# taz.de -- Waldsterben in Deutschland: Kranke Bäume retten | |
> Unseren Wäldern geht es schlecht. Dabei brauchen wir sie im Kampf gegen | |
> den Klimawandel mehr denn je. Sechs Dinge, die wir jetzt tun können. | |
Wer in den Schatten eines Waldes tritt, fühlt sich beschützt, umarmt oder | |
auch frei. „Mit Bäumen kann man wie mit Brüdern reden, man tauscht bei | |
ihnen seine Seele um“, schrieb Erich Kästner. Und Wald kann noch so viel | |
mehr als das: Er bildet und speichert Trinkwasser, er bremst Wind und | |
Starkregen, er schützt den Boden vor Erosion, er kühlt das Land. Und, | |
wichtiger denn je: Er zieht CO2 aus der Luft und speichert es in Form von | |
Kohlenstoff. | |
[1][Das alles ist in Gefahr,] und zwar so richtig. Seit dem Extremsommer | |
2018 ist es in Deutschland unübersehbar: graue Stellen, wo geschlossenes | |
Grün zu sehen sein sollte. Blattloses, abgestorbenes Holz. Nur noch ein | |
Fünftel aller Bäume hierzulande sind gesund, sagt der | |
[2][Waldzustandsbericht von 2022.] Riesige Flächen sterben derzeit vor | |
unseren Augen ab, 400.000 Hektar, 3 Prozent der gesamten Waldfläche | |
Deutschlands, allein in den vergangenen vier Jahren. | |
Schadensbilanz, je nach Schätzung: zwischen 12 und 15 Milliarden Euro. Und | |
Besserung ist nicht in Sicht, denn alles, was dem Wald schadet, wird durch | |
den Klimawandel schlimmer. Extreme Hitze und Trockenheit plagen unsere | |
Bäume, der Borkenkäfer liebt milde Winter und heiße Sommer. | |
Es ist wie mit allem, das mit der Klimakrise zu tun hat: Expert*innen | |
streiten darüber, wie nah die Apokalypse ist und wie sie aussehen wird. In | |
einer Sache allerdings herrscht Einigkeit: Der Wald vor unserer Haustür | |
wird sich verändern, und das schon bald. Wie sehr, das hängt stark davon | |
ab, [3][welches Erwärmungsszenario] eintritt, und das wiederum davon, wann | |
wir in welchem Ausmaß auf fossile Brennstoffe verzichten. | |
Wie wir als Gesellschaft mit dem Wald umgehen, zeigt deutlich, wie ernst | |
wir das Wort Nachhaltigkeit nehmen. Förster*innen handeln und planen | |
seit je für die Generationen der Enkel und Urenkel. Für diesen Zeithorizont | |
gibt es heute aber noch nicht einmal Klimaprognosen. | |
Die Situation ist symbolhaft: Es steht viel auf dem Spiel, und die | |
Unsicherheit ist mindestens so groß wie der Handlungsdruck. Durch das Feld | |
der Waldexpert*innen zieht sich ein Graben – schützen oder nützen? | |
Einig ist man sich eigentlich nur darin: Pauschallösungen sind immer | |
falsch. Was also tun? Trotz allem gibt es einige gute Ideen für den Wald – | |
und Menschen, die sie bereits umsetzen. | |
## 1. Bäume neu mischen | |
Vielfalt ist das Gebot der Stunde. Denn was in den letzten Jahren so | |
dramatisch vor unseren Augen stirbt, sind [4][Monokulturen], genauer: | |
Fichten. Picea abies, seit den 1930er Jahren das „Normschwein der | |
Forstwirtschaft“, wie Martin Janner, der Förster des Jahres 2023, es | |
ausdrückt, wächst schnell, lässt sich effizient verarbeiten und brachte | |
lange Zeit maximale Erträge. | |
Doch das ist vorbei. „Alle Baumarten, mit denen Waldbesitzer richtig Geld | |
verdienen konnten, sind auf dem absteigenden Ast“, sagt Marc Hanewinkel, | |
Forstökonom an der Universität Freiburg. Und fügt hinzu: „Auch den Kiefern | |
geht es an den Kragen.“ Die finden sich vor allem im Nordosten | |
Deutschlands. Hanewinkel rät daher das, was immer mehr Forstwirt*innen | |
bereits tun: [5][Monokulturwälder in Mischwald umzubauen]. | |
Förster Martin Janner pflanzt und fördert Baumarten, die wir bislang in | |
unseren Wäldern eher selten sehen. In seinem Revier in Rheinland-Pfalz war | |
