| # taz.de -- Zwangsräumung in Bremen: Gerichtsvollzieherin gnadenlos | |
| > Das Bremer Amtsgericht hat beschlossen, die Zwangsräumung von zwei | |
| > Mieter:innen auszusetzen. Trotzdem ließ die Gerichtsvollzieherin sie | |
| > räumen. | |
| Bild: Nicht nur ein rechtliches sondern auch ein politisches Thema: Zwangsräum… | |
| Bremen taz | Irina Schneider, die in Wirklichkeit anders heißt, und ihr | |
| Partner sind am 24. November aus ihrer Bremer Mietwohnung zwangsgeräumt | |
| worden – trotz eines gegenteiligen Beschlusses des Amtsgerichts Bremen vom | |
| selben Tag. Das Vorgehen der Gerichtsvollzieherin wirft nun Fragen auf. Sie | |
| sei „deutlich über ihre Befugnisse hinausgegangen“, kritisiert Enno Hinz, | |
| Vorstand des Vereins „Mieter helfen Mietern“, der die Räumung begleitet | |
| hat. Er ordnete die Räumung als rechtswidrig ein. | |
| Das Urteil, [1][auf dessen Grundlage geräumt werden sollte], ist über sechs | |
| Jahre alt – es stammt aus dem August 2016. Sie sei damals in Zahlungsverzug | |
| mit der Miete geraten, erzählt Schneider, weil ihr Partner erkrankt ist und | |
| das Altenheim, in dem sie als Pflegekraft gearbeitet hat, schließen musste. | |
| Geräumt wurden sie zu dem Zeitpunkt nicht, weil das Jobcenter den | |
| Mietrückstand in Form eines Darlehens bezahlt hat. | |
| Im Oktober diesen Jahres erhielt Schneiders Partner dann einen Brief von | |
| der Zentralen Fachstelle Wohnen, in dem von einem Räumungstermin am 24. | |
| November die Rede war. „Von diesem Termin wussten wir bis dahin nichts“, | |
| beteuert Schneider. Eine offizielle Ankündigung von der | |
| Gerichtsvollzieherin sei nicht bei ihnen angekommen. | |
| Die Zeit zum Handeln war knapp. Mit Unterstützung von „[2][Mieter helfen | |
| Mietern]“ stellte Schneider einen Antrag zum Räumungsschutz, der jedoch | |
| abgelehnt wurde. Drei Tage vor dem Räumungstermin reichte [3][Rechtsanwalt | |
| Holger Gautzsch] eine Vollstreckungsgegenklage und einen Eilantrag beim | |
| Amtsgericht ein. Diese schienen aussichtsreich: „Nach allgemeiner | |
| Rechtsauffassung hält ein Räumungstitel ungefähr zwei Jahre“, sagt | |
| Gautzsch. | |
| ## 10.000 Euro Kaution | |
| Ein Beschluss zum Eilverfahren kam kurz vor dem Räumungstermin: Gegen eine | |
| Sicherheitsleitung von 10.000 Euro sollte das Verfahren gestoppt werden. | |
| „Die Gerichtsvollzieherin hätte mit der Vollstreckung warten müssen“, sagt | |
| Gautzsch. Eine Zahlung in dieser Höhe sei in so kurzer Zeit kaum möglich. | |
| Hinz zufolge hatte die Gerichtsvollzieherin aber „ersichtlich kein | |
| Interesse“, den Termin um eine Woche zu verschieben – wozu sie befugt | |
| gewesen wäre. | |
| Der Anwalt wies auf die Unmöglichkeit hin, die 10.000 Euro kurzfristig zu | |
| beschaffen, woraufhin das Gericht seinen Beschluss nachbesserte: Die | |
| Zwangsvollstreckung werde ausgesetzt – ohne Sicherheitsleistung, heißt es | |
| in dem Dokument, das der taz vorliegt. | |
| Schneider und ihr Partner hätten glaubhaft gemacht, dass sie die Zahlung | |
| nicht erbringen können. Schneider sagt, dass sie als Pflegedienstleitung | |
| gearbeitet habe, aber von ihrem Arbeitgeber kein Gehalt erhielt. Deshalb | |
| sei sie auch in Zahlungsrückstand mit der Miete gekommen. | |
| Allerdings kam der nachgebesserte Beschluss erst, als die Räumung schon im | |
