch nicht um die Umsetzung von Recht: „Dahinter steckt | |
die Kriminalisierung einer politisch unerwünschten Bewegung“, sagt der | |
Anwalt. | |
Der Bremer Jurist Tore Vetter weist auf die verfassungsrechtlichen Probleme | |
des Falls hin. Die Anmeldungspflicht des Bundesversammlungsgesetzes | |
verstoße eigentlich gegen den Wortlaut des Artikels 8 des Grundgesetzes, | |
wonach die Versammlungsfreiheit „ohne Anmeldung oder Erlaubnis“ besteht. | |
Die Frage, ob die Anmeldungspflicht überhaupt mit dem Grundgesetz vereinbar | |
ist, sei daher unter Verfassungsjurist*innen umstritten. Laut | |
Bundesverfassungsgericht, so erklärt es Vetter, ist die Anmeldepflicht als | |
Einschränkung bei Versammlungen „unter freiem Himmel“ dennoch grundsätzli… | |
verfassungsgemäß, weil sie auch deren Durchführung zugute komme, etwa wenn | |
zum Beispiel Straßen gesperrt werden müssten. | |
## Spontane Versammlungen verfassungsrechtlich gedeckt | |
Das Bundesverfassungsgericht habe sein Einverständnis für die | |
Anmeldungspflicht aber nur gegeben, wenn es weiterhin auch die Möglichkeit | |
gibt, wie in dem Bremer Fall, sogenannte Spontanversammlungen abzuhalten, | |
bei denen die Anmeldungsfrist nicht eingehalten werden könne, sagt Vetter. | |
Dass in Schultes Fall Strafbefehl ergangen ist, sieht Vetter kritisch. Es | |
passe zu der Stimmung, die der Jurist etwa im [3][Diskurs um die „Letzte | |
Generation“] wahrnimmt: „Die grundsätzliche Wertung der | |
Versammlungsfreiheit als fundamentales demokratisches Grundrecht scheint in | |
Vergessenheit geraten.“ | |
„Wir werden uns von diesem Strafverfahren nicht einschüchtern lassen“, sagt | |
Bahne Michels vom [4][„Bündnis gegen Zwangsräumungen“]. Wie „aggressiv�… | |
Staat auf dessen Anliegen reagiere, zeige aber auch, „wie nah wir am Kern | |
des Problems sind“. | |
* Name geändert | |
27 May 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Protest-gegen-Wohnen-als-Ware/!5781408 | |
[2] /Protest-gegen-Zwangsraeumung-in-Bremen/!5902005 | |
[3] /Letzte-Generation-in-Berlin/!5933137 | |
[4] https://allebleibenwohnen.de/ | |
## AUTOREN | |
Franziska Betz | |
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