es schon immer ein paar Grad wärmer als andernorts, die dortigen Wälder | |
zeigen uns also, wer die Neuen sein könnten: der Ahorn mit seinen | |
fünffingrigen Blättern, die Hainbuche, niedrigere und genügsamere | |
Schwester der heute noch vorherrschenden Rotbuche. Die Elsbeere, bislang | |
noch eine der seltensten Arten in deutschen Wäldern. Die Wildkirsche, die | |
im Frühjahr schaumig blüht. Die Eberesche mit ihren bunten Früchten, die | |
aus Nordamerika stammende Douglasie und die Esskastanie, die schon die | |
Römer über die Alpen brachten. | |
Das Ganze wächst als Mehrgenerationenwald – weg von den einheitlichen | |
Plantagen aus der Baumschule, die alle im selben Jahr gepflanzt werden. | |
Schon aus betriebswirtschaftlicher Perspektive ist es sinnvoll, Risiken zu | |
streuen. Aus ökologischer Sicht erst recht: „Wir wissen nicht, wie die | |
Bedingungen sich entwickeln und was dann funktioniert“, sagt Forstökonom | |
Marc Hanewinkel, „den einen Superbaum, der alle Probleme löst, gibt es | |
jedenfalls nicht.“ | |
Der Waldumbau ist teuer, das weiß auch die Bundesregierung, die | |
Waldbesitzenden derzeit 900 Millionen Euro zur Verfügung stellt, um ihre | |
Wälder an die Folgen der Klimakrise anzupassen. Mischwälder anzulegen | |
gehört zu den Bedingungen für diese Förderung. Hanewinkel schätzt, dass das | |
Förderprogramm für weniger als 10 Prozent der Schäden reicht. Nicht nur | |
deshalb setzen Forstleute daher, wo immer es geht, auf die sogenannte | |
Naturverjüngung: Sie pflegen und fördern die Bäume, die sich von selbst | |
aussäen und ansiedeln. | |
## 2. Die Natur machen lassen | |
Pierre Ibisch sagt: „Wälder verbessern ihre Bedingungen selbst – wenn wir | |
sie lassen.“ Er ist Direktor des Zentrums für Ökosystemmanagement an der | |
Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde. Doch wir haben sie schon | |
seit Langem nicht mehr gelassen. Wirkliche Urwälder git es in Deutschland | |
nicht mehr; was wir als Wald kennen, ist eine Kulturlandschaft – in die | |
mehr oder weniger stark eingegriffen wird. | |
Wo der Mensch sich zurücknimmt, können sich fein aufeinander abgestimmte | |
Prozesse entfalten. Da können die Bäume groß und stark werden, die mit den | |
aktuellen Bedingungen besonders gut klarkommen. Das tun sie sogar dort | |
noch, wo der worst case bereits eingetreten ist, zum Beispiel durch | |
[6][Waldbrand]. „Bloß nicht abräumen“, warnt Jeannette Blumröder vom | |
Forschungsprojekt Pyrophob, „Kahlschlag ist die noch größere Katastrophe – | |
danach kommt gegebenenfalls die Steppe.“ | |
Das Forschungsprojekt untersucht mehrere abgebrannte Flächen in | |
Brandenburg. Einige davon wurden komplett sich selbst überlassen. Auf den | |
Waldbrandflächen bei Treuenbrietzen lässt sich [7][Naturverjüngung] in | |
Echtzeit beobachten: „Die Pappeln sind schnell wieder da“, erzählt | |
Blumröder, „die schaffen ein Wohlfühlklima für alles, was danach kommt“. | |
Oft sind das Eichen, ausgesät vom Eichelhäher persönlich. Auch andere | |
Pioniere wie Birken, Weiden und Kiefern tauchen auf. | |
Förster Janner freut sich in Rheinland-Pfalz derzeit über ganze elf | |
Baumarten, die sich auf vom Borkenkäfer vernichteten Flächen wieder | |
ansiedeln. „Der Wald zeigt uns gerade seine Kraft!“, sagt Janner. Er setzt | |
auf behutsame Förderung des Nachwuchses. Die jungen Bäume werden von | |
Brombeerranken befreit und vor Wildverbiss geschützt, damit sie kraftvoll | |
loslegen können. | |
Auch vermeintliches Chaos auszuhalten lohnt sich: Gerade totes Holz, auf | |
dem [8][Waldboden] belassen, bietet zahllosen Lebewesen ein Zuhause, | |
zerfällt nach und nach zu Humus und ist so ein wahrer Bodengenerator. Das | |