| Gange war. „Wir haben den Möbelpackern gesagt, dass sie die Arbeit | |
| einstellen können“, berichtet Hinz. Ein Teil der Wohnung sei schon geräumt | |
| gewesen. Die Gerichtsvollzieherin ordnete aber die Fortsetzung der Räumung | |
| an – obwohl sie den Beschluss kannte. „Sie hat behauptet, das wäre so mit | |
| der Richterin abgesprochen“, sagt Hinz. | |
| Aus Sicht des Gerichts war die Räumung zum „Zeitpunkt des Beschlusses schon | |
| vollstreckt“. Das teilte ein Sprecher im Namen der zuständigen Richterin | |
| mit. Das Schloss zur Wohnung sei bereits gewechselt worden. | |
| Gautzsch widerspricht dieser Darstellung: „Allein das Schloss auszutauschen | |
| reicht nicht – die Wohnung war noch nicht geräumt.“ Außerdem hätten noch | |
| bis zum Nachmittag die Schlüssel der Mieter*innen im Schloss gesteckt. | |
| Es sei also nicht getauscht worden. Der Gerichtsbeschluss sei der | |
| Gerichtsvollzieherin schon am Vormittag bekannt gewesen. | |
| „Spätestens die Fortsetzung der Räumung in Kenntnis des zweiten Beschlusses | |
| war rechtswidrig“, sagt Mietervereinsvorstand Hinz. Die | |
| Gerichtsvollzieherin hätte die Räumung zu diesem Zeitpunkt von Amts wegen | |
| einstellen müssen. Zu ihrem Vorgehen hat die Gerichtsvollzieherin gegenüber | |
| der taz bislang keine Stellung bezogen. | |
| Nicht nur zur Räumung selbst bleiben Fragen offen, sondern auch zu deren | |
| Vorgeschichte. So kann Schneider nur mutmaßen, was mit dem | |
| Ankündigungsschreiben passiert ist. Ihr Briefkasten sei frei zugänglich | |
| gewesen und „der Briefschlitz verbogen“. Sie nimmt an, dass der Brief | |
| gezielt abgefangen wurde. Im Verdacht hat Schneider ihren Vermieter und | |
| dessen Verwandte, die im Nachbarhaus wohnen. | |
| „Wir hatten ein familiäres Verhältnis zueinander“, sagt Schneider. Ihr | |
| Partner habe etwa unentgeltlich den Schwager des Vermieters gepflegt. Schon | |
| das Räumungsverfahren 2016 sei für sie überraschend gewesen, weil ihr | |
| Vermieter sie für das Darlehen noch zum Jobcenter begleite habe. Auch das | |
| Urteil sei damals nicht postalisch bei ihr angekommen. | |
| ## Durchs Dach geregnet | |
| Der Vermieter will sich grundsätzlich nicht zu dem Fall äußern. Schneider | |
| wirft ihm vor, er habe die Wohnung verfallen lassen. „Die Fenster waren | |
| undicht, es hat durchs Dach reingeregnet und es gab ein Rattenproblem“, | |
| sagt Schneider. Sie habe daher im Mai eine Monatsmiete einbehalten. | |
| Für den Moment ist Schneider mit ihrem Partner und ihren zwei Hunden in | |
| einem kleinen Hotelzimmer unterkommen. [4][In Bremer Notunterkünften] sind | |
| Hunde nicht zugelassen und ins Tierheim will Schneider die Tiere unter | |
| keinen Umständen geben. „Es gibt bis jetzt keine Perspektive, wer die | |
| Hotelkosten übernimmt“, sagt sie. | |
| Sie sei abwechselnd bei der Fachstelle Wohnen und beim Jobcenter, aber es | |
| gehe „einfach zu langsam“ und die Verantwortung werde hin und her | |
| geschoben. Ihre Möbel seien in ein Lager gebracht worden, das in den | |
| kommenden Wochen geschlossen ist – wegen Auktionsterminen und Feiertagen. | |
| „Wir wissen nicht, wie es weitergeht“, sagt Schneider. | |
| 8 Dec 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Pia Schirrmeister | |
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