# taz.de -- Whistleblower gegen Grenzschützer: „Schlag Alarm!“ | |
> Die EU-Grenzschutzagentur Frontex streitet Fehlverhalten ab. Die NGO | |
> „Frag den Staat“ ruft nun Mitarbeiter:innen dazu auf, Missstände zu | |
> melden. | |
Bild: Nicht zu übersehen: die Werbekampagne von Frag den Staat in Warschau | |
„Siehst du was – sag was“: Diese Forderung sehen dieser Tage Beschäftigte | |
der EU-Grenzschutzagentur Frontex auf ihrem Arbeitsweg. Die NGO Frag den | |
Staat hat großflächige Werbeflächen rund um die Frontex-Zentrale – drei | |
hohe Glastürme im Westen der Warschauer Innenstadt – gebucht und die | |
Plakate aufhängen lassen. Wer nicht ins Büro fährt, bekommt entsprechende | |
Nachrichten auf sein Linked-In-Profil: „Schwerer Machtmissbrauch“ habe bei | |
Frontex-Operationen zu Missachtung von Grundrechten geführt, heißt es da. | |
„Schlag Alarm!“ Whistleblowing aus dem Innern des Sicherheitsapparats – | |
[1][darauf zielt die Kampagne]. | |
Zu leaken gäbe es vieles, glaubt die Juristin Luisa Izuzquiza von Frag den | |
Staat. Menschenrechtsverletzungen seien an den europäischen Grenzen „zur | |
Routine und zur Norm geworden“, sagt sie. In den vergangenen Jahren hätten | |
zahlreiche Untersuchungen die Beteiligung von Frontex an | |
Menschenrechtsverletzungen aufgedeckt. | |
In Griechenland etwa habe die Agentur [2][illegale Pushbacks] in die Türkei | |
durchgeführt, im zentralen Mittelmeer arbeite sie mit der sogenannten | |
libyschen Küstenwache zusammen, um Boote zurück nach Libyen zu schleppen, | |
wo die Menschen „konzentrationslagerähnlichen“ Bedingungen ausgesetzt sind. | |
Und in Bulgarien sehe Frontex zu, wie Menschen in Geheimgefängnissen | |
festgehalten werden, bevor sie illegal abgeschoben werden. | |
Wegen solcher und ähnlicher Handlungen ist Frontex derzeit vor dem | |
Internationalen Strafgerichtshof wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit | |
angeklagt. | |
„In der Öffentlichkeit leugnet Frontex routinemäßig jegliche Beteiligung | |
oder jegliches Fehlverhalten“, sagt Izuzquiza. Und Belege für die | |
Rechtsverstöße zu sammeln, ist schwierig. Izuzquiza selbst hatte das in der | |
Vergangenheit erfahren müssen. Sie hatte 2018 – damals noch bei der NGO | |
Corporate Europe Observatory – eine erfolglose Anfrage nach dem | |
Informationsfreiheitsgesetz an Frontex gestellt. | |
Doch die Agentur wollte die Informationen über ihren damaligen Einsatz im | |
zentralen Mittelmeer nicht rausrücken, wehrte sich vor Gericht – und | |
schickte Izuzquiza anschließend eine Anwaltsrechnung über fast 24.000 Euro. | |
Das sei „Teil einer breiter angelegten Strategie, öffentliche Kontrolle | |
über Frontex-Aktivitäten nicht zuzulassen“, [3][sagte Izuzquiza damals der | |
taz]. | |
Nun sollen also die Frontex-Mitarbeiter:innen selbst Informationen nach | |
außen tragen, die die Agentur am liebsten vor der Öffentlichkeit verborgen | |
wissen will – das ist die Idee der neuen Kampagne. Ob sich | |
Mitarbeiter:innen davon tatsächlich angesprochen fühlen werden, ist | |
offen. Doch die Kampagne will auch darauf hinweisen, dass viele Vergehen, | |
die unter anderem durch Untersuchungen der EU-Betrugsbekämpfungsbehörde | |
Olaf bekannt wurden, bis heute nur unvollständig aufgeklärt sind. | |
## Verantwortung für EU-Außengrenzen | |
Das hatte unter anderem zur Folge, dass im April 2022 der langjährige | |
Direktor, der Franzose Fabrice Leggeri, zurücktreten musste. Seit Dezember | |
wird die Agentur von einem Soldaten geführt – [4][dem niederländischen | |
Generalleutnant Hans Leijtens]. Der soll den bis 2027 geplanten Ausbau der | |
Agentur zu einer eigenständigen, supranationalen EU-Grenzpolizei | |
vorantreiben. | |
Erst in der vergangenen Woche hatte der Frontex-Grundrechtsbeauftragte | |
Jonas Grimheden vorgeschlagen, ein neues Prinzip einzuführen, um | |
Menschenrechtsverletzungen zu vermeiden. Gäbe es Verstöße, etwa durch die | |
nationalen Grenzpolizeien in einem Einsatzgebiet, solle Frontex sich nicht | |
zurückziehen, wie es die derzeit gültigen Regeln vorsehen. Stattdessen | |
solle die Frontex-Präsenz in der entsprechenden Region aufgestockt werden. | |
„In einem solchen Szenario würde die EU mehr Verantwortung für die | |
Praktiken und den Ruf der Außengrenzen übernehmen, die nicht nur nationale | |
Grenzen, sondern auch EU-Grenzen sind“, sagte der Grimheden der Zeitung nd. | |
Er hatte den Posten im Juni 2021 übernommen, nachdem seine Vorgängerin von | |
der Frontex-Spitze aus dem Amt gedrängt worden war – auch das war | |
Gegenstand des Olaf-Berichts. | |
Die Linken-Bundestagsabgeordnete Clara Bünger weist den Vorschlag zurück. | |
„Die Zahl der gewaltvollen Pushbacks ist in den letzten Jahren in die Höhe | |
geschnellt, und das mit der Anwesenheit von Frontex“, sagte die | |
migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion dem nd. | |
Derweil meldete Frontex Anfang der Woche rund 330.000 irreguläre | |
Grenzübertritte in die EU im Jahr 2022: 64 Prozent mehr als im Vorjahr, | |
etwa so viele wie 2016. | |
18 Jan 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://fragdenstaat.de/blog/2023/01/17/frontex-whistleblowing-hinweise/ | |
[2] /Fluchtroute-ueber-den-Balkan/!5890399 | |
[3] /Frontex-schickt-Rechnung-an-NGO/!5664291 | |
[4] /Europas-Grenzschutz/!5900923 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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