ist wichtig, denn Waldboden liefert Nährstoffe, pumpt Feuchtigkeit, filtert | |
Grundwasser. Kurzum: Er wirkt sich auf alles aus, was im Wald wächst; je | |
nach Bodenzusammensetzung sehen Wälder völlig unterschiedlich aus. | |
[9][Versauerung und Stickstoff], aber auch Dünge- und | |
Unkrautvernichtungsmittel, die in den vergangenen Jahrzehnten verwendet | |
wurden, setzen dem Waldboden vielerorts noch heute zu. Das größte Problem | |
dürfte die Verdichtung sein, die der Einsatz der schweren Maschinen mit | |
sich bringt, ohne die die heutige Forstwirtschaft kaum noch denkbar ist. | |
Das Problem: Unterhalb der Fahrspuren entstehen tote Zonen, die keine | |
Verbindung mehr zu den tieferliegenden wasserhaltigen Schichten haben. | |
Solche Verdichtungsschäden sind oft noch Jahrzehnte später deutlich zu | |
sehen, als Schneisen in der Vegetation. | |
Förster Martin Janner hat sich selbst zur Regel gemacht, zwischen solchen | |
Rückegassen größtmöglichen Abstand zu lassen. Alles, was die Kräne der | |
großen Maschinen dann nicht mehr erreichen, holt er per Seilzug oder auch | |
mit Pferden aus dem Wald, um den Boden zu schonen. Und wenn der Schaden | |
schon da ist? Dann gehe es darum, die richtigen Bäume zu fördern: | |
„Tiefwurzelnde Bäume wie Weißtanne und Stieleiche kämpfen sich durch und | |
sind in der Lage, Boden wieder aufzulockern.“ | |
## 3. Klüger jagen | |
Nachwuchs braucht Schutz, das gilt auch für junge Bäume. Denn im Wald, da | |
sind die Feinschmecker unterwegs: Rot- und Damhirsche schätzen ausgerechnet | |
die Schösslinge, von denen wir künftig mehr brauchen – junge Laubbäume. An | |
dieser Stelle sind die Forstleute sich mal einig: [10][Mehr Wald, das geht | |
nur mit weniger Wild]. | |
Über die Jagd zu sprechen ist schwer in Deutschland, danach befragt winken | |
die meisten Expert*innen erschöpft ab. Es sei „ein emotionales Thema“, | |
fasst es der Biologe Pierre Ibisch zusammen, „sehr schwer zu regulieren“. | |
Wild und Wald gehören seit Jahrhunderten zusammen. | |
Noch heute ist die Jagd vielerorts ein Elitesport, mächtige Männer sprechen | |
übers Geschäft, auf dem Schießstand oder beim Bier danach, | |
[11][entsprechend stark ist die Lobby]. Längst nicht alle, aber doch zu | |
viele Jäger helfen den Tieren über den Winter, füttern sie an, schießen | |
lieber auf Hirsche und Rehböcke, weil deren Geweih sich an der Wand gut | |
macht. „Dabei wäre es wichtig, weibliches Wild zu schießen, denn nur so | |
kontrolliert man die Population“, ärgert sich Martin Janner. | |
Er erzählt von einem Experiment in seinem Forst, das er Jäger*innen | |
gerne zeigt: „Wir haben kleine Stücke Wald eingezäunt, um das Wild | |
fernzuhalten. Die quellen vor Vegetation nur so über, wie Hefeteig. Wir | |
können da nicht mehr durchschauen.“ | |
Janner versucht, Jäger*innen zu sensibilisieren. „Die müssen verstehen, | |
dass ihr Tun eine positive Wirkung auf den Wald haben kann.“ | |
Abschussvorgaben müssten sich am Zustand der Vegetation orientieren. Pierre | |
Ibisch rät dazu, die Jagd zu professionalisieren: „Es ist einfach nicht | |
sinnvoll, dass wir diese sensible Aufgabe Menschen als Freizeitspaß | |
überlassen, die ein paar Kurse belegt haben. Was unsere Wälder brauchen, | |
sind professionelle Wildtiermanager, die das Ökosystem und die Rolle der | |
Pflanzenfresser darin verstehen.“ | |
## 4. Das Wasser im Wald halten | |
Die Generation unserer Großeltern grub Rinnen und Gräben, um das Wasser aus | |
dem Wald zu leiten und ihn leichter bewirtschaften zu können. Heute wollen | |
wir das Gegenteil: möglichst viel Wasser im Wald, für die Bäume, aber auch | |
für uns Menschen. Besonders unter alten Laubwäldern, die selbst bei | |
Starkregen das Wasser sanft auf den Boden leiten, entstehen | |
[12][Grundwasserreservoirs], die wir dringend brauchen. Und so sind die | |
Enkel heute damit beschäftigt, Rohre wieder zu entfernen und Gräben | |
dichtzumachen. | |
Forstleute werden dabei erfinderisch: Martin Janner lässt in seinem Revier | |
jeden Bagger, den er einsetzt, abseits der Fahrspuren kleine Gruben | |
ausheben, in denen sich das Wasser sammeln kann. Er achtet auch darauf, | |
dass tief- und flachwurzelnde Bäume sich möglichst abwechseln, denn die | |
einen helfen den anderen, sich mit Wasser zu versorgen. | |
Wichtig ist, den Wald dabei zu unterstützen seine Temperatur möglichst | |
niedrig zu halten: Das Kronendach gilt es geschlossen zu halten, also keine | |
größeren Lücken entstehen zu lassen. Denn wo immer die Sonne direkt auf den | |
Waldboden scheint, erwärmt er sich und trocknet aus. | |
Totholz ist ein anderer wichtiger Feuchtigkeitsfaktor: Altes Holz wird zum | |
Schwamm, es bindet Feuchtigkeit. Genau wie ein lockerer Boden. Verdichtete | |
Wege und Gassen werden bei Starkregen zu Flüssen, die das Wasser aus dem | |
Wald heraus tragen. Waldmoore zu renaturieren ist eine weitere Maßnahme. In | |
naturnahen Wäldern erledigt einiges davon übrigens der Biber, zum | |
Nulltarif: Er baut Staudämme, wo immer er kann, und bringt das Wasser | |
wieder zum Stehen. | |
## 5. Brände früher entdecken | |
Allein in Brandenburg hat sich die Anzahl [13][der Waldbrände] von 2021 auf | |
2022 verdoppelt. Es ist also eine gute Idee, Wälder möglichst feuerfest zu | |
machen. Da trifft es sich gut, dass viele der oben genannten Veränderungen | |
auch darauf einzahlen. | |
Feuchtes Totholz am Boden und junges Grün auf den mittleren Etagen kann | |
eine Feuerwalze zwar nicht aufhalten, vermag sie aber immerhin abzumildern. | |
Wenn es dennoch zu einem Brand kommt, geht es darum, ihn möglichst schnell | |
zu löschen. Mit herkömmlichen Methoden werden Brände von oben erkannt, | |
durch Wachtürme oder neuerdings auch Satelliten. | |
Rauchsäulen werden allerdings erst sichtbar, wenn der Waldboden bereits in | |
Flammen steht, das Feuer also schon schwer zu löschen ist. „Die Feuerwehr | |
muss die entscheidende halbe Stunde früher vor Ort sein“, sagt Jürgen | |
Müller. | |
Mit einem Team hat er ein System zur Ultrafrüherkennung von Waldbränden | |
erarbeitet. Und seine heutige Firma Dryad, benannt nach den guten | |
Waldgeistern der griechischen Antike, hat Sensoren entwickelt, die in drei | |
Meter Höhe an Bäumen angebracht werden. Sie sind auf das Gasgemisch der | |
lokalen Luft geeicht und „erschnüffeln“ jegliche Abweichung. Sobald sich | |
die Gaszusammensetzung ändert, reagieren die Sensoren, melden den Brand an | |
eine Cloud, die wiederum einen Anruf bei der lokalen Feuerwehr auslöst. | |
„Das Ganze funktioniert solarbetrieben und ist wartungsarm“, sagt Müller. | |
Kostenpunkt: 25.000 Euro als einmalige Investition für 400 Hektar Wald, das | |
sind um die 560 Fußballfelder. Ende des Jahres 2022 wurden die ersten | |
zehntausend Sensoren ausgebracht, etwa 80 Prozent davon gingen ins Ausland, | |
darunter Spanien, Italien, Türkei, die USA, Südkorea und Jordanien. | |
Aber auch in Deutschland gibt es erste Anwender*innen, so im Harz entlang | |
der Kleinbahnstrecken, wo Funkenflug regelmäßig Brände auslöst. Im | |
Regelfall sind es allerdings achtlos fallengelassene Kippen, die das Feuer | |
im Wald entfachen. | |
## 6. Waldinseln wieder verbinden | |
Deutschland ist eines der waldreichsten Länder Europas, etwa ein Drittel | |
der Landesfläche ist von Wald bedeckt. Theoretisch jedenfalls. Denn ein | |
Blick von oben zeigt es deutlich: Unser Wald ist regelrecht zerfressen von | |
Landwirtschaft, Städten, Industriegebieten, Stromtrassen, Autobahnen. | |
Das ist ein Problem, denn: „Der Wald stirbt von den Rändern her“, sagt | |
Pierre Ibisch. Es braucht ein Waldinnenklima – das an warmen Tagen bis zu | |
8 Grad kühler ist als die umliegende Landschaft –, damit der Wald sich | |
selbst schützen und erhalten kann. Wenn [14][die Waldinseln] zu klein sind | |
oder, wie oft der Fall, durch Fuhrwege, Lichtungen und Rückegassen bis zu | |
20 Prozent baumfrei, kann sich der Wald nicht mehr kühlen. Heißer Wind, der | |
über offene Felder und Flächen fegt und die Landschaft austrocknet, zieht | |
dann einfach durch. „Die Wälder werden gefönt“, so Ibisch. | |
Was tun? Waldränder sollten wir mit Hecken und schnellwachsenden Hölzern | |
umgeben, „je heißer, desto breiter“, sagt Ibisch, „zehn Meter ist | |
inzwischen wenig, es braucht eine kritische Masse“. Er rät, sehr schnell | |
damit anzufangen. Und sehr genau zu überlegen, wo und zu welchem Zweck wir | |
noch mehr Wald zerstören. „Wir sollten nur noch an den Stellen Schaden | |
anrichten, wo wir das bereits getan haben“, erklärt er. „Die Biosphäre ist | |
irrwitzig dünn, wir müssen uns mal klarmachen, was wir tun. Es ist ein | |
Unding, dass immer noch neue Schneisen durch Wälder genehmigt werden. Warum | |
legen wir zum Beispiel neue Stromleitungen nicht entlang von Autobahnen?“ | |
Eine Chance für solche neuen Herangehensweisen könnte das im Juli | |
verabschiedete „[15][Nature Restauration Law“ der EU] sein: Das Gesetz | |
verpflichtet alle EU-Mitgliedstaaten, zerstörte Natur wieder in einen guten | |
ökologischen Zustand zu bringen und so all das zu sichern, was wir zum | |
Leben brauchen: Insekten, die bestäuben, natürliche Ressourcen wie den | |
Wald, saubere Luft und sauberes Wasser. | |
Im Grunde geht es darum: „defragmentieren“. Und zwar überall dort, wo | |
[16][sich kleine Waldstücke wieder verbinden lassen]. Ibisch fordert ein | |
radikales Umdenken, „groß und strukturell! Wir müssten ganz neu über | |
Raumordnung nachdenken. Flächen umwidmen, viel mehr Strukturvielfalt | |
schaffen, weg von diesen riesigen Agrarflächen.“ Als gutes Beispiel nennt | |
er England. Die Trockenheit der letzten Jahre habe dort weniger Schaden | |
angerichtet als hierzulande: „Die haben viele Hecken und Knicks, diese | |
typisch norddeutschen Wallhecken, und Mauern, die den Wind bremsen. Und an | |
vielen Stellen mehr Bäume in der Landschaft.“ | |
Radikales Umdenken, wie könnte das aussehen? Welcher Landwirt hat schon | |
Lust, das subventionierte Maisfeld gegen Wald einzutauschen, den er erst | |
mal aufforsten und dann auch noch liegen lassen soll? Aber was utopisch | |
klingt, hat bereits einen Namen und ist gesetzlich geregelt. Sogenannte | |
Flurbereinigungen gab und gibt es immer wieder: Ländlicher Besitz kann | |
umverteilt und neu geordnet werden, wenn es der Allgemeinheit dient. Und | |
was gibt es Allgemeindienlicheres als Klimaschutz? | |
Ein weiterer Hoffnungsschimmer, auch wenn es absurd klingt: Dem Wald geht | |
es heute nicht zum ersten Mal sehr schlecht. Seit dem Mittelalter wurden | |
die Menschen immer holzhungriger, Kahlschlag war die gängige Methode. Mitte | |
des 18. Jahrhunderts war ein Großteil der Wälder hierzulande verwüstet. | |
Und dann, Mitte des 19. Jahrhunderts, setzte ein Umdenken ein, begannen | |
Menschen den Hebel umzulegen. Die Idee der damals aufkommenden | |
Forstwirtschaft: aufforsten. Weniger Holz entnehmen und nachhaltiger | |
wirtschaften. Für die Generationen, die kommen sollten. | |
19 Aug 2023 | |
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